Mein Schwedisch und Ich
Wenn Vokabeln auswendig lernen nicht der richtige Weg ist...
Sprache ist ein wichtiger Teil der Kultur und demnach ein Schlüssel, um andere Kulturen besser zu verstehen. Die Art, wie Ausdrücke in einer anderen Sprache formuliert sind, kann verständlich machen wie eine Kultur ihre Umwelt wahrnimmt und mit welcher Mentalität Menschen ihre Umwelt betrachten.
Sprache ist Expression einer Kultur.
Deshalb ist es interessant eine andere Sprache zu erlernen. Deshalb ist es interessant zu versuchen zu verstehen wie eine andere Sprache funktioniert.
Und damit bin ich täglich konfrontiert.
Die Schwedische Sprache zu erlernen ist für mich eine Herausforderung und eine essentielle Aufgabe, denn um mich auf mein Leben hier einzulassen – das ist, was ich hier mache: Ich erlebe dieses Jahr nicht, ich lebe es. Es ist kein Urlaub, Ausflug, keine Reise. – ist es wichtig mich ebenfalls auf die Sprache einzulassen.
In den Monaten in denen ich geistig schon in Schweden war, körperlich aber noch in Deutschland, versuchte ich bereits auf übermotivierte Art und Weise Vokabeln zu erlernen. Unter anderem auch durch sinnfreie Apps. Doch sobald ich angekommen war, war diese Motivation wie weggeblasen. Es erscheint mir langweilig und sinnlos, mich vor ein Buch, Heft, Computer oder eine App zu setzen, Vokabeln und Grammatik manisch auswendig zu lernen.
Die Sprache lebt um mich herum. Doch das lernte ich erst später.
So schob ich das Schwedisch auf den SFI-Kurs* hinaus. Der sollte das mit meinem Schwedisch schon regeln. Ich dachte täglicher Unterricht in einer „schulklassenähnlichen“ Situation und die Pflicht sich auf den Unterricht mit Vokabeln und Grammatik vorzubereiten, sei der Schlüssel zum erfolgreichen Erlernen der Schwedischen Sprache. Weil es aber einige Zeit dauert, bis man dort aufgenommen wird, beschloss ich vorerst zwei Mal pro Woche ein Sprachcafe/Sprachtreff zu besuchen.
So nehme ich am Sprachtreff der Bibliothek teil, in dem wir meist eine Lektüre lesen, einen kurzen Einblick in Grammatik, vor allem Zeitformen und Adverben, bekommen. Diese eine Stunde in der Woche erscheint mir oft sehr lange. Jedoch hilft es mir sehr viel, um die Struktur der Sprache zu verstehen.
Donnerstag fahre ich mit dem Fahrrad eine halbe Stunde in das Sprachcafe der Schwedischen Kirche. Mein erster Tag dort, war bisher einer meiner außergewöhnlichsten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Zunächst traf ich auf zwei Frauen, die mich auf Schwedisch begrüßten. Eine der Teilnehmerinnen sprach mich auf Schwedisch an und begann Smalltalk zu führen. Zu diesem Zeitpunkt war mein Wortschatz aber noch zu begrenzt, als dass ich sinnvoll antworten konnte. Doch nach und nach füllte sich der Raum. Wir vergrößerten unsere Runde. Alte und junge Menschen schlossen sich an, Männer und Frauen. Auch der Diakon, der die Runde leitete. Wir begannen mit einer Vorstellungsrunde und es stellte sich heraus, dass alle Teilnehmer abgesehen von mir aus Syrien stammten. Junge Menschen unterstützten die Älteren mit der Sprache.
„Jag heter Silva och kommer från Syria. Jag är mamma ledig.“ Eine der jungen Mütter aus dem Sprachcafe.
Ein paar Stühle weiter. Die älteste Person im Raum. 76 Jahre alt. Bemüht die Sprache zu lernen. Aber das ist schwierig.
Wir fühlt man sich, wenn man seine Heimat verlassen muss, in der man über 70 Jahre lang gelebt, gearbeitet hat? Wenn man in einem Land lebt, in dem man vielleicht nicht leben will? Man hat vielleicht nicht die Energie, nicht die Kraft und nicht die körperliche Fähigkeit sich auf dieses neue Land einzulassen und eine andere Sprache zu lernen? Aber man hat keine andere Wahl.
Als Mensch, der Schwedisch auf Anfängerniveau beherrscht, fühle ich mich mit den anderen Teilnehmern auf einer Augenhöhe. Mir macht es Spaß dort jeden Donnerstag hinzufahren.
Ich lerne mehr als nur Schwedisch dort. Ich lerne Menschlichkeit.
Abgesehen davon habe ich mich zu einem Schwamm entwickelt. Ich sauge auf, was um mich herum geschieht. Was um mich herum gesprochen wird. Wie um mich herum gesprochen wird. Ich versuche, was ich höre, in meinen Wortschatz aufzunehmen. Ich lerne Ausdrücke. Ich lerne Grammatik. Und vor allem lerne ich, wie Menschen wirklich Schwedisch sprechen. Ich lerne, welche Ausdrücke ich wirklich brauche. Denn ich habe erkannt, dass es mir nicht darum geht, so schnell wie möglich, so viele Vokabeln, wie möglich zu wissen. Ich will Wörter nicht lernen und vergessen. Ich will Wörter kennen, um ihre Anwendung und genaue Bedeutung wissen und sie langzeitig in meinem Gedächtnis aufnehmen.
Ich weiß jetzt, dass es unsinnig ist Vokabeln auswendig zu lernen, die ich in keinem Gespräch anwenden kann.
Ich weiß jetzt, dass es wichtiger ist zuzuhören, um nicht nur Worte zu verstehen, sondern auch die Sprache selbst.
Ich denke ich bin auf einem guten Weg.
*SFI: Swedish For Immigrants ist eine nationale Institution, die kostenfreie Schwedischkurse in ganz Schweden anbietet