Schwarzweiß
Katharina Schütz, 18, erlebt Europa bereits als etwas Alltägliches, für sie sind die Grenzen zwischen den einzelnen dazugehörigen Ländern nur schleierhaft vorhanden. Ganz anders ergeht es scheinbar dem Protagonisten ihrer Kurzgeschichte.
Der alte Mann stopfte sich gemütlich seine Pfeife und ließ seinen Blick über die gegenüberliegende Wand schweifen. So viele Jahre vergangen, so viel Zeit verstrichen. Die Fotographien flüsterten leise Geschichten, die weit in der Ferne lagen.
Der weiche Sessel in der warmen Stube wich hartem, steinigen Boden. Der Schützengraben- umgeben von toten Körpern und blutigem Lärm. Zitternd wackelte die Pfeife in seiner Hand. Die Frau auf den Bildern, fast immer die gleiche; eine schöne Frau mit einem strengen Haarknoten. Seine Frau – doch nun vergangen, wie so manches auf der Welt.
Wehmütig lächelnd dachte er zurück, an verlorene Tage, fast schon vergessene Momente. Damals liefen die Uhren anders, der Rhythmus vibrierte nicht so wie heute. Feinde waren Feinde, Frauen waren noch Frauen und jeder hatte Arbeit. Die Welt drehte sich geordnet, übersichtlich und verlief in geraden Bahnen. Heute läuft alles kreuz und quer, dass einem schwindelig wird.
Er hob die Pfeife an seinem Mund und paffte genüsslich daran. Was ihm geblieben war, war seine Pfeife, aus Holz geschnitzt, von einem Kriegskameraden am Sterbebett geschenkt. Ach, wie stark war sein Hass auf den Feind gewachsen, als sein Freund gestorben war. Die scheiß Franzosen!
Schwarz weiß leuchteten die Bilder von der Wand, nahmen den ganzen Raum in den Besitz. Fordernd, drängend. Er war hinaus gestürmt aus dem sicheren Versteck und hatte wild um sich geschossen. Gefühlt wie ein Held hatte er sich. Die Feinde fielen nieder und färbten braunen Dreck rot. Der einst junge Mann achtete nicht darauf, denn er war von Früh bis Spät umgeben, von Leid und Qual und Tod. Er kämpfte sich durch das Schlachtfeld und wurde geehrt als treuer Verteidiger des Vaterlandes. Zwar wurde ihm das Bein dabei weggeschossen, doch er scherte sich nicht darum. Die Frauen mochten das, Männer zu pflegen und eine, eine ganz besonders.
Der Krieg zog vorüber, doch Feind blieb Feind und Grenze noch Grenze. Sogar durch Deutschland hindurch wurde eine gezogen. Der Mann wurde älter, die Familie um ihn größer. Die Frau, die ihm damals den Stummel Bein verarztet hatte, war nun seine Frau und mit ihr hatte er Kinder. Die Kinder verließen bald das Haus, verstreuten sich in der Welt, die immer größer wurde. Grenzen schienen sich aufzulösen.
Aber der Gram aus alten Zeiten blieb erhalten und trotzig rauchte er seine Pfeife. Immerzu glimmte das Kraut. Und als seine Frau starb verließ er den Sessel nicht mehr und starrte hinüber zu den schwarz weißen Fotographien. Und die Zeit wandelte sich, während er sitzen blieb und kommentarlos zusah.
Der alte Mann kehrte zurück, besann sich dem Jetzt und Hier. In das einsame Zimmer des Altenheimes kam wenig Besuch. Seine Tochter war irgendwo in Amerika Karriere machen. Von seinen zwei Söhnen hatte er lange nichts mehr gehört. Sie waren mit ihren eigenen Familien beschäftigt, die alte war verdrängt. Die große Welt hatte sie verschluckt, die Vertrautheit des kleinen, heimischen Herdes.
So war es kein Wunder, dass der alte Mann sehnsuchtsvoll auf die Uhr sah, die neben den Fotos tickte. Und er auf den Rettungsanker seiner Eintönigkeit wartete.
Da klopfte es schon an der Tür. Mit gelöstem Gesicht bat er um eine „Herein“. Dann trat sie ein, die junge Besucherin und wirbelte mit froher Leichtigkeit um den Sessel, um dem alten Mann das Kissen aufzuklopfen. „Es wirt seit für ihre Spaziergang, ´Err ´Einze“, erklärte die Altenpflegerin beherzt mit ihrem französischen Akzent und reichte dem Herrn seine Krücken.
Der Mann ließ sich aufhelfen und humpelte mit ihr in Begleitung zur Tür. Kurz schaute er noch mal zurück zu den Bildern und beschloss die Fotos in einem anderen Teil des Zimmers aufzuhängen. Es gab viel schönere, fröhlichere Bilder, die er aufhängen konnte. Wo doch die Landschaft so nah an der französischen Grenze herrlich bunt war.