Same but different
Wenn sich der Alltag einstellt, obwohl du von neuen Erfahrungen und Aufgaben nur so überschüttet wirst. Wenn Recycling nicht gleich Recycling ist und Kekse zwar Kekse, aber eben anders.
Der Wecker klingelt 7:45 Uhr. Erst duscht Jonas, dann ich. Gemeinsames Frühstück (Cornflakes oder Müsli), Rucksack packen, 8:45 Uhr spätestens los, damit ich 9 Uhr pünktlich auf Arbeit bin. So sieht also meine neue Morgenroutine aus. Irgendwie schon komisch, dass sich der Alltag langsam, aber sicher einstellt, wenn man bedenkt, dass 2 Wochen hier eigentlich auch Urlaub sein könnten und es immer noch so viele neue Eindrücke und Aufgaben gibt.
So begann mein Montag zum Beispiel damit, Kristin und Viktor kennen zu lernen, die in meiner ersten Woche hier in Ungarn gewesen waren. Ich hatte kurz vor Ostern mit den beiden mein Skype-Gespräch gehabt und ansonsten nur über E-Mail Kontakt, weshalb ich ziemlich nervös war, als wir uns im Büro zur Fika trafen und in lockerer Atmosphäre unterhielten. Während Jonas ab jetzt mit Anna und Kristin im Europa Direkt Büro arbeitet, werde ich Viktor im Young Innovation HUB unterstützen. Den Tag verbrachten wir aber erst einmal zusammen mit unserem Projekt „Time to move“, das uns vor des Problem der schwedischen Tastatur stellte: Ein ß ist den Schweden unbekannt, wenn man wie gewohnt das Z drückt, steht plötzlich ein X auf dem Blatt und ein Ü, bei dem alle Einheimischen nur verwundert die Stirn runzeln, wird zu einem A mit einem Kreis darüber, also einem (kurz Tastatur umstellen) Å. Unser erster Waschtag und der Gang zur Recyclingstation um die Ecke am Nachmittag stellten uns dann vor weitere Rätsel. Zwar fanden wir bei den Gemeinschaftswaschmaschinen Geräte von Miele vor, aber so gut ist unser Schwedisch dann auch noch nicht, um ohne Übersetzer zu wissen, welche Einstellung nun für Koch- und Buntwäsche und welche für Feinwäsche ist. Und wer kann denn schon wissen, dass die Schweden nicht nur in Zeitungen, Briefumschläge und sonstiges Papier unterscheiden, sondern in den Plastikmüll auch nur Verpackungen und keine kaputten Plastikdeckel werfen. Die Anleitung war an dieser Stelle zum Glück bebildert, sonst wäre wegen Jonas und mir jetzt das ausgeklügelte schwedische Recyclingsystem gestört worden.
Am Dienstag war ich dann das erste Mal mehr oder weniger auf mich alleine gestellt. Während Jonas und ich die Tage vorher immer gemeinsam verbracht hatten und er dabei mehr geredet hatte als ich, musste ich bei der Führung durchs Young Innovation HUB mit Viktor und den vielen Formularen, die ich dabei unterschreiben musste, ohne seine Hilfe auskommen. Zwar ist mein Englisch nicht so schlecht, aber plötzlich niemanden mehr bei mir zu haben, der übersetzt, falls ich nichts verstehe, oder bei einer meiner üblichen Wortfindungsstörungen hilft, verunsicherte mich doch ein wenig. Das gehört bei einem Auslandsaufenthalt aber nun einmal dazu und macht das ganze ja auch erst spannend, weshalb Viktor und ich es mit Humor nahmen, als er versuchte, mir die zu unterschreibenden Texte aus dem Schwedischen ins Englische zu übersetzen. Nach dem Vormittag fühlte ich mich dann auch schon sicherer und ertappte mich sogar dabei, einen weiteren Stichpunkt auf meiner To-Do-Liste in Englisch verfassen zu wollen. Auch der Versuch Viktor zu erklären, warum die normalen schwedischen Schokokekse in der Küche ein Foto an meine Familie nach Deutschland wert waren, bereitete mir keine allzu großen Schwierigkeiten. Er kann ja nicht wissen, dass man in Deutschland bei der Suche nach veganen Schokokeksen genau wissen muss, wo diese zu finden sind, wohingegen in Schweden kistenweise solcher Leckereien im Supermarkt herumstehen, die nicht einmal mit "vegan" gekennzeichnet sind, weil es sich hier doch um "normale" Schokokekse handelt. Dass meine Familie mit den schwedischen Keksen aber eine noch etwas längere Geschichte verbindet, verschwieg ich ihm in der Mittagspause lieber. Dazu hätten meine Englischkenntnisse dann doch nicht ganz gereicht.
Die nächsten beiden Tage schienen dann wie von selbst zu vergehen. Der gleiche Tagesablauf, aber eben doch so viele neue Leute, denen ich bei ABF (einer Art Kulturhaus, mit dem wir in Zukunft zusammenarbeiten können) die Hand schüttelte, die Eröffnung meines schwedischen Kontos, fast wie zuhause aber eben mit Schwedischen Kronen und das erste Mal auf Schwedisch singen bei meiner Probe mit dem Jugendchor. Gleich, aber eben doch anders.
Auch mein Freitag scheint gut in diese Kategorie zu passen. Für Jonas und mich klingelte der Wecker an diesem Tag zwar schon zwei Stunden eher und um 9 Uhr waren wir nicht im Büro, sondern am Hauptbahnhof in Göteborg, aber da ich vor drei Jahren bereits schon einmal in der zweitgrößten Stadt Schwedens gewesen war, schienen mir einig Plätze bekannt, in der neuen Situation aber gleichzeitig trotzdem irgendwie fremd vorzukommen. Nach einem kurzen Abstecher ins Naturkundemuseum trafen wir uns mit Dario und Tuba, zwei anderen ESKler, zur Fika. Im Urlaub war ich noch an dem kleinen unscheinbaren Café vorbei gelaufen, jetzt schaute ich nach draußen und ließ mir einen schwedischen Kladdkaka schmecken während Dario von seiner Heimat Italien erzählte und Tuba über die Aufgaben der beiden bei ihrer Aufnahmeorganisation sprach. Die vielen Eindrücke des Tages und unsere vom Laufen schweren Beine waren der Grund, warum Jonas und ich gleich nach der Rückkehr in Åmål müde ins Bett fielen und am nächsten Tag erst gegen Mittag wieder aufstanden.
Gut ausgeschlafen mussten wir auch sein, denn für den Samstag stand dick und fett Ericas Ankunft im Kalender und unserer neuen Mitbewohnerin und Freiwilligen aus Italien wollten wir natürlich ein gebürtiges Willkommen bereiten. Das bedeutete also ordentlich staubsaugen, Müll wegbringen und leckeres Essen kochen. Für das Lichterfest am Abend blieb nach einer kurzen Wohnungstour und Schokoladenpudding zum Nachtisch zum Glück noch genug Zeit, denn die Innenstadt und den Hafen Åmåls im Lichterglanz zu sehen und über uns gleichzeitig nach Sternschnuppen Ausschau zu halten, war dann doch ein Erlebnis für sich. Und auch wenn die Sterne hier genau die gleichen sind wie auf der Wiese hinter unserem Haus in Deutschland, schienen sie gestern doch ein wenig heller zu glitzern. Eben same but different.
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