POLEN | Grenzerfahrungen
Grenzerfahrungen in Polen: Susanne muss ein wenig länger warten, um zurück nach Deutschland fahren zu können.
Nach unserem Besuch in Kiew steht also die Heimreise an: über Lviv und Polen nach Dresden. Am Busbahnhof in Lviv erreichen wir sofort einen Bus, der uns nach Przemysl bringen soll, keine 20 km hinter der polnischen Grenze. So können wir vielleicht schon gegen 9.30 Uhr MESZ in Przemysl sein und einen Bus oder Zug zur Weiterfahrt erreichen, freuen wir uns. Doch wir haben die Rechnung ohne die Grenze gemacht.
Mit uns sind viele ukrainische Frauen im Bus, junge und ältere, die während der Fahrt bis zur Grenze eifrig damit beschäftigt sind Zigarettenpäckchen aus Großpackungen auszupacken und an allen möglichen und unmöglichen Stellen zu verstecken: in Socken und Ärmeln mit Klebeband befestigt, im Boden des Busses, unter den Sitzen. Einige kleben sich sogar mehrere Reihen Zigarettenpäckchen mit Klebeband um Bauch und Rumpf. "Fast wie Sprengstoffgürtel", witzeln sie.
Schließlich erreichen wir die ukrainische Grenze, das wilde Packen und Verstecken geht seinem Höhepunkt entgegen. Doch erst einmal heißt es warten. Nach einiger Zeit kommen wir zur ukrainischen Passkontrolle. Alle müssen aussteigen und an einem Schalter den Pass vorweisen. Auch wir bekommen unseren Stempel, unser Visum zur einmaligen Einreise in die Ukraine ist damit ungültig. Zurück in den Bus. Nun beginnt das wirklich lange, das stundenlange Warten an der polnischen Grenzkontrolle.
Nach geschlagenen fünf Stunden sind wir an der Reihe. Alle Pässe werden von einem polnischen Grenzer eingesammelt. Wieder müssen wir eine halbe Stunde warten. Dann kommen die Pässe zurück, gleichzeitig sollen alle Passagiere mit Gepäck aussteigen, zur Gepäckkontrolle. Alle kommen irgendwie durch. Nur wir zwei bleiben zurück. Wir müssen getrennt von den anderen Fahrgästen in der Grenzstation warten, wissen nicht, was los ist.
Irgendwann erfahren wir, dass M. die Einreise nach Polen verweigert wird: "zakaz wjazdu" - Einreiseverbot. Gründe werden nicht genannt. Ratlos und wütend stehen wir herum. Zurück in die Ukraine können wir nicht, da wir kein gültiges Visum mehr haben. Ganz abgesehen davon, dass eine Heimreise über die Slowakei und Tschechien einen extremen Zeit- und Geldaufwand bedeuten würde. Mir wird nahegelegt, ich könne ja weiterfahren - "ohne diesen Mann". Mittlerweile ist es 14 Uhr MESZ.
Hinter der Absperrung beginnt derweil die Kontrolle der ukrainischen Passagiere. Die Taschen werden flüchtig geöffnet, alle kommen durch und können bald wieder den Bus besteigen. Schließlich kommt der Busfahrer auf uns zu und sagt, dass er jetzt weiterfahre, ohne uns. So etwas wie leichte Verzweiflung macht sich breit. Und immer noch wissen wir nicht, was los ist. Wir erhalten lediglich die Auskunft, dass der Computer ein Einreiseverbot bis zum 30.04.04 anzeigt.
Wir überlegen. Vor knapp einem Jahr fand in Warschau eine Demonstration gegen die Einführung von Visa an der neuen EU-Außengrenze statt, an der auch M. teilnahm. Diese Demonstration war nicht angemeldet, wie üblich bei Demos in Warschau. Wohl zur Abschreckung wurden alle teilnehmenden Ausländer (darunter M.) festgenommen. Sie mussten ein Bußgeld zahlen in Höhe von etwa 12 Euro wegen "Behinderung des Verkehrs". Grund zur Annahme, dass die Sache damit erledigt sei.
Nun sitzen wir also fest im Niemandsland. Wir wollen mit der Botschaft telefonieren, doch der Grenzer meint, das würde bereits sein Chef tun. Gelegentliche Nachfragen unsererseits werden abgewiesen, wir müssten eben warten, bis der Chef zurückruft. Anscheinend hält der Grenzbeamte nach dem Rückruf des Chefs unsere einfache Aussage, dass wir durch Polen nach Hause fahren wollen, dann doch für glaubwürdig und fragt, wie wir denn fahren wollten. Wir sagen ihm die geplante Zugverbindung und den Grenzübergang. Nach einigem Hin und Her gibt er sich damit zufrieden, gibt uns unsere Pässe zurück und lässt uns gehen. Ohne einen Grund zu nennen für das vorherige Einreiseverbot. "Es steht halt nur im Computer", so der Grenzer.
Ein weiterer Bus nimmt uns mit nach Przemysl, wo wir gegen viertel fünf eintreffen. Ganz knapp erreichen wir noch den Nachtzug, der uns von Krakow nach Cottbus bringt. Die polnischen Grenzer sind offenbar informiert. Derjenige, der uns kontrolliert, freut sich, ruft seinem Kollegen zu: "ich habe diesen Mann!". Glücklicherweise lassen sie uns dann unbehelligt fahren.