Spuren der Geschichte
Der Umgang Russlands mit der schwierigsten Phase seiner Geschichte: Der Sowjetunion.
Wer durch die Straßen St Petersburgs schlendert, die prächtigen Altbauten, Museums- und Kunsthäuser, Plätze und Statuen bestaunt, auf dem Newski-Prospekt in sämtlichen westlichen Klamottenketten shoppen war und in einem der hunderten Sushi-Restaurants zu Abend gegessen hat, der denkt nicht mehr an das Russland, das er vor Augen hatte, bevor er in dieser riesigen Weltmetropole landete. Der begreift nicht, dass die selben Menschen, die mit vollen Einkaufstüten bestückt auf dem Newski flanieren noch vor 20 Jahren für ein Kilo Fleisch den ganzen Samstag in der Warteschlange verbrachten. Der reibt sich die Augen beim Anblick der langsam aufkeimenden Kritik an der gegenwärtigen Politik, ersten Demonstrationen auf den russischen Straßen und ersten kritischen Worte in der Presse.
Russland ist ein ebenso geschichtsträchtiges Land wie Deutschland. Es ist faszinierend, wie schnell das kapitalistische und "demokratische" System Russland eroberte. Dennoch gibt es, was in Anbetracht der Tatsache, dass die Sowjetunion erst vor 20 Jahren zerbrach, nicht unverständlich ist, einige sensible Themen, die in offener Gesellschaft besser nicht angesprochen werden sollten. Ich hatte bis jetzt den Eindruck, dass das Kapitel der Sowjetunion zu einem der sensibelsten Themen gehörte. Russische Bürger sind immer noch sehr eingeschränkt in der freien Äußerung ihrer Meinung; darin, frei ihr Studienfach zu wählen oder sich für oder gegen den Militärdienst zu entscheiden. Die sowjetische Seele ist meiner Meinung nach auch heute noch in der Gesellschaft zu spüren.
So war ich tief beeindruckt von meinem Besuch im Museum für politische Geschichte.
Das gesamte Kapitel der Sowjetunion findet sich sorgsam aufgearbeitet und ungeschönt in den Ausstellungsräumen einer alten Villa, begleitet von Erklärungen auf Englisch und Russisch.
Es werden sowohl Plakate, die typische Parolen enthalten; typische Kleidung und verschiedene Fotos von Schulen, Läden und Politikern; ausgestellt als auch bis vor zwanzig Jahren geheimgehaltene Dokumente: Listen, die von der russischen Regierung gefolterte und getötete Kommunismuskritiker aufzählen; geheime Verträge und Zeitungsartikel, die die Bevölkerung in ihrer politischen Meinung bilden sollten.
Für mich weist die Sowjetunion erschreckend viele Ähnlichkeiten mit Nazideutschland auf. Das ständige Verehren Stalins als Führer, dem alle Parteimitglieder untergeordnet sind, die Schriften, die ständig zitiert werden; die Armut in der Bevölkerung, der trotzdem immer wieder eingeredet wird, dass es keinem auf der Welt besser gehe; das verdrehte Weltbild mit extremen Richtlinien und einer klaren Definition des "Bösen" und die Zahl der politisch Inhaftierten und Getöteten. Diese war in Russland tatsächlich nicht geringer als die Zahl der getöteten Juden und Staatskritiker. Sämtliche Reiche, Intellektuelle, Kritiker und "entartete Künstler" wurden verbannt oder getötet.
Ein Plakat zog meine Aufmerksamkeit besonders auf sich: Dargestellt wurde auf der einen Seite das Bild des Deutschen, arm, ohne eigene Meinung, hinter Hitler marschierend. Dazu auf der anderen Seite die strahlend gesunde russische Familie mit Tennisschlägern und Kind, die eher einer amerikanischen Werbeanzeige glich.
Diese ganzen Dokumente werden in diesem Museum dem Besucher nicht unkommentiert überlassen, sondern genau im politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang erklärt.
Ich bin sehr froh über diese gute Aufarbeitung und darf hoffentlich mit euch allen hoffen, dass Russland sich nach den Wahlen zu einem demokratischeren Land entwickelt!
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