Picknick auf dem Friedhof??
Über die moldawischen Traditionen an Allerseelen und meine Vorurteile
Nachdem ich nun sowohl mein „normales“ und das orthodoxe Osterfest in Moldova gefeiert habe, durfte ich heute eine weitere Ostertradition dieses Volkes erleben.
Einer unserer Mentoren hatte ein paar Freiwillige (darunter auch ich) eingeladen, den Tag mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Dabei würden wir eine alte moldawische Tradition kennen lernen.
Neugierig wie ich nun mal bin, kam mir gar nicht in den Sinn abzusagen. Dummerweise habe ich aber auch vergessen zu fragen, was genau wir machen würden. Dementsprechend geschockt war ich erst einmal als ich hörte, dass die Moldawen an diesem Sonntag (und auch Montag) eine Art Allerseelen feiern. Doch nicht der Feiertag, der auch bei zu Hause gefeiert wird war der Grund für meine Skepsis, sondern die weiterführenden Erklärungen, die ich von meiner 'Quelle' erhalten habe:
'Weißt du, die Moldawen sind schon ein komisches Volk. An Allerseelen gehen sie zum Friedhof und machen ein Picknick auf dem Grab ihrer Toten. Das ist in ihren Augen der beste Weg, den Toten zu gedenken und mit ihnen Zeit zu verbringen.'
Schock.
Picknick – auf einem Friedhof – auf einem Grab – auf toten Menschen.
Ich glaube so ziemlich jeder Deutsche versteht, wie ich mich gefühlt habe.
Nichts desto trotz habe ich versucht so offen wie möglich an diese Sache heranzugehen, habe mir eine Flasche Wasser und ein Schnitzel-Wecken (ja, sowas gibt’s hier tatsächlich in Alimentaras) geholt und dann ab zum – laut Locals – größten Friedhof Europas.
Schon bevor wir dort angekommen waren, war ich überwältigt.
Das Ganze schien die Ausmaße einer Völkerwanderung zu haben.
Hunderte von Menschen drängten sich in die minütlich fahrenden Autobusse (deren Dienste heute kostenlos waren) und doch wurde die Menge an wartenden Personen nicht weniger.
Endlich am Friedhof angekommen kam mir das Bild wieder vor wie in einem Freizeitpark oder einem Volksfest. Viele Leute waren schick angezogen, kleine Mädchen mit Blumen in den Zöpfen.
Wo man auch hinsah, konnte man Menschen sehen. Ganze Menschenmengen.
Nichts da von besinnlichen Feierlichkeiten oder einem 'Fried'-Hof.
Auf ging es mit der gastfreundlichen Familie unseres Mentorenfreundes zum ersten Grab eines Angehörigen. Doch hier kam es ganz anders als gedacht.
Auch wenn wir auf dem Weg überall unterschiedliche Arten von Familientraditionen gesehen haben (darunter auch wirklich das besagt Picknick), pflegte 'unsere' Familie andere Bräuche.
Zwar wurde auch hier essen ausgepackt, doch wurde der erste Teil davon auf das Grab gelegt. Die Bettler und Zigeuner würden das später nehmen, das war jedem klar. Doch durch diese 'Spende' würde gewänne das Essen an Spiritualität und das sei der Beste Weg dem Verstorbenen zu gedenken.
Auch wurde mit Rotwein ein Kreuz auf das Grab gegossen.
Auch Blumen und eine Kerze wurden auf das Grab gelegt.
Zu unserem Erstaunen bekam dann einer nach dem anderen (an jedem Grab ein Freiwilliger) eine Kerze und ein Beutelchen voller Kuchen, Süßigkeiten, einem Ei und Streichhölzern.
Daraufhin sollten wir mit 'Bagdaprosti' antworten, was soviel wie „Gott vergib mir“ (warum genau wusste unser Freund auch nicht, das ist eben Tradition) heißt.
Diese Gaben an uns waren laut Aussage der Familie auch für das Gedenken des Toten und wir sollten die Kerze, die kurz am Grab angezündet wurde, zu Hause oder in einer Kirche komplett abbrennen lassen.
Nach diesem kleinen Ritual bekam jeder der Anwesenden einen Becher Rotwein, selbst gemachte Placinte und andere traditionelle Kleinigkeiten. Je nach persönlichem Befinden durften wir auch selbst mit unserem Wein ein Kreuz auf dem Grab machen.
Als Abschied schlug man das Kreuz und sagte zum Grab gewand 'La revedere' (Aufwiedersehen).
Heute gingen wir also mehrere Gräber der Familie ab, immer der Tradition folgend. Insgesamt waren wir 2 ½ Stunden unterwegs, wenn auch hauptsächlich, da die Distanzen zwischen den einzelnen Gräbern sehr groß waren (ein Wunder, dass sich die Familie auf diesem riesigem Gelände nicht hoffnungslos verlaufen hat!).
Ich muss zugeben, anfangs habe ich mich wirklich sehr unwohl gefühlt.
Nicht nur, weil ich auf einem Friedhof angeregte Gespräche führte, an fremden Gräbern Wein trank und aß.
Sondern eher, weil diese Bräuche und das Gedenken an die Toten für mich eine sehr persönliche Sache sind, bei der ich lieber alleine mit meiner Familie sein wollte.
Vor allem, als die Gräber von nahen Verwandten besucht wurden, fühlte ich mich fehl am Platz.
Doch die Familie war sehr offen, beantwortete unsere Fragen und gab mir das Gefühl, selbst in dieser intimen Situation willkommen zu sein.
Mein Fazit, nachdem ich den Brauch mit meinen eigenen Augen gesehen und selbst miterlebt habe:
Diese Art des Gedenkens der Toten – so seltsam es einem auch anfangs oder von der Distanz erscheinen mag – ist wirklich eine sehr schöne Tradition, die weder respektlos noch makaber mit den Toten oder dem 'Frieden' eines Friedhofs umgeht.
Es ist eine schöne, individuelle und intime Art einen Feiertag mit seinen Vorfahren und engen Verwandten zu verbringen.
Sich an die Toten zu erinnern und doch zugleich das Leben in vollen Zügen zu genießen.