Oh du schönes Tschechisch!
Seit einem halben Jahr ist A_Waitler_in_Prag schon in der goldenen Stadt und seine Tschechischkenntnisse haben sich sehr verbessert. Er gibt einen interessanten Einblick in die Sprache und ihren Hintergrund.
Als ich über Weihnachten daheim war, haben mich auch einige Leute gefragt, wie ich mich denn da in Prag nun verständige beziehungsweise ob ich da denn wirklich den ganzen Tag über nur Tschechisch rede. Dazu kann ich sagen, dass sich mein Tschechisch seit meinem letzten Bericht merklich verbessert hat. Im alltäglichen Leben hab ich das selber gar nicht so mitgekriegt. Das ist wahrscheinlich so wie mit dem berühmten Beispiel von zwei Freunden: Während man bei dem einen, den man ständig sieht, eine äußerliche oder charakterliche Veränderung gar nicht registriert, ist man bei dem anderen, mit dem man nur alle heiligen Zeiten mal zusammenkommt, erstaunt über dessen Wandel.
So ähnlich erging es mir beim zweiten Come in-Wochenende im Dezember. Denn während ich mich beim ersten Come in Anfang Oktober noch deutlich daran erinnern kann, wie ich dort am Freitagabend geradezu verzweifelt war, weil ich einfach nichts, aber auch gar nichts verstanden habe und es geradezu als Erlösung empfand, als zwischendurch einmal französische Musik gespielt wurde, konnte ich im Vergleich dazu bei dieser zweiten Veranstaltung im Dezember eigentlich fast allem einigermaßen folgen, was eine wahre Freude war! Auch sonst geht mir das Tschechische mittlerweile einfach leicht von der Zunge und wie mit allem, das man zuerst nicht beherrscht, dann aber nach einiger Zeit doch versteht, habe ich mich anfangs, so im September, Oktober, unter Gebrauch verschiedenster Verwünschungen gefragt, wie man denn nur eine so komplizierte Sprache sprechen kann – inzwischen jedoch beginne auch ich, das "čeština" zu lieben. =)
Und noch immer ist es so, dass ich, wenn ich mich jemandem vorstelle, sogleich für mein gutes Tschechisch gelobt werde. Doch ich weiß auch, dass ich mir auf solches Lob überhaupt nichts einzubilden brauche, da ich zum einen ja nun doch schon fast ein halbes Jahr in Böhmen bin und zum anderen Bernhard ja schließlich auf auf dem gleichen Niveau ist. Dabei handelt es aber vor allem um alltägliche Dinge, wobei auch da natürlich das Verstehen stets leichter ist als das Selberformulieren. Bei komplizierteren Sachverhalten oder auch einfach bei Zeitungsartikeln stoße ich dann schon schnell an meine Grenzen, vor allem was den Wortschatz betrifft. Auch grammatikalisch kenne ich halt die grundlegenden Dinge, bei deren Anwendung unterlaufen mir aber natürlich noch viel zu viele Fehler. Es gibt also noch viel zu tun!
Aber wenn ich einmal ein Wort nicht kenne, versuche ich zuerst, es zu umschreiben – halt einfach mit "ta věc = dieses Ding, diese Sache" – und wenn es mir überhaupt nicht gelingt, kann ich es als Ultima Ratio auch auf Deutsch oder Englisch sagen und nachfragen, wie das auf Tschechisch heißt. Ich glaube, dass eigentlich fast jeder hier ein bisschen Deutsch kann und teilweise auch auf kaum glaublich hohem Niveau. Die deutsche Sprache hat eine große Tradition in Tschechien, was zum einen natürlich an der Nachbarschaft liegt, zu einem aber wohl noch größeren Teil kommt es aber gar nicht vom "eigentlichen" Deutschland, sondern von der Seite der deutschsprachigen Österreicher, deren Herrscherhaus Habsburg ja auch die Länder Böhmen und Mähren, zum Leidwesen deren Bewohner, jahrhundertelang zu seinem Besitz zählte.
Auch nach der Jahrhunderte währenden Bevormundung aus Wien und den noch schlimmeren Erfahrungen des Protektorats von 1939-45 und unter der Oberherrschaft der Sowjets, blieb das Deutsche nach dem Russischen noch die zweitwichtigste Fremdsprache, eine Stellung, die es bis heute beibehalten hat, wobei das Russische nach der Wende freilich vom Englischen abgelöst worden ist. Und die Salesianer sind ja doch alles sehr gebildete Leute, die haben ja schließlich alle studiert, einige sind meiner Einschätzung nach wirklich sehr intelligent, die haben's richtig drauf, was dementsprechend natürlich auch für ihre Fremdsprachenkenntnisse gilt, und dabei noch mehr für's Deutsche als für's Englische, da die meisten von ihnen, ihrem Alter entsprechend, ihre Ausbildung ja noch vor 1989, dem Jahr der Samtenen Revolution, der großen Zeitenwende, erhalten haben.
Einer von ihnen, Zdeněk, hat neben drei Jahren in Italien, zwei Jahre bei den Salesianern in Österreich verbracht und spricht dementsprechend wirklich perfekt deutsch, sodass er mir in ganz schwierigen Fällen weiterhelfen kann, genauso wie Jana und Verinka im Büro, die eine Zeit lang in Bayern beziehungsweise Österreich studiert haben. Und die jüngere Generation, wie zum Beispiel die Studenten bei uns im Zentrum, können neben Deutsch eben auch sehr gut Englisch. Interessant ist auch, dass andere Fremdsprachen wie Französisch oder Latein, die zumindest bei uns in Bayern unterrichtet werden, hier praktisch gar nicht verbreitet sind und an den Schulen höchstens als Wahlfächer angeboten werden.
Unter den Salesianern jedoch können eben ein paar auch Italienisch, weil zum einen Rom als Zentrum der Weltkirche in Italien liegt, zum anderen auch Turin, der Herkunftsort des Ordensgründers Don Boscos, von wo aus noch heute die Kongregation geleitet wird. Als einmal ein indischer Salesianer zu Besuch war – es sind häufig Gäste da – da haben sich Zdeněk und Jožka doch tatsächlich auf Italienisch mit ihm unterhalten!
Auch ich erlerne das Tschechische natürlich vor allem durch das tagtägliche Sprechen, der Sprachkurs dagegen vermittelte nur ein paar grammatikalische Grundlagen. Dabei muss ich aber, wenn ich bestimmte Ausdrücke im Gespräch mit den Leuten hier heraushöre und dann in meinen eigenen Wortschatz übernehmen möchte, immer ein bisschen aufpassen, um welche Art von Tschechisch es sich dabei eigentlich handelt. Denn es gibt einen relativ großen Unterschied zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Form der tschechischen Sprache. Dies hat wieder seine historischen Gründe aus der Zeit der österreichischen Herrschaft.
Denn nachdem die tschechischen Protestanten 1620, also während des Dreißigjährigen Krieges, die Schlacht auf dem Weißen Berg in der Nähe von Prag verloren haben, worauf eine gewaltsame Gegenreformation durch die katholischen und deutschsprachigen Habsburger folgte, gingen viele Mitglieder der tschechischsprachigen Elite ins Ausland ins Exil – als berühmtestes Beispiel ist hier wohl der Gelehrte Johann Amos Komenius, auf tschechisch eigentlich Jan Ámos Komenský, zu nennen – sodass das Tschechische als kulturell hochstehende Sprache mehr und mehr verkümmerte und zwar natürlich noch vom einfachen Volk gesprochen wurde, beispielsweise an Universitäten oder in der Literatur vom Deutschen verdrängt wurde.
Erst während der sogenannten Nationalen Wiedergeburt Tschechiens im 19. Jahrhunderts – während der zum Beispiel das Nationalmuseum auf dem Wenzelsplatz und das Nationaltheater an der Moldau hier in Prag gebaut worden sind, Letzteres übrigens das erste Schauspielhaus, in dem wieder Stücke auf Tschechisch aufgeführt wurden – besann man sich wieder mehr auf die eigene tschechische Sprache. Bei dieser Wiederbelebung ging man aber von der Grundlage des Tschechischen im 17. Jahrhundert aus, die Umgangssprache dagegen hatte sich in den vergangenen fast 300 Jahren natürlich weiterentwickelt, woraus sich dieser gravierende Unterschied zwischen dem Standardtschechischen und dem sogenannten Gemeintschechischen erklärt.
Interessant ist dabei, dass in dieser Zeit der deutschsprachigen Herrschaft auch einige deutsche Wörter ins Tschechische gekommen sind, die teilweise im 19. Jahrhundert auch in die Standardsprache übernommen worden sind und für die es gar kein eigenes tschechisches Äquivalent gibt, wie "brýle" (= Brille), "cíl" (= Ziel) oder "šroub" (gesprochen "schroub", = Schraube). Des Weiteren gibt es noch Wörter, die die an der besagten Sprachreform beteiligten Intellektuellen nicht in die Standardsprache aufnehmen wollten, um den deutschen Einfluss zurückzudrängen: So zum Beispiel "buřt" (gesprochen "burscht") statt párek (= Wurst / Wurscht), genauso "je mi to buřt" statt "je mi to jedno" (= das ist mir egal / wurscht), "ksicht" statt "obličej", wobei ksicht in etwa dem ebenso negativ konnotierten deutschen Wort Visage entspricht, "werkcajk" (gesprochen Werkzeig) statt "nářadí" (= Werkzeug), "špajz" (gesprochen Schpeis) statt "spižirna" (= Speisekammer / auf Bairisch Speis) oder auch "hajzl" statt "záchod / toaleta" (= Klo / Toilette). Dieses "hajzl" kommt von den Herzhäuschen beziehungsweise bairisch Herzheisln, auf denen man sein Geschäft (übrigens auch tschechisch: "kšeft") verrichtete.
Als "ty hajzle!" (= du Heisl!) kann es aber auch als Schimpfwort verwendet werden, wie es mir doch tatsächlich jemand vor kurzem an den Kopf geworfen hat, als ich, nachdem ich im Bauhaus eine Kabelrolle mit 100 Metern Internetkabel gekauft hatte, mit der Metro heimfuhr und bei einer Haltestelle in dem dichten Gedränge, bei dem auch ich weder vor noch zurück konnte, mit meiner fetten Kabelrolle ihm den Weg versperrte. Das war aber das allererste Mal, dass mir hier so eine Unhöflichkeit widerfahren ist, ansonsten sind die Leute hier wohl auch nicht höflicher oder unhöflicher als die Leute in Deutschland.
In anderen Situationen dagegen ist es natürlich eine einzige Freude, ein völlig bairisch ausgesprochenes Wort wie "werkcajk" zu hören, oder genauer gesagt österreichisch ausgesprochen, da all diese Wörter ja noch aus Habsburgerzeiten stammen; Österreich und Bayern bilden aber dialektmäßig ein gemeinsames Sprachgebiet.
Daneben gibt es noch eine Reihe anderer umgangssprachlicher Wörter und Ausdrücke wie "hele!" (so etwas wie "hey!" / "schau mal!") oder einfach jede Menge veränderter Formen bei der Deklination und Konjugation von Verben und Substantiven, die ich hier jetzt nicht einzeln aufzählen will. Das sind dann Sachen, die findet man teilweise gar nicht im Wörterbuch. Und solches Gemeintschechisch sollte man eben eher unter Freunden oder jungen Leuten verwenden, auf einer Behörde oder in einem Brief dagegen lieber nicht.
Aber auch im Deutschen gibt es ein paar Wörter, die aus der tschechischen Sprache stammen, so Pistole, ein Wort, das auf Tschechisch exakt genauso lautet, hanebüchen von "hanebný" (= schändlich), Zwetschge von "švestka", Sliwowitz, ein Zwetschgenschnaps, der hier in Böhmen als "slivovice" als Allheilmittel gegen allerlei Krankheiten und Gebrechen gilt, eine Praxis, die auch ich selbst schon erprobt habe, und natürlich Roboter, ein Ausdruck, der es in alle Sprachen dieser Welt geschafft hat und ursprünglich von den Gebrüdern Čapek (Aussprache: "Tschapek"), zwei der bedeutendsten tschechischen Künstler, stammt: Karel Čapek, der einige Male Kandidat für den Literaturnobelpreis war, benutzt diesen Begriff das erste Mal in seinem Theaterstück R.U.R., geschaffen hatte ihn sein Bruder Josef aus dem tschechischen Wort "robota" (= Fronarbeit).
Während Karel sich vor allem als Schriftsteller betätigte, war Josef universell begabt und versuchte sich auch als Maler. Einige seiner kubistischen und impressionistischen Werke werden zur Zeit in einem Teil der Prager Burg gezeigt, eine Ausstellung, die ich mir mit dem Salesianer Jožka (ausgesprochen "Joschka") angesehen habe; ich kenne mich jetzt in der Malerei nicht besonders aus, aber einige der Bilder haben mir echt gut gefallen. Das Leben dieser zwei Künstler gilt übrigens auch als eine Art Parabel für die erste tschechoslowakische Republik zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg: So waren sie Bürgerliche, entstammten also nicht wie zu alten K.u.K.-Zeiten dem Adel und haben sich allein durch ihre eigenen Talente und Bemühungen hochgearbeitet.
Zugrunde gegangen ist das Brüderpaar, das in seinen Werken auch immer wieder vor dem Faschismus warnte, genauso wie auch der erste tschechoslowakische Staat durch Nazi-Deutschland: Karel starb kurz nach dem Münchner Abkommen 1938; die Verzweiflung darüber, von den Westmächten Frankreich und England im Stich gelassen zu werden, raubte dem Kranken die letzte Lebenskraft; Josef wurde in der Protektoratszeit verhaftet und kam im KZ Bergen-Belsen ums Leben.
Ich persönlich hätte übrigens auch noch ein tschechisches Wort auf Lager, dass man ins Deutsche übernehmen könnte: Statt dem langatmigen und langweiligen "zu Abend essen" sollte man, vom tschechischen "večeřet" (gesprochen "wätschärschät") ausgehend, meiner Meinung nach doch einfach "vetschern" sagen, was kürzer und klanglich schöner wäre. Als Schreibweise würde ich dabei "vetschern" statt "wetschern" bevorzugen, weil es zumindest für meine Augen schöner aussieht und auch die fremdsprachige Herkunft unterstreichen würde, ähnlich wie bei Vase, Visum oder Vulkan, deren anfängliches "v" ja auch wie der deutsche Buchstabe "w" ausgesprochen wird. Ihr seht, diese Idee habe ich lange und gut durchdacht!
Also: Hast du heute schon gevetschert? Falls nicht, lass uns vetschern gehen! Und da vetschern wir uns dann noch ordentlich was rein!
Bis zu meinem Tod soll es dieses neue Wort in den Duden geschafft haben! =)
Und was ich sonst noch so alles erlebt habe, könnt ihr in meinem nächsten Beitrag "Von Böhmen und Bayern" nachlesen.
"Lobet den Herrn, alle Völker!"
(Psalm 117, 1)
Auslandsadresse:
Christoph Mauerer
Salesiánská asociace Dona Boska, o.s. (SADBA)
Kobyliské nám. 1, 182 00 Praha
Česká Republika
Skype: christoph-mauerer
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