Milicz -Portrait einer europäischen Stadt
Odile Winkenjohann, 21, ist verzaubert worden, von Milicz, einer europäischen Stadt in Polen. Seitdem sie letztes Jahr ihren Europäischen Freiwilligendienst dort verbracht hat, ist sie zur Botschafterin dieser freundlichen, kleinen Stadt geworden.
Milicz (gesprochen: Militsch), wo liegt das denn, werden sich jetzt die meisten fragen. Geographisch gesehen ist Milicz eine kleine Stadt, etwa 50 Kilometer nördlich von Wroc³aw (Breslau) in Polen, genauer: in Niederschlesien gelegen. Diese Region ist vielen von uns vielleicht durch Erzählungen unserer Eltern und Großeltern bekannt, zeitweise gehörte sie ja auch einmal zu Deutschland. Dies wird dann aber wohl alles sein, und auch ich wusste nicht viel mehr, bevor ich dort zehn Monate als europäische Freiwillige verbracht habe.
Jetzt, nachdem ich wieder in Deutschland bin, ist Milicz für mich nicht einfach nur ein Ort auf der polnischen Landkarte, sondern ein Stück meiner Heimat geworden. Ein Stück meiner europäischen Heimat.
„Fahren Sie nach Polen. Ihre Seele ist schon dort.“
Geleitet von diesem Sprichwort und von dem Wunsch, einmal eine längere Zeit im Ausland zu leben, machte ich mich nach meinem Abitur mit viel Neugier, Energie und auch Mut im Gepäck auf den Weg nach Milicz. Stellt Euch nun einmal vor, Ihr würdet, wie ich letztes Jahr, dort ankommen. Nun ja, eine kleine Stadt, zwei Supermärkte, ein paar Bars, drei Oberschulen, ein paar kleine Geschäfte und ein Internat (in welchem ich übrigens wohnte) sind die Highlights dieses Ortes. Warum, bitte, ist das nun eine europäische Stadt? Zugegeben, als ich dort ankam, war mir das auch noch nicht ganz klar.
Na ja, den Grundstein legte die Gemeinde wohl, als sie sich dazu entschlossen hat, mich und eine Französin als Freiwillige in ein EFD–Projekt aufzunehmen. Wir waren dort sozusagen Pioniere, da das Projekt neu war und zum ersten Mal stattfand. Heißt, man hat mit vielen Sachen zu kämpfen, muss viele Hügel überwinden, kann am Ende aber zurückblicken und stolz sein, darauf, was man geschafft hat. Ich bin sehr stolz, nicht nur auf mich, sondern auch auf Mathilde, meine Mitfreiwillige, und auf alle tollen Leute in Milicz, die mitgeholfen haben, diese Gemeinde „europäischer“ zu machen.
Aber was heißt das denn nun? Was ist so „europäisch“ an Milicz?
Angefangen hat es wohl mit meiner Arbeit dort in einem europäischen Jugendzentrum. Europäisch heißt in diesem Fall, dass alles, was wir veranstaltet und gemacht haben, irgendwie im Zusammenhang mit Europa, anderen Ländern und Sprachen stehen musste.
Natürlich war es auch eine große Attraktion für die Einwohner, zwei Ausländer im Ort zu haben, und nicht nur auf der Durchreise, nein, für ganze zehn Monate. Milicz hat zwar noch eine Partnerschaft mit einer deutschen Stadt, aber darauf beschränkt sich dann auch schon der Kontakt mit dem „restlichen“ Europa. Zwei ausländische Einwohner, wenn auch nur auf Zeit, das war etwas Neues, etwas Besonderes. Das musste genutzt werden. Und es wurde sehr gut genutzt. Eine Stadt, in der viele Erwachsenen gar keine Fremdsprache sprechen und viele Jugendliche zwar eine lernen, diese aber nicht unbedingt anwenden wollen, begann, sich dafür zu interessieren, was zwei Mädchen aus Deutschland und Frankreich für Ideen hatten. Zwei Mädchen, die am Anfang relativ fremd waren, die ja noch nicht einmal die Sprache des Landes richtig beherrschten.
Und was hatten wir für Ideen, was haben wir gemacht? Nun, wir haben zum Beispiel Sprachkurse gegeben (ist ja irgendwie schon reizvoller, eine Fremdsprache bei einer Muttersprachlerin zu lernen), wir haben monatlich eine Zeitung herausgegeben – und das Beste daran, die Artikel, geschrieben fast ausschließlich von Schülern aus Milicz, mussten in Deutsch oder Englisch sein. Da war es dann doch auch egal, wenn die Texte voller Fehler waren oder wenn meine Schüler im Deutschunterricht mal wieder ihre Hausaufgaben vergessen hatten. Wichtig war, meiner Meinung nach, dass die Leute, hauptsächlich die Jugendlichen, begannen, sich für die vorher so verhasste Fremdsprache zu interessieren oder für Länder und Kulturen, die sie bisher nicht wirklich kannten. Toll war es auch, wenn man auf der Straße oder im Geschäft plötzlich angesprochen wird, woher man denn komme und was man hier mache. Zu sehen, dass dort wirkliches Interesse vorhanden war, freut einen schon.
Toll war auch alles andere, was wir zusammen gemacht und organisiert haben. Da waren zum Beispiel Ausstellungen über die verschiedenen Mitgliedstaaten der EU, gemeinsame deutsche und französische Kochnachmittage, Filmabende mit ausländischen Filmen oder das Mitwirken bei öffentlichen europäischen Foren, organisiert von der Gemeinde im kleinen, örtlichen Kulturhaus. Und ganz stolz ist man dann, wenn fast ganz Milicz von „seinen Freiwilligen“ spricht und was sie so alles machen und wenn man sieht, dass auch sie stolz sind und sich freuen, nicht nur über unsere Arbeit, sondern auch über sich selbst eine Gemeinde, die versucht, nicht nur polnisch, sondern auch ein klein bisschen europäisch zu sein.
Das Leben in Milicz hat mich verändert und ich habe bestimmt auch Milicz ein wenig verändert. Ich meine nicht, dass allein durch mich Milicz zu einer „europäischen Stadt“ geworden ist. Nein, Milicz ist für mich eine europäische Stadt. Weil mir, obwohl es nur ein kleiner Ort ist, der seinen Einwohnern im Grunde nicht viel bietet, viele Menschen dort mit einer großen Offenheit und viel Interesse begegnet sind und unser EFD–Projekt zum Ansporn genommen haben, mehr über andere Länder und Kulturen zu erfahren, aber auch, ihre eigene Stadt noch mehr im zusammenwachsenden Europa zu integrieren.
Nach meinem Aufenthalt in Milicz ist mir klar, eine europäische Stadt muss keine Weltmetropole sein. Sie muss auch nicht jeden Monat irgendein wichtiges internationales Ereignis präsentieren oder sonst irgendwie in der Weltöffentlichkeit stehen. Schon eine kleine Gemeinde kann europäisch sein, es hängt alles von den Einwohnern ab und was sie zu einem gemeinschaftlichen Europa beitragen.
Und so werde ich immer an die Worte denken, die mir mit auf den Abschied gegeben wurden: „Wenn du in Deutschland bist, erzähle allen, wo Milicz ist, und denke immer an uns! Denn wir sind ja auch in Europa.“ Ich hoffe, mit diesem Text konnte ich den Wunsch ein klein wenig erfüllen.