Schnee in Lublin III
Weitere Besichtigungen in Lublin stehen für Johannson auf dem Programm. Dabei entdeckt er einen der schönsten Orte seiner Reisen: einen jüdischen Friedhof aus dem 15. Jh. Gut nur, dass er jemanden dabei hat, der diesen Moment mit ihm teilen kann.
Sonntag
Sonntag kamen wir so natürlich nicht vor Mittag los. Was Majdanek von der jüdischen Gemeinde übrig ließ, wagt sich nach 1968 nur langsam an die Öffentlichkeit. Wir besuchten einen Gedenk/Gebetsraum, in einem normalen Wohnhaus des ehemaligen jüdischen Viertels hinter einem Eisengitter versteckt. Nach dem Klingeln schaut eine Frau sehr vorsichtig, wer da ist, woher wir kommen... ausgerechnet unsere Nationalität bricht dann scheinbar das Eis. Sie passt diesen Nachmittag mit ihren zwei Kindern auf den Raum im ersten Stock auf und wir bekommen eine Menge aus ihr heraus. Bis vor kurzem wusste sie gar nichts von ihrer jüdischen Vergangenheit, der Opa hatte aus guten Gründen nie was erzählt. Sie hat daraufhin ihre Arbeit verloren, der Bruder emigrierte sofort nach Israel. Wie die Situation in Deutschland ist? Als wir gehen, klingeln zwei junge Männer. Freundlich, Dreadlocks, die Frau sagt trotzdem man hat „nicht allzu sehr geöffnet“.
Für die Entscheidung 'letzte Synagoge oder alter jüdischer Friedhof' ziehen wir uns in den Supermarkt am Basar um den Busbahnhof zurück. Mit Eva erlebt man noch diese typischen Freiwilligensachen, wie gemeinsam den fettesten, leckersten Kuchen aus dem Supermarkt kaufen und auf der Treppe neben Kasse und Spielautomaten zu essen, weil es draußen zu kalt ist, die Finger aus den Taschen zu nehmen.
Wir wählen den Friedhof, der ist nicht weit. Der ist mindestens aus dem 15. Jh. und hinter einer hohen Mauer verschlossen. Den Schlüssel hat eine ältere Frau im Block nebenan. Auch sie öffnet sehr vorsichtig, scheint das Interesse nicht zu erwarten, bittet am Ende um eine kleine Spende. Ausdrücklich nicht für den Friedhof, sondern für sich selbst. Tja, der Friedhof... der perfekte Ort für einen Heiratsantrag. Ein kleiner Hügel gegenüber der Altstadt, uralte Grabsteine im knöcheltiefen Schnee, der tiefe Winterhimmel reflektiert das orange Straßenlicht auf die Erde, der Schnee reflektiert es zurück. Einer dieser magischen Orte, die man nicht beschreiben kann. Einer der schönsten, die ich auf Reisen gesehen habe; der schönste auf jeden Fall in Lublin. Gerade jetzt im Schnee, im kalten Winter, in der Dämmerung. Und so schön, jemanden dabei zu haben, der das gleiche sieht.
Abends ziehe ich in die Jugendherberge, da Eva ab morgen wieder früh raus zur Uni muss. Aus der gemütlichen Wohnung in die kalte Nacht zu gehen, wo wir auch gerade noch mit der sonst verschlossenen estnischen EVS Freiwilligen zu quatschen angefangen hatten... nach drei Tagen in Gesellschaft, Ausgehen und Leben in die stille, sterile, fast leere Jugendherberge zu gehen, das zeigte einen Trend: Reisen alleine reicht immer weniger.