Nordirland zwischen Frieden und Konflikt - Teil 3: The identity of "the flegs"
Flaggen haben hier eine ganz eigene Bedeutung, die für mich persönlich gerade am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig war. Wenn man aus Deutschland kommt, kennt man es einfach nicht, außerhalb der Fußballweltmeisterschaft Flaggen zu sehen. Hier gibt es diese nicht gerade knapp.
Flaggen dienen in Nordirland oft als 'Reviermarkierung' – in Unionist/Loyalist Areas findet man also Union Jacks, in Nationalist/Republican Areas die irische Flagge. Dazu kommt die Farbsymbolik, je nach Stadtteil sind also sogar die Bordsteine, Laternenpfähle oder Gartendekorationen in wahlweise blau-weiß-rot oder grün-weiß-orange gehalten. Somit weiß man immer, wo man sich gerade befindet.
Aber zwei Flaggen reichen natürlich nicht – es gibt also auch noch die nordirische Flagge, Flaggen diverser Paramilitärischer Organisationen wie der UVF oder UDA (Terrorgruppen, die im Untergrund arbeiten, einen enormen Einfluss auf die jeweilige 'Community' haben können und in Drogengeschäfte sowie 'Punishment Attacks' – eine Art der Selbstjustiz – involviert sind. Auch dem werde ich mich vermutlich noch einmal in einem extra Beitrag widmen.) oder auch die „Starry Plough” Flagge in katholischen Gegenden, die erstmals während des Osteraufstandes 1916 von den Iren verwendet wurde.
Solltet ihr jedoch einmal durch die Straßen Belfasts wandern, werden euch in manchen Viertel noch zwei andere Flaggen auffallen: die israelische und die palästinensische.
“Wie passt das jetzt zusammen?”, werdet ihr euch vielleicht fragen.
Die Nationalists/Republicans sympathisieren sich generell viel mit internationalen Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen, da sie ja selbst auch nach 'Freiheit' vom Vereinigten Königreich streben. Sie wären zu großen Teilen beispielsweise für die Unabhängigkeit Schottlands vom UK oder Kataloniens von Spanien gewesen. Sie unterstützen Nelson Mandela, das Baskenland oder eben auch Palästina. Deswegen gab es gerade während dem Krieg im letzten Jahr viel Solidarität und palästinensische Flaggen wehten neben irischen oder 'I Support Palestine' Nachrichten waren in Fensterscheiben zu lesen.
In protestantischen Gebieten findet man also nur allein deshalb israelische Flaggen, weil das die Gegenseite zu Palästina und auch zur katholischen Bevölkerung darstellt. “Der Feind meines Feindes ist mein Freund” ist hier das Motto.
Innerhalb der letzten Wochen hat man traurigerweise auch öfter die Confederate Flag (Südstaaten Flagge) in loyalistischen Stadtteilen wehen gesehen und im kleinen Ort Carrickfergus (stark protestantisch geprägt) konnte man eine Flagge mit einem Hakenkreuz sehen, die jedoch glücklicherweise 'nur' eine Stunde dort wehte. Die loyalist Community hat sich natürlich sofort stark davon distanziert, jedoch ist es auch ein trauriger Fakt, dass es gerade unter Loyalists teilweise rassistische Strömungen gibt und manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Personen gar nicht wissen, was diese Symbole überhaupt bedeuten.
Eine große Diskussion über Flaggen wurde ebenfalls 2012 losgetreten, als die Stadt Belfast entschied, die britische Flagge nicht mehr das ganze Jahr über vom Rathaus wehen zu lassen, sondern nur noch an sogenannten “designated days” (bspw. Der Geburtstag der Queen), die übrigens im ganzen UK die selben sind und von der britischen Regierung beschlossen werden.
Dies hatte massive Aufstände und extreme Gewalt gegenüber der Polizei (Molotovcocktails, Pyrotechnik, Backsteine, Anschläge/Morddrohungen gegenüber Stadträten und Abgeordnetenbüros) zur Folge und selbst heute findet jeden (!) Samstag um 12 Uhr ein “Flag Protest” vor dem Rathaus statt.
Die Entscheidung wurde als Angriff gegen die eigene Kultur angesehen und generell repräsentieren Flaggen hier eine Art Identität und Zugehörigkeit, auf die man stolz ist. Sicherlich sind hier nicht jedem die Flaggen so wichtig; diejenigen, denen sie jedoch etwas bedeuten, verschaffen sich dafür umso mehr Gehör.