Patriotisch in Plock
Die freie Zeit muss genutzt werden. Am Unabhängigkeitstag geht es für Johannson nach Plock. Dort erlebt er die Vorbereitungen der Festlichkeiten, die Parade selbst und genießt das Ambiente der Stadt.
Montag und Dienstag gehörten aufgrund des Unabhängigkeitstages noch zum Wochenende und ich entschied, eine Nacht in Plock zu verbringen. Das ist nicht weit von Wloclawek und auch an der Weichsel, hat aber einen ermutigenden Eintrag im Reiseführer, und vor allem noch ein freies Zimmer im Wohnheim der 'Staatlichen Berufshochschule'.
Über der Weichsel
Die Stadt liegt auf einem Steilufer über der Weichsel und war einmal Königsresidenz, mit einer berühmten Kathedrale und zwei toten Monarchen darin. Nach Krieg und Katastrophen stagnierte der Ort zwar, bietet aber immer noch eine kleine, nette Altstadt. Genug jedenfalls für eineinhalb Tage. In der Bummelbahn auf den letzten Kilometern bin ich gerade am frühstücken, als ich auf einmal merke, dass wir von Wasser umgeben sind. Das ist die Weichsel, und wie riesig sie hier ist, sogar noch größer als in Torun. Auf der Klippe darüber steht die Kathedrale, tatsächlich spektakulär.
Gleiches gilt für mein Wohnheim, wo mir der Pförtner was aus seinem Leben erzählt. Was für Zimmer! Die Altstadt ist weder groß noch außergewöhnlich, hat aber zweifellos einige angenehme Ansichten. Viel Neoklassik, von preußischen oder russischen Behörden erbaut. Ein blaues Kloster über dem Fluss, das Rathaus, die älteste Schule Polens versteckt in einer Seitenstraße. Schau an, E.T.A. Hoffmann hat hier gelebt. Leider hat schon Montag wegen der Vorbereitungen des Unabhängigkeitstages am Dienstag alles zu. Auch das Diözesenmuseum in den Resten des Schlosses, dessen Hauptteil nach einem Erdrutsch in der Weichsel verschwunden war. Das schönste aber kann man nicht schließen: den Blick vom Plateau hinunter auf die Weichsel unter blassblauem Himmel.
Wasserfarben
Die Kathedrale neben dem Museum immerhin ist auf, sie wird gerade für den morgigen Festgottesdienst geputzt. Flächendeckende, restaurierte Wandbemalung. Außerdem die bekannten Bronzetüren mit Reliefs von... früher. Beziehungsweise ihre Kopien, da die Originale geklaut und nach Nowgorod geschafft wurden. Polen, nur Kriminalität.
Als ich gehe, ist es bereits dunkel. Was für ein Blick. Die Doppeltürme der Kathedrale, darüber der leicht verschleierte Mond, unten die Weichsel, über dem schwarzen Wasser ist die lange Brücke rot blau beleuchtet. Am anderen Ufer die Lichter der Vorstadt entlang des Flusses. Wo sie aufhören: nur schwärzeste Schwärze. Erinnerung an Silvester in Torun vor zwei Jahren. Die Raketen müssen fantastisch aussehen über dem Wasser.
Ich hatte mir vorgenommen, einmal ohne Stress durch einen Stadt zu schlendern, ohne alles sehen zu müssen. Darum nur noch eine kleine Runde außerhalb der Altstadt, noch sind einige Läden offen und Abendbrot auf einer Bank. Bitterkalt. Kurz in eine Kneipe am Markt, das erste Mal in Wochen, schon traurig auf Erasmus. Zurück im Wohnheim sehe ich nebenan einen Friedhof, auf dem immer noch die Lichter von Allerheiligen leuchten.
Gott und Vaterland
Am nächsten Morgen geht um neun die Parade los. Polizei, Feuerwehr, Pfadfinder und Schuldelegationen sind vor dem Pilsudski-Denkmal angetreten. Alle in Uniform, auch die Kinder. Sogar ich trage heute zufällig mein übergroßes rotes Polen-Shirt. So ein ungewohnter Anblick, ich gebe es auf mir das Lachen zu verkneifen. Der Kostümverein hat ein paar Leute in Weltkriegsuniformen gesteckt, die stolze polnische Kavallerie bekommt ihre Pferde nicht ganz unter Kontrolle. Dann bewegt sich der ganze Zug Richtung Kathedrale, mehr oder minder motiviert marschierend. Die jeweiligen Abordnungsführer sehen noch entschlossen aus, am Ende der Schlange schlurfen junge Mädchen in Turnschuhen unter der Khakibluse und quatschen mit ihren Freundinnen.
An der Kirche wird noch mal Aufstellung genommen, dann ziehen die Fahnenträger ein. Der Bischof selbst führt den Gottesdienst, die erste Garde des Chors gibt ihr bestes. Ab und zu schallen Kommandos der Fahnenträger durch das Schiff. Viel Reden über Patriotismus und das Glück, endlich frei zu sein. Alles ungewohnt... aber eindrucksvoll.
Zuspätgekommene
Später fahre ich noch spontan zur Hauptparade nach Warschau, an der auch Angela Merkel teilnimmt. Allerdings komme ich zu spät, Militärs und Politiker sind schon abgerückt, vor dem Grab des unbekannten Soldaten ist nur die übliche Wache und zwei leere Tribünen, auf denen Leute sich am Rednerpult ablichten. Im sächsischen Garten dahinter viel Trubel, Stände mit Süßigkeiten und Patriotismuszubehör. Ich laufe noch mal Richtung Altstadt. Auf dem Weg eine Ausstellung zu den Tagen bis zur Unabhängigkeitserklärung 1918. Titelbild: Deutsche Soldaten in Gasmasken an der Westfront stürmen aus einer Wolke Giftgas.
Hinter mir wird es laut: ein Demonstrationszug der 'Allpolnischen Jugend' zieht zur Altstadt. Unter Polizeibegleitung fordert die Jugendorganisation von Roman Giertychs rechtspopulistischen „Liga der polnischen Familien“ ein 'katholisches Großpolen'. An sich nicht so lustig... hätten sie keine Probleme mit der Parolenabstimmung. So begleite ich die Freizeitnazis bis zum Schlossplatz, während Passanten entlang des Königsweges sie auf Video aufnehmen wie exotische Tiere.