Moderne Sklaverei
Unglaublich billige Angebote im Supermarkt oder im Kleidungsgeschäft haben mich schon immer irritiert: Wie kann etwas aufwendiges so günstig produziert worden sein? Wie können Früchte, die vom anderen Ende der Welt hergeschafft wurde, günstiger sein als welche, die hier vor Ort wachsen? Eine kleine Auseinandersetzung mit globaler Arbeitsteilung und den negativen Folgen der Globalisierung
Wenn man versucht, die Auswirkungen seines Lebensstils und seines Konsumverhaltens zu ermessen, wird man mit einer brutalen Realität konfrontiert: Unser modernes Leben im globalen Westen ist nur möglich, weil andere Menschen ausgebeutet werden. Dagegen versuchen bereits viele anzukämpfen, und neben politischer Arbeit bietet sich natürlich auch eine Änderung des Konsumverhaltens an: Bioprodukte versprechen bessere Umweltverträglichkeit, Fairtrade ist eine Illusion von verbesserten Arbeitsverhältnissen, lokal, secondhand, vegan, minimalistisch, plastikfrei… Alles beruhigt das Gewissen ein wenig, tilgt die Schuld und ermöglicht uns, unseren Lebensstil aufrecht zu halten. Für mich bedeutet das vor Allem, mit Kompromissen zu leben: Ich versuche, so umweltverträglich wie möglich zu leben, aber kann nicht immer auf Fair Trade achten, ich kaufe Bio-Schokolade, aber esse nicht immer vegan - Manchmal kommt es mir vor, als wäre ein wirklich bewusstes Leben ein Vollzeitjob, den ich mir momentan nicht leisten kann.
In Frankreich, meiner derzeitigen Wahlheimat, wird es mir auch nicht wirklich leicht gemacht: Anders als in Deutschland sind hier vegane und vegetarische Produkte weniger in Supermärkten zu kaufen, Bio- und Fairtrade-Produkte sind viel teurer und Müll trennt auch keiner. Ein Leben voller Kompromisse fühlt sich für mich nicht richtig an, denn es bedeutet, dass andere Menschen leiden. Schon alleine täglich mit Armut konfrontiert zu sein, was man hier in den Vororten von Paris deutlich sieht und was auch meine Arbeit deutlich macht, lässt mich an unserer globalen Gesellschaftsordnung zweifeln: Ist das wirklich nötig? Müssen wir wirklich um jeden Preis diesen Standard halten? Was ist mit den Menschen, Tieren und der Natur, die dafür den wahren Preis zahlen?
Die Initiative Slavery Footprint bietet auf ihrer Website (Link am Ende der Reportage) einen Selbsttest an: Wie viele „Sklaven“ müssen für meinen Lebensstil arbeiten? Obwohl ich dachte, ich würde relativ genügsam leben, als fast Veganerin und fast Minimalistin, ist mein Wert mit 29 „Sklaven“ die für mich arbeiten müssen dann doch sehr, sehr hoch. Natürlich lässt sich vieles an diesem Schätzwert kritisieren: Wie kommen die Zahlen zustande, wie genau ist die Schätzung und wie kann man sie am besten reduzieren? Ich persönlich stoße mich auch daran, wie banal und häufig das Wort „Sklave“ genutzt wird, es wird sehr plakativ gebraucht um zu provozieren, aber sollte man so tatsächlich über eines der schlimmsten Vergehen an einem Menschen sprechen? Auch ist der Begriff „Sklave“ sehr statisch, als wäre die ganze Person darüber definiert und sie drückt kein Ende aus, deswegen finde ich man sollte eher von einem Zustand der Versklavung reden - und in erster Linie von einem Menschen, der versklavet wurde.
Die Organisation IJM (International Justice Mission) weist auch darauf hin, wie wichtig es ist, zwischen versklavten Menschen und Menschen, die unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen leiden, unterscheiden. Wenn sich eine Person gezwungen sieht, für ein wenig Geld harte und gesundheitsschädigende Arbeit zu verrichten, ist das auch ein schrecklicher Zustand und grenzt an Sklaverei, aber tatsächlich gibt es noch so viele versklavte Menschen auf der Welt, die verkauft wurden und deren Körper jemand anderen „gehören“, dass man da nochmal eine Grenze ziehen muss. Man sollte daher mit dem Begriff „Sklaverei“ vorsichtig umgehen und ihn nicht zur Provokation oder zu allgemein verwenden. Trotz aller Kritik: Die Initiative Slavery Footprint weist auf etwas Entscheidendes hin, dessen wir uns alle bewusst machen sollten: Günstige Preise und massenhafter Konsum gehen auf Kosten anderer.
Erschreckend ist auch, dass es fast unmöglich ist, in seinem alltäglichen Konsum menschenunwürdige Arbeitsbedingungen zu verhindern: Auch wenn man darauf achtet, so vieles wie möglich Fairtrade zu kaufen, die meisten Produkte werden in globaler Arbeitsteilung produziert und es ist nicht einmal mehr nachweisbar, woher viele Rohstoffe und Einzelteile kommen, und noch viel weniger, wie sie hergestellt wurden. So schreibt zum Beispiel die NGO Electronic Watch, dass es in der Elektronikbranche kein einziges soziales Produkt gäbe. Viele Laptops, Smartphones und andere Technologie werden in China hergestellt, in der riesigen Stadt Chongqing. Undercover Recherchen ergaben, dass oftmals Schüler systematisch zu billiger Schichtarbeit gezwungen werden, wobei sie bis zu 12 Stunden am Stück arbeiten, ohne einen Ruhetag über Monate hinweg - das ist auch nach chinesischem Gesetz illegal. Das erschreckende für mich in dem Report war allerdings die Art und Weise, wie über die Schülerpraktikanten gesprochen wurde, der Fabrikmanager wird folgendermaßen zitiert: „Die Schülerpraktikanten sind gut, weil sie so flexibel sind. Es dauert nur wenige Wochen, um neue Praktikanten bei den Schulen zu bestellen.“
Ein ethischer, sozialer Konsum ist also unmöglich, wenn wir nicht unseren Konsum radikal einschränken und uns damit auch ein Stück weit von der Welt abkapseln. Deswegen ist es umso wichtiger, sich auch politisch dafür einzusetzen, dass westliche Firmen und Produzenten Menschenrechte in ihren Produktionsketten garantieren!
http://slaveryfootprint.org/survey/#where_do_you_live
http://www.bpb.de/apuz/216478/moderne-sklavereien
http://electronicswatch.org/de
https://ijm-deutschland.de/
Comments