Pabianice und das Baluter Ghetto
Den letzten Monat hat Johannson nur am Schreibtisch verbracht. Jetzt zieht es ihn trotz einer Angina wieder hinaus und er besucht einen kleinen Ort ganz in der Nähe von Lodz.
Pabianice
Nach meinem letzten Eintrag entschied ich, dass etwas geschehen muss. Obwohl ich erfuhr, dass meine 'Grippe' in Wirklichkeit eine Angina ist, bin ich Freitag nach Pabianice gefahren. Das ist ein kleiner Ort südwestlich von Lodz, so nah, dass noch Straßenbahnen hinfahren. Der Ort hat nur ein paar nette Sachen. Einen kleinen Palast, früher Rathaus und heute Stadtmuseum, vor einigen Jahren renoviert, aber mit einem furchtbaren, grauen Putz versehen. Die Hauptstraße entlang gibt es immer wieder eine überraschend nette Fassade alter Zünfte u.ä. Am schönsten ist kleine protestantische Kirche in Form eines Pavillions.
Pabianice hat ebenfalls alte Fabriken, einige davon inzwischen restauriert, andere nicht. Das Wetter war schön, die Sonne schien durch die Türme der Kathedrale auf die Blocks gegenüber. Nachdem ich den gesamten vorigen Monat wegen einer Hausarbeit in meinem Zimmer gesessen hatte, bin ich einfach gelaufen, bis ich am Ortsrand Felder sah.
Das Baluter Ghetto
In Lodz kann ich wegen der Angina noch wenig machen. Aber da ich jeden Tag in der Uni-Bibliothek hocke, zwinge ich mich jeden Abend etwas zu unternehmen. Gestern war ich im Kino. Der Film war über Prager Juden, die ins hiesige Ghetto deportiert wurden. Das war im nördlichen Viertel, Baluty, was ich mir im Oktober angesehen hatte. Schon damals war mir aufgefallen, dass sich eigentlich wenig verändert hat. Und genau das hat dieser Film gezeigt, Bilder aus dem Ghetto und heute.
Das ist eine gewagte These, aber wer Polen von unten sehen will, wo die Verlierer der Transformation abgeladen wurden, ist in Baluty richtig. Dort herrscht das echte Elend. Die Blöcke sind runtergekommen wie damals, die Zimmer nach wie vor überfüllt, immer noch verkaufen Leute auf der Straße ihre letzten Sachen. Oder die von anderen Leuten. Dazu Alkoholiker, Obdachlose und manchmal auch Hunger.
Jeder anderen Möglichkeit beraubt, ihre Maskulinität zu beweisen, stecken die jungen Männer ohne Haare ihren Stolz in je eine der örtlichen Fußballclubs. Die beschimpfen sich gegenseitig als Juden; die Funktionäre sagen das hat nichts mit wirklichen Juden zu tun. Darum steht, wie in ganz Lodz, wie in der ganzen Region, natürlich mit wechselnden Vereinskürzeln dahinter, auch auf den Wänden des alten Ghettos "Tod den jüdischen Schlampen".
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