Mich gibt es noch…
Zwischen Weihnachten, Silvester, Geburtstag, Freiwilligentreffen und Arbeit bleibt nur wenig Zeit, ein kleines Update möchte ich euch trotzdem von meinem Leben in Estland geben.
Mein erstes Weihnachtsfest in einem anderen Land und ohne meine Familie habe ich gemeinsam mit einer Freiwilligen aus Österreich und einer Freiwilligen aus Palästina verbracht. Auch wenn wir zu Beginn alle etwas überrascht darüber gewesen waren, dass die meisten unserer Freunde für Weihnachten zurück in ihre Heimatländer reisen wollten, hatten wir trotzdem ein schönes Fest. Den 24. Dezember waren wir in meiner Wohnung in Tapa und haben Plätzchen gebacken und gekocht, bevor wir abends eine traditionelle estnische Weihnachtsmesse besucht haben. Auch wenn wir den Pastor nicht wirklich verstehen konnten, kamen uns jedenfalls einige der angestimmten Weihnachtslieder bekannt vor, sodass es noch ein schöner Abend wurde. Den 25. Und 26. Dezember waren wir dann in Tartu, wo wir den Weihnachtsmarkt besuchten und in einem Einkaufscenter Schlittschuhlaufen gingen. Insbesondere für die Freiwillige aus Palästina, welche noch nie in ihrem Leben die Möglichkeit dazu gehabt hatte, auf dem Eis zu stehen, war dies eine besondere Erfahrung. Doch auch für mich war es etwas Besonderes, dass jegliche Einkaufcenter und Läden an Weihnachten geöffnet hatten, der kirchliche Einfluss in Estland ist nun mal sehr gering.
Silvester habe ich eine Woche später mit einer größeren Gruppe von Freiwilligen in Tallinn gefeiert. Pünktlich um Mitternacht waren wir wie am Vabaduse Väljak, dem zentralen Freiheitsplatz in Tallinn, wo wir mit mehreren tausend anderen Menschen das neue Jahr begrüßten und das von der Stadt organisierte Feuerwerk bewunderten. Zwar war es relativ wolkig und windig, doch jedenfalls regnete es nicht, sodass wir fast eine Stunde auf dem Platz blieben, bevor wir weiter in das Groov (den Club, in dem meine Winterjacke geklaut wurde) zogen. Dort stießen wir noch auf weitere Freiwillige, womit wir ungefähr die Hälfte der gesamten Gäste des kleinen Clubs bildeten. Es war ein schöner Abend, doch wurde dieses Mal einer anderen Freiwilligen der neugekaufte Schal aus der Garderobe entwendet. Ich wiederhole also meine Empfehlung aus dem letzten Beitrag: Falls ihr in Tallinn feiern geht, lasst eure Sachen nicht unbeaufsichtigt!
Mitte Januar stand dann schließlich mein zwanzigster Geburtstag an, welchen ich auch zum ersten Mal außerhalb von Deutschland verbrachte. Da ich an einem Dienstag Geburtstag hatte und sowohl ich als auch meine Freunde alle arbeiten mussten, hatte ich eigentlich nichts Besonderes geplant. Meine Mitbewohnerin und ich wollten abends gemütlich in unserem Stamm Pub in Tapa essen gehen, doch hatten wir diese Rechnung ohne die anderen Freiwilligen gemacht. Sechs von ihnen waren nämlich extra heimlich aus Tallinn angereist und erwarteten uns schon in dem Pub. Es war eine gelungene Überraschung, die ich keinesfalls erwartet hatte, weshalb ich mich sehr über jeden von ihnen gefreut habe. Nicht nur dies, sondern auch ihre sehr überlegten und schönen Geschenke, haben mir gezeigt, dass ich nach etwas weniger als fünf Monaten in Estland schon wirklich gute Freunde aus allen Ecken der Welt gefunden habe, welche mich sicherlich auch noch nach diesem Jahr begleiten werden.
Richtig gefeiert wurde mein Geburtstag und der eines italienischen Freiwilligen dann aber erst auf dem viertägigen Mid-Term-Training eine Woche später. Wir waren insgesamt zwölf Freiwillige, die an diesem von der National Agency organisierten Treffen in Käru teilnahmen. Das Treffen ist dazu gedacht, sich über gesammelte Erfahrungen aber auch Probleme in den jeweiligen Organisationen auszutauschen, sowie neue Kontakte zu knüpfen. Da die meisten von uns sich jedoch schon kannten, fiel Letzteres eher geringer aus, wobei wir aber trotzdem viel Spaß hatten. Käru liegt in der Mitte von Estland, umgeben von nichts außer Wald, Moor und Natur. Von Tallinn aus brauchten wir mit dem Reisebus knapp anderthalb Stunden, wovon wir eine halbe Stunde nur über ungepflasterte Schotterwege und durch dichten Wald fuhren, bis wir schließlich an unserer Unterkunft ankamen. Wir hatten zwei riesige rote Holzhäuser mitten im Wald für uns alleine, inklusive Sauna, Whirlpool und ganzen Herden von Rentieren direkt vor der Haustür. Als ob dies nicht schon Erfahrung und Natur genug für uns wäre, war einen Nachmittag auch noch eine Moorwanderung für uns organisiert. Mit einem alten VW Bus fuhren wir noch einmal knapp dreißig Minuten tiefer in den Wald, ehe uns unser Führer dazu aufforderte, die Schneeschuhe überzuziehen, welche uns vor dem Versinken im Moor bewahren würden. Ungefähr drei Stunden kämpften wir uns durch das beeindruckende Moor, wobei ich nicht die einzige war, die mit den großen und schweren Schuhen hinfiel und nass wurde. Die letzte Stunde, in welcher nebenbei bemerkt auch die Sonne unterging, sodass wir im Stockdunkeln durch das Moor wateten, war für die meisten von uns anstrengend und gruselig, geschafft haben wir es aber trotzdem. Es war auf jeden Fall eine einzigartige Erfahrung, die uns als Gruppe zusammengeschweißt hat und die keiner von uns mehr so schnell vergessen wird.
Das letzte Wochenende habe ich dann auch direkt wieder in der Natur verbracht (ja, in Estland gibt es viel davon), weil wir unser Eskogukond-Camp hatten. Eskogukond ist die Freiwilligencommunity in Estland, welche letzten Sommer gegründet wurde und gerade im Aufbau steht. Die Teilnahme ist natürlich freiwillig, sodass wirklich nur motivierte und interessierte Freiwillige zu dem zweitägigen Camp in Nelijärve erschienen. Insgesamt waren wir somit ungefähr dreißig Personen aus zehn verschiedenen Nationen, die sich zum Ziel genommen haben, den Europäischen Solidarity Corps in Estland bekannter zu machen und einen stärkeren Austausch zwischen Freiwilligen und Einheimischen zu ermöglichen. Wir waren in einem Holzhaus mit Seeblick untergebracht und berieten und diskutierten, wie genau wir unsere Ziele umsetzten könnten. Ich schloss mich schließlich der Gruppe an, welche für Interessierte eine kleine Dokumentation über den Europäischen Solidarity Corps drehen möchte. Die nächsten Wochen werden zeigen, inwiefern wir unsere hochgesteckten Vorhaben auch umsetzen können. Interessant war auch, dass uns einen Tag der Vorsitzende der isländischen National Agency besuchte, welcher extra aus Island angereist war, um sich Inspirationen aus anderen Ländern zu suchen, um den Europäischen Solidarity Corps in seinem eigenen Land noch mehr stärken zu können.
Auf der Arbeit läuft es derweil entspannt, aber trotzdem sehr gut weiter. Zwar sind die meisten Mitarbeiter weiterhin eher verschlossen und weniger kommunikativ, die Klienten dafür aber umso mehr. Wir basteln viel mit ihnen, gehen zweimal pro Woche mit den Rollstuhlfahrern spazieren und auch unsere Disko ist immer noch sehr beliebt. Unser Sprachkurs läuft noch knapp drei Wochen, doch die Möglichkeiten einen fortführenden Kurs zu belegen, welcher auch noch kostenlos ist, sind begrenzt. Dreimal pro Jahr, das nächste Mal im März, bietet die estnische Regierung zwar Kurse an, die rund 700 Plätze sind jedoch der Erfahrung nach meist innerhalb von zehn Minuten vergeben. Wir werden zwar versuchen uns zu registrieren, machen uns jedoch eher geringe Hoffnungen. Ansonsten bin ich auch noch motiviert selber weiter zulernen, insbesondere mit dem frei zugänglichen Sprachlernprogramm Keeleklikk, welches uns auch auf dem Mid-Term-Meeting empfohlen wurde. Ansonsten versuchen wir zurzeit, Reisen nach St. Petersburg, Riga und Vilnius zu planen und hoffen endlich auf richtig viel Schnee. Von unserer Tutorin haben wir jedoch gehört, dass dies der wärmste Januar ist, den sie jemals erlebt hat, was uns nicht gerade optimistisch stimmt. Der Klimawandel macht wohl auch nicht vor Estland halt.
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