Serbien und ich (Part 1-5)
Lucy_in_the_sky berichtet von ihrer Reise zum Musikfestival in Guca. Unterwegs trifft sie sehr interessant Menschen und stellt dabei fest, dass Heimat auch immer ein wenig dort ist, wo man sich gerade zuhause fühlt.
Die Frage "Willst Du mit nach Serbien" beantworte ich mit einem schlichten "Ja, gerne."
Was genau ich da machen werde und wie, das weiß ich nicht wirklich. Wohl, dass dort irgendwo ein Musikfestival ist und wir per Anhalter dahin fahren.
Also Tasche gepackt, mit dunklen Ahnungen, als meine Mitbewohnerin mir Zelt, Isomatte und Schlafsack in die Hand drückt (na, passt schon, denke ich, habe ja manchmal bei uns Zuhause im Garten gezeltet - ein Irrtum, wie ich feststellen sollte).
Dann geht es Mittwoch morgen um acht Uhr los, raus aus Sofia (per Tram - aufgrund meines riesigen Rucksacks, in dem ich quasi meine ganzen Habgüter eingepackt habe, bleibe ich in den Trams stecken und weiß jetzt, wie sich Gregor Samsa fühlte, als er auf dem Rücken lag und nicht mehr hochkam).
Wir bilden Teams, was sich als unnötig erweist, denn ein serbischer Mann fährt in seinem blauen Fiat Transporter vor und nimmt uns alle fünf mit, also zu viert auf die Rückbank gequetscht und sich freuen. Und wir freuen uns noch mehr, als wir erfahren, dass der Fahrer, Raik, in sein Heimatdorf, wenige Kilometer entfernt von Guca, fährt.
Zufrieden von diesem grandiosen Zuspiel des Glücks verlassen wir Bulgarien, betreten Serbien zu den Klängen sämtlicher Abba Hits, die es gibt.
Raik ist ein unglaublich netter Mensch: Er zeigt uns Fotos, redet viel, lacht, er hat Zahnlücken, einen Bierbauch und der Fingernagel an dem rechten kleinen Finger ist sehr lang. Aber er ist unglaublich nett (wir verständigen uns in einem Mischmasch aus Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Bulgarisch, Serbisch; und wenn wir den anderen nicht verstehen, lächeln wir einfach nett drein).
Raik nimmt uns mit zu sich nach Hause, und bei Bier, Apfelschorle und Keksen lernen wir seine Frau, seinen achtjährigen Adoptivsohn und seinen Bruder kennen. Ich schließe diese Familie sofort ins Herz, denn sie sind unglaublich offen und freundlich - besonders die Art, wie alle mit dem Sohn umgehen, voller Wohlwollen und Liebe, beeindruckt mich.
Dann beschließt Raik, uns noch nach Guca zu fahren - wenn dann, denn schon. Erwähnte ich, dass ich ihn und seine Familie liebe? Wir werden an einer Tankstelle abgesetzt. Raik sagt, dass er uns am Sonntag abholen kann, weil er dann wieder nach Sofia fährt (ja, wie hatten wirklich Glück). Da sind wir also, in Guca.
Fünf Tage Festival, Campen, Menschen und Bier. Ich werde nicht allzu sehr ins Detail gehen (ich kann mich nur schwer kurzfassen, aber ich werde es versuchen). Wir campen abgelegen (gegen meinen Willen, ich wollte auf den Campingplatz mit Dusche), eine halbe Stunde vom Zentrum entfernt, im Garten von Baba Leba (Oma Schönheit), einer alten Frau, die wir einfach fragten, ob wir bei ihr campen dürfen. Es gibt sogar fließend Wasser (okay, es ist kalt, aber es ist etwas).
Baba Leba. Sie ist zitterig, hat schlohweiße Haare, sie raucht und die Zigarette zittert in ihrem Mund. Aber ihr Händedruck ist unglaublich stark und ihre Augen - sie sind so blau und klar und so schön. Sie freut sich, dass wir hier sind, sagt, ihr Enkelsohn käme demnächst aus Belgrad mit seinen Kollegen.
In den nächsten Tagen lädt uns Baba Leba öfters zu einem morgendlichen Kaffee ein, der meistens mit Rajika endet und zwar nicht einem, sondern mindestens drei (weil der erste nicht schmeckt, der zweite noch gewöhnungsbedürftig ist und erst der dritte richtig gut).
Als wir eines Abends für eine halbe Stunde bei ihr vorbeischauen, stopft sie uns mit Keksen voll. Und wann immer man keinen Keks hatte, war da die Dose vor der Nase. Ich habe, ohne Witz, in dieser halben Stunde acht Kekse gegessen - Baklave und Walnuss Dinger -, und war danach so total auf Zucker, dass ich später beim Konzert gar keinen Alkohol trank. Als wir uns am Sonntag von ihr verabschieden, drückt sie uns lange, gibt uns Omaschmatzer und gute Ratschläge auf den Weg. Baba Leba - auch sie habe ich ins Herz geschlossen.
Guca. Balkanmusik. Das heißt im Groben: Trompeten und Pauken und an jeder Ecke eine Band, ein Dolbysurround aus Blasmusik. Die Menschen tanzen in den Straßen dieses Dorfes, es wird von Tag zu Tag voller, viele Sinti und Roma (will ja korrekt bleiben und sie nicht Zigeuner nennen), die einen anbetteln, aber auch mit einem tanzen, und zwar viel besser als man selbst.
Betrunkene Menschen, Grillgerichte (die Serben grillen wirklich alles, und essen scheinbar alles mit Fleisch; ich ernährte mich während dieser fünf Tage von Cola, Bier, Rakjia, Brot und Schokolade - klappte ganz wunderbar), gute Laune, Party nonstop, chillen im Park, viele Franzosen, Serben, einige Deutsche, wir treffen einen Jungen aus Jerusalem, Konzerte im örtlichen Stadion.
Balkanmusik ist perfekt zum Trinken und Tanzen. Es hat Spaß gemacht, jeden Abend zu feiern, bis in die Puppen zu schlafen, und dann wieder zu feiern. Die Serben, die wir kennenlernen, laden uns zum Bier ein, flirten und sind total offen und locker. Ich liebe die Serben. So viel zur Musik und unserem Zeitvertreib. Ich hätte es nie glauben mögen, aber ich habe die Musik und das Tanzen und Trinken wirklich geliebt (und jetzt bin ich froh, hier keine Trompeten mehr zu hören).
Der Enkelsohn von Baba Leba trifft mit acht Freunden am Freitagabend ein. Sie schlagen ihr Zelt neben unserem auf, zum Kennenlernen ein Rakjia (ich mag eigentlich nur Bier, aber man will nicht unhöflich sein).
Unsere Zeltnachbarn sind lustig und freundlich, teilen alles, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen (etwas, was alle Serben, egal wie nüchtern oder betrunken gemacht haben - geteilt, nach dem Motto "mein ist Dein"). Es ist eine lustige Zeit mit ihnen, sie sagen, wir sollen doch nächstes Jahr wiederkommen und bei ihnen zelten. Also, falls jemand Bock auf Guca hat - ich hab ne Campingmöglichkeit.
Dann ist es vorbei. Es geht zurück nach Sofia (für drei von uns, weil die anderen zwei durch Serbien tingeln wollen - gestern erzählte mir Viktor, sie wären gerade in Albanien, auf dem Weg nach Mazedonien). Raik holt uns um drei ab, will aber erst gegen Mitternacht aufbrechen und vorher noch schlafen. Also verbringen wir den Tag bei ihm zuhause.
Die anderen legen sich schlafen oder schauen sich vom Bett aus Olympia an, Ich spiele mit Michell, dem Sohn. Es ist lustig, denn ich kann von dem, was er sagt, kein Wort verstehen, aber es funktioniert. Ich liebe diesen kleinen Fratz. Später, als ich mich auch hinlege und fernsehe, kommt er kuscheln. Und als ich gehe, schenkt er mir sein Lieblingsspielzeug und schreibt seinen Namen drauf. Er zeigt mir, wie ich es in der Tasche verstecken kann. Er weint, als wir abfahren.
Die Frau von Raik macht Abendbrot (und was für eins, super lecker, obwohl es Salat war - ergo gesund), redet ein wenig Englisch mit uns. Sie lächelt und sagt mir, ich sei sehr hübsch und vom Charakter wie ihre Tochter, ein wenig auf Distanz (das liegt aber eher daran, dass ich von den Gesprächen nicht mal ein Sechstel verstehe und deswegen nur blöde lächelnd dastehen kann). Ich mag sie trotzdem und ich könnte weinen, als ich höre, dass sie Krebs hat, denn ich finde sie ehrlich bewundernswert.
Dann die Fahrt durch die Nacht, mit tausenden Sternen über der Autobahn. Zurück nach Sofia. Schlafen geht nicht wirklich, im Auto sind gefühlte -100 Grad, selbst der Schlafsack hilft nicht viel.
Ein herzlicher Abschied von Raik. Er sagt, wann immer wir Hilfe brauchen, wir haben ja seine Karte, und ich glaube ihm das. Um sieben komme ich an meiner Wohnung an, kann die Tür nicht öffnen, denn der Schlüssel steckt von innen.
Ich warte bis halb acht, dann schelle ich. Ich will nur in mein Bett. Elena öffnet, sieht mich überrascht an: In mein Bett kann ich nicht, da liegt ihre Cousine (sie hat ihre Familie zu Besuch, vier sind im Appartment von Viktor und Lourriane, die mit in Serbien waren, drei bei uns, und eine in meinem Bett). Macht nichts, lüge ich, bin eh nicht müde. Ich gehe duschen und kaufe mir zum Frühstück eine Baniza mit Käse.
Es ist seltsam, es scheint ewig her, seitdem ich Deutschland verlassen habe. Ich habe Serbien kennengelernt, war campen, treffe ständig neue Menschen. Und als ich nach sieben Stunden Autofahrt durch die Nacht in Sofia angekommen und vor der Türe meiner Wohnung stand, dachte ich "endlich zuhause".
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