RUMÄNIEN | Ende von West
Ein Gespräch mit einem Tankwart an der ungarisch-rumänischen Grenze ist nichts für Unschlüssige. Kaum dass ich erwähnt habe, ein paar Wochen in Rumänien zu verbringen, zeigt seine sonst unbewegte Mine Zeichen von Besorgnis. „Bist du sicher?“ knarzt er in gebrochenem Deutsch. „Meine Tankstelle ist Niemandsland. Und Niemandsland ist Ende, Ende von West.“
Ein Gespräch mit einem Tankwart an der ungarisch-rumänischen Grenze ist nichts für Unschlüssige. Kaum dass ich erwähnt habe, ein paar Wochen in Rumänien zu verbringen, zeigt seine sonst unbewegte Mine Zeichen von Besorgnis. „Bist du sicher?“ knarzt er in gebrochenem Deutsch. „Meine Tankstelle ist Niemandsland. Und Niemandsland ist Ende, Ende von West.“
Es ist heiß in der Puszta, und weiß Gott, es gibt keinen langweiligeren Fleck auf Erden. Die Maisfelder erstrecken sich bis zum Horizont, entlang der Straße stehen ein paar windschiefe Bretterbuden, in denen man zollfrei einkaufen kann. Niemand macht Gebrauch von dieser Gelegenheit, denn was immer man dort kaufen könnte, in Rumänien ist es billiger. Die Soldaten und Polizisten, die durchs Bild schleichen, blicken so jenseitig, als ständen sie kurz vor der Pensionierung. Es ist der perfekte Ort darüber nachzudenken, wie seltsam die Zeit an sich ist.
Die zitternde Hand des Tankwarts, der sich - offensichtlich betrunken - ans Autodach klammert, deutet auf einen von Hand bedienbaren Schlagbaum in der Ferne: die Grenze. Die Schweißperlen auf seiner Stirn rühren höchstwahrscheinlich von der Hitze, jedoch ahne ich, dass er sich nicht übermäßig bewegt hat.
Etwa 50 Kilometer und 783 Schlaglöcher landeinwärts, immer an brachliegenden Feldern vorbei, steigen unvermittelt die Berge der Nordkarpaten herauf. Die Luft wird merklich kühler und windiger, der Asphalt so porös wie Kernseife. Da nähert sich frontal ein Uniformierter. Die Rumänen sind bekannt für ihre puritanische Einstellung gewissen Dingen gegenüber. Ich halte alles bereit: Reisepass, Wagenpapiere, eine Packung „Jacobs Krönung“ für den Notfall. „Allemagne?“, fragt der Mann und leuchtet mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht. „Da.“ – „Cluj?“ – „Da.“ Er gestikuliert, ich solle die Tür öffnen. Im nächsten Moment sitzt er neben mir. „Was habe ich falsch gemacht?“, frage ich ihn in der Hoffnung, es nicht selbst aussprechen zu müssen. – „Gar nichts.“ Wie ich feststellen muss, habe ich soeben einen Tramper mitgenommen.
Cluj ist die größte Stadt der Provinz Transsylvanien mit etwa 350.000 Einwohnern. Sie hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Im Laufe der Jahrhunderte residierten hier Römer, Daker, Osmanen, Österreicher, Magyaren, Russen und zuletzt Rumänen. All diese Einflüsse schlagen sich im Stadtbild nieder, das zwar stark mitteleuropäisch geprägt ist, aber in seiner Zerrissenheit bereits den Orient ankündigt, welcher jenseits der Karpaten bestimmend wird.
Ich sitze mit Johann, der mir seinen richtigen Namen nicht verraten will, in einer Pizzeria am Marktplatz. Er hat Theologie studiert, den Wunsch Pfarrer zu werden dann aber für die Schauspielerei aufgegeben. Es sind noch ein paar seiner Freunde anwesend, deren unumstrittener Wortführer er ist. Am liebsten redet er deutsch, doch manchmal müssen wir auf Englisch und Französisch ausweichen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. „Es ist alles eine Frage des Mangels.“, sagt Johann. „Wenn du in den Bergen aufwächst, verstehst du das. Du treibst Schafe auf die Weide, und am Abend ist eines gerissen worden. Du wirst nie wissen, ob es ein Wolf war oder ein Bär oder ein Dämon. Es ist auch nicht wichtig. Aber du brauchst dieses Schaf, um zu überleben und du machst dir Gedanken, wie du die Weide sicherer machen kannst. Du würdest sie gerne mit Stacheldraht umzäunen, aber du hast kein Geld für Stacheldraht. Also betest du. Katholizismus plus Aberglaube: DAS ist rumänische Orthodoxie.“
Wie dieser Artikel entstand:
Der Artikel entstand für die von Studenten gemachte Zeitung „Sojus“ in Sachsen. Die Redaktion trifft sich jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat im Semester in der Villa, Lessingstraße 7 in Leipzig.
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