Rumänische Sonnenstunden
„In the summertime when the weather is fine…” Dieses Kinderlied mit Ohrwurmpotenzial stellt dank DJ Pepe seit dem großen Fest zum internationalen Tag der Kinder am ersten Juni nicht nur einen immer wiederkehrenden Soundtrack in unserem Haus und auf Reisen dar, es unterstreicht auch perfekt die Sommerstimmung, die in letzter Zeit endgültig bei uns eingekehrt ist.
Nach dem Besuch meiner Familie im Mai ging es bald darauf mit der „National Week of Volunteering“ (deutsch: „Nationale Woche der Freiwilligenarbeit“) und den damit verbundenen Vorbereitungen weiter. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen besuchten wir mehre Schulen und Universitäten und erzählten dort über unser Projekt und die Möglichkeit eines Europäischen Freiwilligendienstes für junge Menschen allgemein. Außerdem informierten wir über dasselbe Thema an einem Stand, den wir im Zentrum aufgebaut hatten und verteilten selbstgestaltete Flyer dazu. Als eigeninitiiertes Projekt sammelten wir zusätzlich noch Wissen über Recycling und gaben interessierten Personen Auskunft dazu, da wir festgestellt hatten, dass dieses Thema in Rumänien bislang noch ziemlich unbeachtet bleibt und fast keine echten Möglichkeiten zur Mülltrennung existieren. Innerhalb der Woche warben wir mit unseren selbstgebastelten Recyclingcontainern dafür und sammelten Unterschriften für Leute, die gerne mehr Recyclingstationen in der Stadt Târgu Mureș hätten. Wir waren sehr zufrieden, dass wir doch einigen Leuten begegneten, die sich für unsere Projekte interessierten und mit ihren Unterschriften und Müll-„Spenden“ sogar aktiv mithalfen.
Eigentlich hatten wir geplant, noch am selben Freitag unseren Roadtrip in Richtung Serbien zu beginnen, doch nach einigen Komplikationen mit Transportmitteln, Krankheitsfällen und Planungsunstimmigkeiten, wurde die Reise doch um einen Tag nach hinten verschoben und wir nutzten die Zeit, um Joãos 23. Geburtstag mit einem Picknick in der Zitadelle von Târgu Mureș zu feiern. Da zur gleichen Zeit sowohl Elisas Schwester, als auch eine Freundin von Julia nach Rumänien kamen, fuhren wir am Samstag in verschiedenen Gruppierungen zunächst nach Timişoara (nur die arme Ellen musste krankheitshalber ganz daheim bleiben), wo wir einen gemütlichen Tag verbrachten und dann zu fünft den Zug nach Belgrad (deutsche Übersetzung: „weiße Stadt“) bestiegen. Wir waren alle ein wenig aufgeregt, nun die EU-Zone zu verlassen und wussten nicht so recht, was uns in diesem Land erwarten würde, da wir die Reiseroutine und Sprachkenntnisse, die wir uns in Rumänien inzwischen angeeignet haben, in Serbien nicht komplett anwenden konnten. So kam es auch, dass wir gleich am ersten Abend massiv mit der anderen Währung, der fremden Sprache und Schrift und betrügenden Taxifahrern zu kämpfen hatten und etwas deprimiert und aufgewühlt von der Reise spätabends in unserem Apartment ankamen. Am nächsten Tag ging es glücklicherweise mit positiveren Erfahrungen weiter und nachdem die anfänglichen Schwierigkeiten einmal überstanden waren gefiel mir die serbische Hauptstadt an der Mündung der Save in die Donau ausgesprochen gut. In einer Stadttour lernten wir einige von Belgrads Sehenswürdigkeiten und erfuhren viel über die Geschichte der Stadt mit ihren heute etwa 1,2 Millionen Einwohnern, das ehemalige Jugoslawien und die Balkanstaaten. Am nächsten Tag gingen wir noch auf eigene Faust auf Erkundungstour und trafen uns gegen später mit einem mazedonischen Freiwilligen, den Pepe auf seinem Midterm-Seminar kennengelernt hatte, und der uns auf den 511m hohen Hausberg Avala mitnahm, von wo aus wir einen spektakulären Blick auf die Stadt und die Umgebung hatten.
Während Elisa, ihre Schwester und João beschlossen, schon wieder nach Târgu zurückzufahren, wollten Pepe und ich den Urlaub noch nicht so schnell beenden und reisten mit dem Zug weiter in Serbiens zweitgrößte Stadt Novi Sad (etwa 230 000 Einwohner). Wenn man die geschäftige Großstadt Belgrad mit Rumäniens Hauptstadt Bukarest vergleicht, kann man sagen, dass Novi Sads Rolle eher dessen zweitgrößter Stadt Cluj-Napoca entspricht. Beide Städte sind von einem gemütlicheren Lebensstil und den zahlreichen Studenten geprägt und haben meiner Einschätzung nach ein ursprünglicheres altes Zentrum. Novi Sad liegt nahe des Fruška Gora Naturparks, weshalb ich die Gelegenheit auf eine gute Wanderung natürlich nicht auslassen konnte und wir einen Tag durch die wunderschönen Wälder und Hügel dieses Mittelgebirges stapften, wo man bis auf zwei abgelegene Klöster fast keiner menschlichen Zivilisation begegnet. Insgesamt hat der Urlaub nun auch mein Interesse für die Balkanregion geweckt, die sich landschaftlich und kulturell doch noch deutlich von Rumänien unterscheidet und wir haben uns fest vorgenommen noch einmal zurückzukehren und auch die südlicheren Regionen Serbiens, Kroatien und Montenegro zu erkunden, da uns dies von zahlreichen Einheimischen wärmlichst empfohlen wurde.
Bei der Arbeit stand als nächstes das Projekt „Școala Altfel“ (deutsch: andere Schule) an, bei dem Schulklassen mit Kindern zwischen acht und dreizehn Jahren in die Foundation kamen und selbständig das Thema „Diferit dar impreuna“ („Verschieden aber zusammen“) in drei Workshops interpretieren sollten. Die Mitarbeiter von START stellten lediglich die Materialien für ein kleines Kunstwerk, eine Theaterszene und einen musikalischen oder tänzerischen Moment zur Verfügung und gaben eine kleine Einführung, bevor die Kinder in den Gruppen zu arbeiten begannen, wobei wir ein wenig mit Ideen unterstützen. Danach stellten sie das Erarbeitete ihren Klassenkameraden vor und durften manchmal danach noch in der Foundation spielen und zu Mittag essen. Obwohl ich mir mit meinen mangelhaften Ausdrucksmöglichkeiten im Rumänischen zeitweise ziemlich hilflos vorkam, besonders als ich eine wild gewordene Schulklasse im Relaxing-Raum beaufsichtigen sollte und sie davon abhalten musste, das schöne Wasserbett und alle Kuscheltiere und Kissen zu zerstören, waren die Ergebnisse der Workshops meistens sehr kreativ und die Arbeit hat allen großen Spaß gemacht.
Am ersten Juni organisierte die Foundation anlässlich des Internationalen Tags der Kinder ein großes Fest für Familien aller Art aus der Stadt. Man traf sich auf der kleinen Farm, wo wir im Herbst schon einmal mit unserem Mentor Alex und im Winter mit den ATRIUM-Youngsters zum Reiten gewesen waren. An diesem Tag drehte sich alles um Ritter, Damen und Pferde im Mittelalter und fast alle Mitarbeiter der Foundation waren da und halfen an den Ständen mit Spielen, Bastelarbeiten, kleinen Wettbewerben, beim Gesichter schminken, verkleiden oder beim Essen. Ich habe zwar insgesamt nicht viel von den anderen Aktivitäten mitbekommen, da ich den ganzen Tag sehr damit beschäftigt war mit den Kindern Grußkarten mit Regenbögen zu basteln und kleine Flaggen zu verzieren, dennoch würde ich sagen das der Tag ein voller Erfolg und die Stimmung bei Kindern, Eltern und Mitarbeitern ausgesprochen gut war.
Nur eine gute Woche später nahmen wir am nächsten wichtigen Großevent für die Foundation teil. In Târgu Mureș findet einmal im Jahr ein Schwimm-Marathon statt, bei dem Organisationen in Teams von fünf Personen antreten können und dabei Spenden für soziale Projekte einsammeln. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlich bei allen meinen Verwandten bedanken, die unser Projekt so großzügig unterstützt haben! Leider waren die abgegebenen Spenden insgesamt nicht genug, um die erwünschte „Hippotherapie“, eine Therapie für die ATRIUM-Youngsters mit Pferden, zu finanzieren, aber das Geld wird mit Sicherheit dennoch sehr sinnvoll für die Gruppe geistig behinderter Erwachsener eingesetzt.
Auch sonst genießen wir den Sommer in vollen Zügen und wenn es nicht gerade viel zu heiß ist oder ein Gewitter heraufzieht, nutzen wir die Zeit damit, mit unseren Mentoren und Kollegen zu grillen oder Kirschen zu essen, zu wandern (noch einmal im Cheile Turzii und in der Piatra Singuratica) oder ins Freibad zu gehen. Wie schon in den kalten Monaten schätze ich es hier in Rumänien sehr, dass die Jahreszeiten endlich einmal ihrem Namen gerecht werden und nicht wie so oft in Deutschland einen nassen, mittelkalten oder lauwarmen Kompromiss abliefern. Nach dem schön kalten Winter beweist sich nun auch auch der Sommer von seiner besten Seite und bringt viel Sonne und relativ stabil warmen Temperaturen mit sich, die dazu einladen, sich draußen in der Natur aufzuhalten. Unser monatlicher Ausflug mit den Kollegen führte uns daher auch in die Karparten, wo wir einen sonnigen Tag an zwei Seen, einem Wildtierreservat und der Kleinstadt Băile Tușnad verbrachten. Gegen Abend trafen wir nicht nur einige unserer befreudeten Mitfreiwilligen aus Cluj und Tușnad wieder, sondern machten am Stankt-Anna-See sogar die aufregende Bekanntschaft mit einem echten Bär, der nicht einmal fünfzig Meter von uns entfernt am Waldrand vorbei spazierte!
Als weiteren Kurztrip war ich nun endlich auch mit Pepe und einem seiner Freunde aus Spanien in Maramureș, der sehr traditionell belassenen Region im Nordwesten Rumäniens. Wir mieteten für zwei Tage ein Auto und konnten so optimal all die kleinen Dörfer, Klöster und die bekannten Holzkirchen, die als UNESCO Weltkulturerbe gelten erkunden. Außerdem waren wir in der Hauptstadt des Gebietes Maramureș, Baia Mare (etwa 124.000 Einwohner), in Sighetu Marmației nahe der ukrainischen Grenze, wo es ein sehr interessantes historisches Museum in einem ehemaligen kommunistischen Gefängnis gibt, und besuchten den „Lustigen Friedhof“ (auf Rumänisch „Cimitirul Vesel“) in Săpânța, auf dem jedes Holzkreuz aufwändig verziert und mit kleinen Geschichten über den Begrabenen ausgestattet ist.
Direkt im Anschluss hatten Elisa und ich die große Ehre, sogar noch eine rumänische Hochzeit mitzuerleben, zu der uns eine Freundin, die wir auf dem Flashmob-Projekt kennengelernt hatten, einlud. Zu der Feier lässt sich vor allem sagen, dass die Musik, gespielt von einer traditionellen Roma-Band, sehr, sehr laut und das Essen viel zu viel war. Angefangen um acht mit einem ganzen Teller Vorspeisen ging es danach im Abstand von ein bis eineinhalb Stunden mit den anderen Gängen weiter, bis wir nach Suppe, Salat, Hauptgang und Hochzeitstort nachts um drei noch einmal von einem riesigen gegrillten Steak mit sauren Gurken und Kartoffeln überrascht wurden. Trotz der extremen Überfütterung genossen wir dank der Gesellschaft der netten Schwester des Bräutigams dennoch die Nacht und lernten einige der kuriosen auf Hochzeiten vertretenen Charaktere (die unermüdlich Tanzenden, die ständig zum Tanzen Animierenden, die unmotivierten Arbeitskollegen in der Ecke des Raumes oder die eine Person, die niemand kennt, die mit niemandem spricht, aber trotzdem bis ganz zum Ende bleibt) sowie neue rumänische Volkstänze kennen, bevor wir todmüde von dieser Erfahrung in unsere Betten fielen.
Leider hieß es danach schon bald, Abschied von unserem spanischen Mitbewohner Pepe zu nehmen, da dieser schon einige Wochen früher als wir anderen, wieder in sein Land zurückkehrte. Zuvor hatten wir bei uns Zuhause noch seinen Geburtstag mit Kollegen aus der Foundation gefeiert und kurz darauf seine Familie kennengelernt, die Rumänien auch noch einen Besuch abstattete und natürlich gab es auch in der Arbeit noch ein offizielles Meeting mit den Angestellten, das auch uns wieder vor Augen führte, wie kurz die verbliebene Zeit hier ist. Doch selbst wenn der Abschied von unseren Freunden, Kollegen und natürlich auch den Youngsters sicher sehr emotional und schwer wird, freue ich mich jetzt auch, meine Freunde und meine Familie in Deutschland wiederzusehen und im Herbst mit dem Studium zu beginnen.