Piano piano
In der Mitte meines Europaeischen Freiwilligendienstes ist es wohl Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Bella Italia wird immer weniger zur Herausforderung, das Leben hat einen gewissen Rhythmus bekommen, auch wenn der Wahnsinn immer noch ueber den Alltag siegt.
Auf dem Weg zur Arbeit ueber gefuehlte 20 Bruecken, vorbei an Gondeln und knipsenden Japanern, zerfallenen Palaesten und Touristenkitsch. Wie immer ist es neblig und sonnig zugleich, winterlich jedenfalls nicht. Auf den Kanaelen sind die Transportboote unterwegs, die diese eigenartige Stadt versorgen. Die Fahrer fluchen auf Venezianisch, ein Dialekt, der wie eine Kreuzung zwischen Italienisch, Wasserfall und Quaken klingt.
Der Wechsel meiner Einsatzstelle beschert mir nun jeden Tag einen einstuendigen Spaziergang durch die Gassen von Venedig, bei dem ich wunderbar die Stadt erleben kann.
Mitte Dezember hatte es die Nationalagentur dann auch endlich geschafft, unser achttaegiges On-Arrival-Seminar zu organisieren. Wir waren 60 Freiwillige aus allen Ecken und Enden Europas, wobei der Anteil deutscher Abiturienten (wie immer) ueberwog. Acht Tage lang wurden wir in Italienischer Sprache und Kultur, Konfliktmanagement, Selbststaendigkeit und Interkulturalitaet trainiert, was sich in vielerlei Hinsicht als sinnvoll erwies.
"Mangi mangi, ridi ridi"
"Iss, iss, lach, lach" - so die Beschreibung meiner italienischen Kollegin, die ihr Land oft und gerne kritisiert. Die italienische Esskultur ist nicht umsonst weltberuehmt! Auffaellig ist der Stellenwert, der Essen eingeraeumt wird. Beispielsweise kann nicht eine Mahlzeit verschoben oder gar ausgelassen werden. Wenn wir von um 16.00 Uhr bis 22.00 arbeiten, bestellen wir also Pizza, die wir dann im Buero essen. Zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr schliessen die meisten Laeden, dann wird zuhause gekocht oder eine Siesta gemacht. Generell ist hier in Italien alles "piano piano" - immer schoen langsam.
"Freiwilliger - Mentor - Nationalagentur"
Bei unserem verspaeteten Seminar gab man uns die Moeglichkeit, in kreativer Weise ueber unsere Probleme zu sprechen - das heisst, wir wurden an mit weissem Papier bedeckte Tische gesetzt und bekamen Panettone - italienische Weihnachtstorte - serviert. Wir konnten all unsere Probleme mit den anderen Freiwilligen besprechen und sie dann auf den Tisch schreiben. Da fand sich dann: "Ich wohne in dem Patientenzimer des Altenheims, in dem ich arbeite" " "Ich wohne in einem Dorf mit 400 Einwohnern und habe keine Nahverkehrsmoeglichkeiten" "Ich habe keinen Sprachkurs" "Mein Activity-Agreement stimmt nicht" und vieles mehr.
Die fantastische Loesung all unserer Probleme, lautete stets: "Redet mit eurem Mentor, er ist dazu da. Wenn er euch nicht weiterhilft, wendet euch an die Nationalagentur."
Sicherlich waeren wir auf diese Loesung nie von alleine gekommen.
Meine Wertschaetzung fuer die deutsche Ordnung und Organisation ist in den letzten fuenf Monaten unglaublich gestiegen. Briefe, die zehn Tage zu spaet (oder auch nie) ankommen, Luegen und Rumtricksen als Wert und staendige Verspaetungen verlieren nach einigen Wochen einfach den Abenteuerfaktor!
Hat man allerdings seine Wut ueberwunden, beginnt man, dieses Leben, so wie es ist, zu geniessen. Das, was man hat, zu schaetzen. Kunst zu bewundern. Mit dem Vaporetto durch die Lagune zu brausen und Sonne aufzusaugen.
Ich habe nun, drei Wochen nach diesem Training, meine Arbeitsstelle gewechselt. Nun bin ich in der Jugendpolitik und im Friedenszentrum, das sich auch fuer die Integration einsetzt. Im Moment beobachte ich, was hier so geschieht und schaffe mir selber Aufgaben...
Sprachbarrieren
Wer haette gedacht, dass es in einem Gruendungsland der EU nahezu unmoeglich ist, auf Englisch zu kommunizieren? Fakt ist, moechte man eine etwas tiefere Konversation fuehren, ist man mit Englisch verloren. So lernt man sehr schnell Italienisch! In Italien sind die Dialekte sehr stark ausgepraegt, sodass wir Schwierigkeiten hatten, uns mit unseren sueditalienischen Trainern zu verstaendigen. Besonders schoen an dem Seminar war ein Workshop ueber Gesten, die ein fester Teil der Sprache sind.
Und... das Leben?
Ich singe, ich tanze, ich gehe aus und esse. An langen sonnigen Nachmittagen sitze ich auf der Piazza und sehe alte Damen in Pelzmaenteln vorbeiziehen. Gemeinsam fluchen wir ueber die Politik und lachen ueber Berlusconi, reisen durch das schoene Land und:
geniessen.
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