Solidarität: Wie weit darf man gehen? - Ein fiktives Interview
Ein fiktiver Interviewer, ein fiktiver Interviewter beide kreisen um die Frage, welches Verhalten ist solidarisch und wie weit darf man gehen.
ACHTUNG: Dies ist rein fiktiv und beruht nicht auf wahren Begebenheiten. Es dient zur deutlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff Solidarität
Du hast mir ganz sanft mit der Nadel in den linken Zeigefinger gestochen. Schnell hat sich ein Blutstropfen gebildet. Ganz andächtig und still haben wir unsere Hände aneinandergepresst um uns dann im Leben doch zu verlieren. Jahre später erfuhr ich im Internet wieder von dir und all das führte mich hierzu:
Warum haben Sie das gemacht? Weil wir für immer verbunden waren.
Wodurch verbunden? Wir kämpfen für dasselbe. Wir haben dieselben Ideen und Ziele im Leben. Eben einer für alle, alle für einen.
Wie die Musketiere? Wie wahre Blutsbrüder.
Braucht es denn Verwandtschaft oder Blutsbrüderschaft um sich solidarisch zu zeigen? Nein. Natürlich nicht. Sehen Sie sich doch Gewerkschaften an, in denen sind auch nicht alle verwandt. Sie kämpfen aber trotzdem Hand in Hand für die Verwirklichung ihrer Ziele. Grundsätzlich könnte jeder sich zu jedem solidarisch verhalten, denn im Kern sind wir alle Menschen mit Wünschen, Zielen und Hoffnungen. Allerdings sorgt die Verwandtschaft für ein gewisses Verständnis füreinander, weil man sich sehr oft in einer ähnlichen Ausgangssituation befindet. Das macht es bedeutend einfacher.
Was haben Sie getan? Ich habe nur das Richtige getan.
Wie definieren Sie das? Es steht im Einklang mit unseren Idealen.
Woher kam das Holz? Von einem Gartenzaun am Gehweg.
Und wozu haben Sie es benutzt? Um meine Ideale und die der anderen zu zeigen.
Hätten Sie Ihre Ideale nicht anders verdeutlichen können? Sie meinen, ob ich ausgereicht hätte einfach nur das Profilbild auf Facebook zu ändern oder irgendeinen Post zu liken? Das glauben Sie doch selbst nicht. Damit etwas passiert, muss man deutliche Zeichen setzen.
Reicht es nicht dem anderen zu signalisieren, dass man für ihn da ist? Aber was hilft es, wenn ich tröste und das Unvermeidliche abfange? Das ändert doch nichts an einer ungerechten Ausgangslage.
Und wie haben Sie mit diesen „deutlichen Zeichen“ sich solidarisch verhalten? Ich habe, die die für dieselben Dinge kämpfen wie ich unterstützt.
Was sagen Sie dazu, dass dabei ein Mensch zu Schaden kam? Denken Sie, dass in der französischen Revolution, in der für die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gekämpft wurde, keiner zu Schaden kam. Manchmal braucht es mehr Einsatz um Verhältnisse aufzulösen.
Angesichts der Tatsache, dass diese Menschen sich auf der anderen Seite des Erdballs befinden, muss ich Sie fragen ob es hierzu Absprachen gab? Typisch. Sie wollen die Probleme auch immer schön auf lokaler Ebene sehen. Nicht einmal über den Tellerrand blicken. Wachen Sie endlich auf! Unsere Welt ist heutzutage global. Ihr T- shirt ist um die halbe Welt gereist und mit dem Kauf oder Verzicht darauf setzen Sie deutliche Zeichen, wem Sie sich zugehörig fühlen und mit wem Sie sich solidarisch verhalten wollen.
Haben Sie konkrete Absprachen getroffen? Dafür brauchte ich keine Absprachen zu treffen. Man weiß doch, was man zu tun hat, wenn jemand unter jemand anderem Leiden muss, da braucht es keine Absprachen um zu verstehen.
Wie können Sie dann sagen, dass Sie für dieselben Ziele kämpfen wie die Menschen dort? Ich weiß es eben. Was soll die Frage, denn überhaupt. Sie können, doch auch nicht anhand eines abgeänderten Profilbilds mit französischer Flagge erkennen, wofür sich diese Menschen in ihrem Alltag einsetzen.
Kann es sein, dass Sie sich in einer Idee verrannt haben?
Damals konnte ich nicht antworten. Ich wusste es schlichtweg nicht. Lange kreisten meine Gedanken um diese eine Frage, denn konnte ich wirklich wissen was du willst wegen eines kleine Blutstropfens vor 15 Jahren? Oder fuhr ich nicht die Ellenbogen aus um meine eigenen Ziele zu verfolgen und tarnte es im Mantel der Solidarität? Wie weit darf man gehen? Doch nur so weit, dass das Gegenüber nicht zu Schaden kommt, nicht?