Soweit die Füße tragen. Ein Lauf durch Stirling. Teil III
Ein Lauf durch Stirling – eine schottische Reise mit spanischen Begegnungen und viel Geschichte. Es ist wirklich kaum was übrig geblieben für Johannson. Doch trotz schwerer Beine geht es noch einmal hinauf zum Burgvorplatz, denn, ob man es glaubt oder nicht, die Sonne scheint…
Teil III: Zielgraden
Argyll’s Lodging: Gute Häuser...
Wieder ein Morgen, war das schon Sonntag? Ich schaffe es früh aus dem Bett, esse, räume mein Küchenregal wieder aus, komme zurück ins Zimmer und packe. Zum Glück kann ich die Reisetasche in einem unverschließbaren Schließfach lassen, dann geht es auf die wenigen übrig gebliebenen weißen Flecken der Stadt abzudecken.
Wie ich jetzt feststelle, ist wirklich kaum was übrig geblieben. Das bedeutet, ich muss viel geschafft haben, was meine Beine mir, selbst nach einer Nacht, auch nahe legten. Zuerst geht es noch einmal hinauf zum Burgvorplatz. Denn, ob man es glaubt oder nicht, die Sonne scheint und ich nutze sie um einen ordentlichen Rundblick zu haben.
Dann geht es schnurstracks in „Argyll’s Lodging“, die Residenz einer einst wichtigen schottischen Familie aus der Zeit, als Stirling noch Hauptstadt war. Namentlich gehörte es William Alexander, der Nova Scotia als schottische Kolonie gegründet hat, heute Teil Kanadas, da solche Versuche für Schottland verlässlich in Desastern endeten. Ich war ziemlich früh und hatte das Haus fast für mich allein, umso angenehmer, da es mit meinen Schlosstickets umsonst war. Eine überraschend moderne und schöne Heimstatt, mit Fenstern in einen hübschen Garten und weit hinaus in die Ebenen der Lowlands. Mit dem Gesamtwissen über schottische Politik und Wohnverhältnisse vom 16.-18. Jahrhundert komme ich wieder hinaus in die Sonne und mache mich auf den zweiten Anlauf zum Beheading Stone.
The Beheading Stone: ...schlechte Häuser
Das entwickelte sich wieder wenig viel versprechend, bis ich einen Anwohner traf, einen alten Anwohner mit seinem Hund. Der hat mir natürlich nicht nur den richtigen Weg erklärt, sondern mich gleich hingeführt und mir dabei auch gleich seine Lebensgeschichte erzählt. Ja, er ist der Vater der Braut von gestern am Monument!
Direkt durch die von Trine erwähnte „Wallapampa“ geht es, auf direktestem Weg auf einen Hügel, von wo man das Ziel auf einem niedrigeren Gipfel vor uns sehen kann; von dort gehe ich allein weiter. Da ist der Beheading Stone, ein kleiner Feldstein vollgesprüht mit Namen, Kaugummis und Flaschensplittern; zwei Kanonen, die schwarze Farbe ebenfalls zerritzt und besprüht. Die Stelle selbst ist ein netter Platz, sonnig und ruhig.
Eine Bank steht dort, auf die ich mich lege und die weiten Lowlands im Süden und die schroffen Berge der Highlands im Norden beobachte, die ich jetzt nicht mehr sehen werde. Auch ist Stirling von oben zu sehen. Schon in Claudias Viertel ist mir aufgefallen: Schottische Städte sind anders. Nicht die roten Backsteine Englands, sondern grauer Knäckebrotanstriche aus den 50er Jahren an Zweifamilienblocks.
Orgelpfeife
Irgendwann und irgendwie schaffte ich es, mich wieder von der Bank aufzuraffen und runter in die Stadt zu gehen. Das Problem war nur: wohin jetzt? Immer noch waren fünf Stunden übrig und ich hatte mir alles angesehen, was mich interessierte. Zwar ist das Gefängnis, die „Bastion“, das Hospiz und das Monument in Bannockburn zu Ehren Robert the Bruce’s (für einen weiteren der wenigen Siege gegen England) noch offen, aber die locken mich irgendwie gar nicht.
Also halte ich mich bis drei in mittelmäßigen Cafés auf, lerne, was irischer Kaffee ist; kaufe eine CD, statte sogar einem wohltätigen Second Hand Laden einen Besuch ab (neue Lektüre: Conrad’s „Secret Agent“), beschließe zu einem Kirchenkonzert zu gehen, vergesse natürlich meinen Mantel, muss wieder in die Stadt und ihn holen, komme zurück zur Kirche.
Ja, die Tage sind voll von Symptomen meines geistigen Niedergangs, jetzt bezahle ich bereits Geld für Orgelkonzerte. Doch, ich mag Orgelmusik und wünschte, die Interpretin wäre bei den klassischen Stücken geblieben, anstatt dieses ganze neue Zeug rein zu bringen. Ich glaube sogar eine Pop- und die Big-Ben-Melodie erkannt zu haben. So ganz überzeugend war es nicht und ich bin so was von müde, dass ich trotz einer schmetternden Orgel fast eingeschlafen wäre. Wäre ich nur immer so unempfindlich.
Wanderer, kommst Du nach Hause?
Dann, hurra, endlich war das Wochenende vorbei, Gott sei Dank. Sachen aus dem Hostel geholt und mit dem Zug wieder nach Edinburgh, wo ich das Vergnügen einer Stunde Wartezeit habe. Und so sitze ich noch einmal in den Parks unter dem Schloss und esse Eis.
Um sieben geht es hinaus aus der Stadt. Wenn auch nur für einige hundert Meter, dann bleiben wir eine weitere Stunde stehen, weil irgendwelche Charver ein Zugfenster eingeschmissen haben. Was bei mir erstens dunkle Erinnerungen hervorruft und zweitens instinktiven Hass schürt, weil ich irgendwie ein ganz klares Bild von der Bande vor dem inneren Auge habe. Frag mich, ob die Charver Mädchen ihre Kinderwagen mit auf die Gleise geschoben haben.
Immerhin kommt so wieder ein nettes Gespräch mit den Leuten neben mir in Gang. Trotz einer Stunde Verspätung kamen wir noch rechtzeitig los, um ein Northumberland von seiner schönsten Seite zu erleben. Von Süden kommt das Land voller Farbe, Weizenfelder, Baumreihen und das Meer. Es wandert langsam durch das Fenster nach Norden, wo tief die Sonne steht und das weite Land in einen Scherenschnitt verwandelt. Hügellinien und die Konturen großer Burgen als Silhouetten im Dunst.
Stadtstolz
Die Menschen an meinem Tisch wohnen in Aberdeen, Glasgow und London; kommen aus England, Pakistan und Südafrika. Ich bin der erste, der an seinem Ziel ankommt. Mit ihrem Kontrast im Hintergrund ertappe ich den Gedanken „Zurück zu Hause“, als wir in Newcastle einrollen. Die beiden mächtigen Flussbänke gleiten an mir vorbei, die Lichter der anderen Seite leuchten im Dunkel herüber. BALTIC...Sage... Eine Brücke nach der anderen paradiert an mir vorbei.
Erst, wenn man ein Wochenende in einem kleinen Ort verbracht hat, merkt man wieder, dass Newcastle eine Großstadt ist. Gut, eine große Stadt. Zugegeben, es ist Sonntagnacht und die Strassen sind leer. Aber ist mein Newcastle, meine Stadt. Soviel Pathos nehme ich mir.
Blick in die Zukunft
Zum Glück blieb ich eine weitere Nacht in meiner Stadt, bei Peter Brabban, dem ich am nächsten Tag bei einem Meeting half. Da kam seine ganze Abteilung zusammen. Die kümmern sich hauptsächlich um die Anwerbung sowie Betreuung von Freiwilligen. Daher traf man sich auf Gibside, wo so ziemlich alle möglichen Zielgruppen und Projekte vorhanden sind. Ich hielt als Beispiel für EVS her. Wir haben es sogar so gedreht, dass ich gar nicht schlecht aussah.
Später spielten wir noch ein neckisches Spielchen, das wohl der Zusammengehörigkeit dienen sollte. Dabei lief man Punkte im Wald ab, möglichst, ohne verloren zu gehen, und danach gab es ein kleines Quiz. Ha, und meine Gruppe hat natürlich gewonnen, weil ich sie so mit meinem Training gnadenlos durch den Wald gehetzt habe. Schließlich stand Schokolade auf dem Spiel. Bei der Gelegenheit, und weshalb ich an sich darüber schreibe, habe ich zum ersten Mal den Stall von innen gesehen.
Zur Erklärung: der Stallblock wurde früher für Pferde genutzt, ist übertrieben groß und verziert. Hauptsächlich, um die Gäste des Hausherren auf ihrem Weg zu beeindrucken. In den letzten Jahren hat der National Trust das Gebäude aus seinem bemitleidenswerten Zustand wieder hergerichtet und in Büros und Wohnquartiere verwandelt. Erstens für einen dort lebenden Warden, zweitens für Working Holiday Gruppen und Schulkinder und drittens: für die bald eintreffenden EVS-Freiwilligen.
Einsicht durch Ansicht
Hey, die werden es gut haben. Der Stallblock an sich ist ja schon exklusiv; andere Leute bezahlen Geld, um in solch renovierten Antikstücken zu leben. Innen ist es wirklich vom Feinsten, vielleicht nicht völlig überraschend wo es eben auch alles brandneu ist. Ihre Zimmer im ersten Stock waren noch alle ein Raum mit lediglich vier beziehungslos rum stehenden Betten. Aber da werden wohl Trennwände rein gebracht.
Das wird sie zwar mit vergleichsweise kleinen Zimmern lassen und wirft auch einige Probleme von wegen Schallschutz, Abdunklung und Durchgang auf, aber schließlich kommen wir als Freiwillige und nicht für einen Luxusurlaub. Ich beispielsweise sehe meinen Raum ohnehin nur zum Schlafen. Eine Küche wie aus der IKEA Werbung, Chrom und Stahl; sogar einen Geschirrspüler werden die haben, nur der Kühlschrank ist etwas klein. Aber wisst Ihr was? Deshalb kriegen sie vielleicht einfach einen zweiten dazu. Der Fernseher steht auch schon da, zwar etwas antik, aber es ist ein Fernseher. Und all das werde ich weder sehen noch benutzen können. Ich wusste es zwar schon immer, trotzdem ist es jedes Mal schwer zu akzeptieren: Das Leben ist nicht fair.