No pressure
Wenn man sich den Tag selber einteilen kann, aber die To-do-Liste irgendwie nie kürzer wird und die eigenen Ansprüche einem über den Kopf wachsen.
Aus den letzten 12 Jahren Schule bin ich es gewohnt einen geregelten Tagesablauf zu haben: zwei Stunden Mathe, Pause, dann Geschichte, Hausaufgaben in Physik und ein Vortrag für Latein. Natürlich war ich selbst dafür verantwortlich, wann und mit welcher Genauigkeit die Hausaufgaben erledigt wurden, aber trotzdem blieben es Aufgaben, die ich mir nun einmal nicht selbst aussuchen konnte. Wenn ich jetzt meinen Kalender aufschlage, sehe ich dort, genau wie die letzten Jahre, Dinge, die erledigt werden wollen, jedoch mit dem großen Unterschied, dass ich mich für diese Projekte zu 90% aus eigenem Antrieb entscheide. Klar, manche Dinge bleiben obligatorisch, aber die Aufgaben auf meiner To-do-Liste habe ich mir nun alle selber zuzuschreiben. Grundsätzlich gibt es hier in Åmål für uns Freiwillige zwar feste Arbeitszeiten, aber abgesehen von bestimmten Terminen und Präsentationen an Schulen kann ich mir den Tag ziemlich frei einteilen. Wenn man aber oft so hohe Ansprüche an sich hat, wie es bei mir und auch bei Erica und Jonas zum Teil der Fall ist, dann kann ein so frei gestaltbarer Arbeitstag gerne auch einmal etwas zu voll sein.
So hatten Erica und ich zum Beispiel die Idee, auf dem Instagram-Account des Young Innovation HUBs jeden Montag motivierende Sprüche zu veröffentlichen oder über uns inspirierende Menschen zu berichten. Dafür benötigten wir zum einen natürlich Zitate und eine Liste der entsprechenden Personen sowie Hintergrundbilder für das ganze. Klingt an sich also erst einmal nach nicht ganz so viel Aufwand. Ein selbst geschossenes Foto von unserer Fahrradtour und ein Zitat von Steve Jobs ließen sich auch relativ schnell finden, aber bei dem Versuch diese beiden Einzelteile ästhetisch ansprechend zusammenzubringen, stand uns dann mein Perfektionismus so ziemlich im Weg. Für das Zitat wollte ich eine sehr geradlinige und klare Druckschrift, für denjenigen, zu dem die Worte gehörten, dann aber eine verschnörkelte Handschrift. Die Sache hatte leider nur einen kleinen Haken: trotz der großen Auswahl in Microsoft Word sagte keine Schrift mir wirklich zu. Die eine hatte zu wenig Bögen, die andere war zu breit, die Dritte passte nicht ins Gesamtbild. Hatte ich im Vorhinein noch gedacht, dass es ja nicht allzu kompliziert wäre, zwei Schriftarten auszuwählen, kann ich jetzt immer noch nur den Kopf über mich schütteln.
Am Mittwoch fand dann unser ersten eigenes Projekt statt. Zum „European Day of Languages“ hatten Jonas, Erica und ich uns die letzten Wochen eine Art Quiz ausgedacht, bei dem die Schüler des Karlbergsgymnasiums interaktiv sowohl verschiedene Fragen zum Thema „Sprachen“ beantworten sollten, aber beispielsweise auch ihren Namen mit dem Fingeralphabet buchstabieren oder bestimmte Sprachen den Ländern zuordnen mussten, in denen diese gesprochen werden. Die Vorbereitungen der Spielkarten, von Memory und Fun Facts hatte ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen und dementsprechend froh waren wir, als die Teilnehmerzahl am Ende unsere Erwartungen übertraf. Ein schöner Nebeneffekt dabei war aber auch, dass wir drei selber noch einiges lernen konnten. So macht man sich sonst doch beispielsweise eher weniger Gedanken darüber, wenn bestimmte Sprichwörter im Alltag verwendet werden. Wenn man dem Gegenüber dann aber erklären muss, was genau damit eigentlich gemeint ist und in welcher Situation man die genannte Redewendung verwendet, wird einem erst bewusst, wie komisch die deutsche Sprache an vielen Stellen eigentlich ist. Außerdem weiß ich jetzt, dass es gar nicht so einfach ist die französische und kroatische Flagge unter Zeitdruck auseinanderzuhalten und dass Litauen und Kamerun, was ihre Nationalfarben angeht, doch mehr gemeinsam haben, als man anfangs denken mag.
Das Highlight meiner vierten Arbeitswoche hier in Schweden bildete dann am Freitag aber die Aufnahme der ersten Episode unseres Podcasts „Volunteers4EyoU“. Wie viel Arbeit hinter 20 Minuten Einfach-nur-Reden eigentlich stecken, ist am Ende kaum zu glauben, aber ein Konzept für den gesamten Podcast und die erste Episode an sich auszuarbeiten, ein eigenes Logo zu designen und dann auch noch die Stichpunkte, über die man sprechen möchte, auf Englisch zu formulieren, hatten unzählige, zum Teil auch Überstunden, der vergangenen Wochen benötigt. Auf das Ergebnis sind wir drei dementsprechend stolz und es ist schon ein tolles Gefühl, neben Podcasts vom ARD und The Simple Club auf Spotify, iTunes und Co. zu hören zu sein. „No pressure“, wie Anna es uns etwas mitleidig immer wieder gesagt hatte, nachdem sie meinte, dass so ziemlich alle Mitarbeiter im Rathaus und wo sonst noch schon ganz gespannt auf unsere erste Folge wären, hatten wir dann aber doch nicht. Zu unseren eigenen Ansprüchen kam also noch der Druck von außen dazu, aber ich glaube, dass wir dem doch ganz gut gewachsen waren. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass es nicht jede Woche so viel Arbeit wird…
Eine entspanntes Wochenende hatten Jonas, Erica und ich uns also wirklich redlich verdient, weshalb wir den Samstag Nachmittag und Abend dazu nutzten, uns mit Julia in Karlstad zu treffen. Wir hatten sie am Mittwoch am Karlbergsgymnasium in Åmål kennengelernt, wo sie in der Aula von ihrem Auslandsjahr an einer amerikanischen Highschool berichtet hatte, und uns kurzerhand verabredet. Unser gemeinsamer Tag gehört auch mit Blick auf die kommenden 11 Monate definitiv jetzt schon zu den schönsten Erlebnissen hier in Schweden! Wenn man sowohl über 9/11, Terroranschläge in Stockholm und Berlin, deutsche Trinkspiele, persönliche familiäre Geschichten und verschiedenste lustige Partyerlebnisse reden kann, dann ist man ohne Frage auf einer Wellenlänge. Eine Liste von Dingen, die wir noch gemeinsam machen wollen, gibt es übrigens auch schon, aber dafür haben wir diesmal wirklich „no pressure“!
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