Reflexionen
Vanyesha berichtet zwischen Projekt und Sprachkurs über ihr neues Leben in Lettland. Besonders darüber, dass in ihrer neuen Heimat so einiges anders ist als in Deutschland.
So, hallo meine Lieben!
Es ist 14 Uhr und ich hab nichts zu tun, weil ich dienstags und donnerstags mittags um 16.30 Uhr Sprachkurs hab und naja. Da ich in meinem Projekt von 1 Uhr bis 19 Uhr arbeite und das genau in der Mitte liegt, lohnt es sich nicht nach Ligatne zu fahren. Denn dann müsste ich wieder zurück nach Augschligatne fahren, dort umsteigen um dann nach Sigulda zum Sprachkurs zu kommen, organisatorisch einfach unmöglich.
Toll, ich dachte also, dass ich dienstags und donnerstags einen sehr entspannten Tag hab, schlecht hingegen ist, dass man bei diesem wunderbar trüben Wetter echte Motivationsprobleme hat überhaupt aus dem Haus zu gehen. Resultat, ich sitz vor meinem Laptop und schreibe an euch, meine Lieben!
Wo wir gerade bei in der Wohnung sind, gestern war ich aufrichtig geschockt. Ich geh raus auf den Balkon um mit Marta zu quatschen und dann steht da mitten in der Wiese vor unserem Haus ein Kinderwagen mit durchsichtiger Regenplane drübergespannt mit Luftloch, und darin liegt - ja tatsächlich, ein kleines Kind! Und ich sag: "Marta, there is a child in there!" und sie: "Jaaah, at the beginning I was shocked, too. But well, here it's normal, the mother does it very often." Und genau wie Marta gesagt hatte, stand das Kind im Kinderwagen noch über eine Stunde lang draußen im Regen, dann kam die Mutter und hat Wagen mitsamt Kind wieder mitgenommen.
Was mir das klar gemacht hat? Ich wohn in einem Wohnblock wo es vielleicht einige Sozialfälle gibt. Ich meine, Betrunkene sieht man hier in Lettland sehr oft, z.B. war ich nach der Arbeit einkaufen, und als ich gerade an der Kasse stand kommt ein relativ junger und eigentlich sehr gut gebauter Mann rein. Vielleicht so um die 30-35 Jahre alt. Er geht zu dem größten Regal im Laden, das für Alkohol, nimmt sich zwei Alkoholzuckerwasser und stellt sich hinter mir an.
Betrunkenen schaut man lieber nicht in die Augen, manche werden da aggressiv, also hab ich nur unauffällig geschielt. Er hat beachtlich nach vorn (ah, hoffentlich fällt er nicht nach vorn auf mich drauf, hab ich gedacht) und nach hinten geschwankt, hat einen sehr auf seinen Körper konzentrieren Gesichtsausdruck gehabt, hat friedlich seinen Alkohol bezahlt und ist dann draußen davon getorkelt. Und das schlimme war, dieser Mann war in einem alter wo man noch was bewegen kann, unter den aufgedunsenen Zügen konnte man sehr gut erkennen dass er mal sehr attraktiv gewesen sein musste. Und so ist das hier eben zum Teil.
Auf dem Seminar meinte ein Leiter namens Karlis (ein sehr Lettischer und üblicher Name hier) "Wenn jemand auf der Straße umfällt hilft kein Lette weil jeder denkt er ist eben nur betrunken. Russen hingegen sind meist aufgeschlossener und dafür auch emotionaler als Letten." Na also wie alle Generalisationen ist auch das relativ, aber naja, Pauline hat mir eine ähnliche Geschichte erzählt. Eine alte Frau saß auf einer Bank an der Bushaltestelle wo sie gerade auch wartete. Und ein Bus kam, die Frau stand auf, torkelte Richtung Bus und fiel hin. Sie war so betrunken dass sie die paar Meter nicht gehen konnte.
Auf dem Boden ist sie dann langsam Richtung Buseingang gekrochen, und als sie etwa noch einen Meter oder zwei vom Buseingang entfernt war, ist der Bus dann wieder losgefahren. Keiner der Herumstehenden hat ihr geholfen, und laut Pauline war keiner besonders geschockt oder überrascht. Ich schließ daraus dass Alkoholsucht hier das größte Problem ist, und dieses Problem so verbreitet und alltäglich ist, dass keiner mehr Mitleid mit Betrunkenen hat.
Kaspars, der andere Leiter hat einen lettischen Spruch gesagt: "Nicht mein Acker, nicht mein Problem." Und wenn ich die Menschen hier vergleiche mit gemäßigten Deutschland und mit warmen Ländern wie Italien und Spanien, ja dann wird mir immer, immer mehr klar, wiiiiiiie viel Einfluss das Klima auf die Gemüter der Menschen hat. Weiß nicht ob ich das schon erzählt hab, aber Pauline und Marta meinten dass es im Winter zum Beispiel sehr üblich ist, zusammen diesen "schwarzen Balsam", hochprozentiger Alkohol, zu trinken.
Und nun spann ich den Bogen von trinken zurück zu meiner Wohnung: Vor meinem Wohnblock stehen fast immer zwei Betrunkene Männer rum. Aber das ist nicht gefährlich, weil man einen großen Bogen um sie machen kann, sodass man nicht an ihnen vorbei gehen muss.
Gestern hab ich das erste Mal meine Gruppe getroffen. Es sind Mädels im Alter von 15-17 Jahren und ein Junge der ein Programm macht für ein Schuljahr in Lettland auf die Schule zu gehen. Für den nächsten Montag ist geplant, dass wir in den Nationalpark in Gaujasmala gehen. Den Montag darauf fangen wir an zu malen, und zwar mit was ganz Chilligem, nämlich einen Bildraum mittels Farben gestalten und dann in diesen surrealen Bildraum ein realistisches Objekt setzen. Also genau das, was wir bei Frau Groß zum Schluss gemacht haben. Das ist nicht schwer und die Resultate sind wirklich toll.
Am Mittwoch wenn ich keine eigentliche Gruppe hab werd ich mich bemühen mit meiner Chefin zu reden und eine Volleyballgruppe zu gründen. In diesem Ort haben sie eine kleine Halle die genau so groß wie ein Volleyballfeld ist (ein klein wenig größer) und auch ein Beachfeld. Das heißt die müssen mir nur die Schlüssel für die Bälle geben, und dann in der Schule bekannt geben dass ich das leite. Ich hoff die legen mir keine Steine in den Weg wo keine Steine sind, aber mal sehen. Wenn doch Steine sind muss ich eben geschickt hüpfen.
Jetzt muss ich auch schon Schluss machen, weil ich jetzt mir Pauline und Marta zum Sprachkurs losgehe. Die beiden wollen "Hitchhiking" probieren, was in Lettland wirklich sehr verbreitet ist. Hier wird man anscheinend fast immer mitgenommen und man sieht wirklich sehr viele Leute am Straßenrand. Kommt bestimmt daher dass im Winter jeder Mitleid hat mit den Leuten die in der Kälte sein müssen. Kennt bestimmt jeder aus eigener Erfahrung wie schlecht es ist in der Kälte stehen zu müssen. *lach*
Also, insofern, macht’s gut, ich denke die letzten Tage wirklich recht viel an Verwandte, Thomas und meine Lieben zu Hause...
Hoffe allen geht es gut soweit, von manchen weiß ich ja dass es ihnen gut geht ;)
Tschüssi!