Meine ersten Wochen in Estland.
Ist aller Anfang tatsächlich so schwer? Über Faszination, Realisation und Kommunikation.
Umgeben von unberührten Wäldern, unzähligen Seen und Feldern liegt im Süden Estlands die Kleinstadt (wirklich sehr klein!) Tõrva. Vorallem während der ersten Woche, aber auch zum jetztigen Zeitpunkt halte ich fasziniert inne, sobald ich den Wald betrete oder in die unergründlichen Tiefen einer der Seen schaue. Ich lausche dem Zwitschern der Vögel, dem durch die Blätter rauschenden Wind, beobachte wie die Mücken im Sonnenlicht tanzen und kann kaum realisieren, dass dieser wunderschöne Ort nun meine neue Heimat ist.
Und obwohl ich all das wahrnehme, viel unternehme und permanent beschäftigt bin, gibt es auch Momente, in welchen all das eben Beschriebende in den Hintergrund rückt. Dann fühle ich mich hilflos, alleine und vorallem nicht verstanden. Es ist zeitweise sehr frustierend, sich nicht artikulieren zu können, wenn, wann und wie man das möchte. Den momentan verstehe ich kaum ein Wort Estnisch und somit überhaupt nichts von dem, was um mich herum gesprochen wird. Zwar sprechen auf der Arbeit zwei Leute Englisch, mit denen ich dann kommunizieren kann. Aber mir ist es eben noch nicht möglich mit Klienten oder meiner Tutorin zu sprechen. Diese Tatsache lässt sich nicht von einer Sekunde auf die nächste ändern, dass ist normal und völlig in Ordnung. Mein Sprachunterricht hat vorgestern begonnen und ich versuche unabhängig davon selbst ein paar Vokabeln zu lernen. Obwohl ich also mein Bestes gebe und auch alle Mitarbeiter sehr verständnisvoll und wirklich lieb sind, werde ich meinen viel zu hohen Ansprüchen nicht gerecht und bin demententsprechend unzufrieden. In Momenten wie diesen hilft der Austausch mit Gleichgesinnten ungemein.
Jedes Wochenende habe ich deshalb mit anderen Freiwilligen verbracht, denen es aufgrund der Sprachbarriere ähnlich geht. An meinem ersten Wochenende, genauer gesagt am Samstag, fand ein Parcour – Sport – Event statt. Dort lernte ich eine Freiwillige aus Österreich kennen. Sonntags haben wir uns gemeinsam mit einer anderen EFDlerin und meinem Mitbewohner Tõrva angesehen. Das darauffolgende Wochenende verbrachten wir unter anderem in Tartu, der zweitgrößten Stadt des Landes und schauten uns an einem, wirklich sehr verregneten Samstag die Altstadt und das Druck- und Papiermuseum an. Letztes Wochende kam der Sommer noch einmal zurück. Unter blauem Himmel mit viel Sonnenschein paddelten wir in Kanus nahe der Grenze zu Lettland. Der dort verlaufende Fluss tritt aufgrund des vielen Regens jährlich über die Ufer und ist dann mehrere Kilometer breit. Umgeben von Baumwipfeln, Weidenzäunen und Strommasten trainierten wir also unsere Armmuskeln und konnten trotz der gegen Ende auftretenden Anstrengung die beeindruckende Natur und das fantastische Wetter genießen.
Trotz der Sprachbarriere und den damit verbundenen Schwierigkeiten erlebe ich nicht nur in meiner Freizeit unzählig schöne Dinge. Auf der Arbeit darf ich täglich erleben, wie man auch ohne Sprache kommunizieren und Wertschätzung kundgeben kann. Einige Bewohner begrüßen mich täglich mit einem verschmitzen Lächeln, einer Umarmung oder einem lauten „Tere Nadja!!!!“. Sie versuchen mit mir Englisch zu sprechen, möchten mit mir Estnisch lernen und zeigen mir auch ohne Worte, wie sehr sie sich über meine Anwesenheit freuen. All diese vermeidlich kleinen Momente erfüllen mich mit Freude und Dankbarkeit. Sie machen meine Tätigkeit aus und bestätigen mir mein Gefühl, das Richtige zu tun.
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