Mein erster Working Holiday
Für die meisten eher ein Widerspruch in sich, für Johansson eine in vielerlei Hinsicht stärkende Erfahrung: ein Working Holiday. Bei vollem körperlichen Einsatz konnte der Farm erprobte Johansson einigen Büromenschen zeigen, wie Zäune gebaut und Hindernisse mit grober Gewalt beseitigt werden.
Nun bin ich wieder zurück von meinem Working Holiday und habe Einiges zu erzählen. Was ich unbedingt tun muss, bevor ich Donnerstag dann schon wieder nach London fahre. Ihr habt so zurzeit einen noch lückenloseren Bericht als sonst. Und ich setze fast am letzten Wort des letztens Beitrags an, den ich natürlich erst um halb eins des Nachts beendet habe. In aller Eile und ohne ein Korrekturlesen, was wie ich schon gesehen habe, zu einigen Fehlern geführt hat. Und ich kam mal wieder zu spät ins Bett.
Am nächsten Tag, Freitag, geschah allerdings nicht soviel. Ich habe vormittags nur noch meine Sachen gepackt, schnell die Bodenleisten des Caravan mit einer finalen Schicht Gloss vollendet und war sehr zufrieden, dass noch vor dem Wochenende geschafft zu haben. Dann bin ich vom Wohnwagen quasi direkt ins Auto zum Bahnhof gesprungen, ziemlich verwahrlost und bis auf die rasch gewechselte Jacke wahlweise wie ein Maler oder ein Landstreicher aussehend. Ich mochte das irgendwie, besonders meine schweren, Stahlkappen verstärkten Arbeitsschuhe lassen das Selbstbewusstsein gleich um einige Meter in die Höhe springen. Jetzt weiß ich wie sich Golf-III-fahrer und Kampfhundbesitzer fühlen.
Hilfe zum Abgewöhnen
Gefahren bin ich wie immer von Durham, wohin mich Paul gebracht hat. Jedes Mal wieder wenn ich in den Ort komme ist es unglaublich, diesen massiven Berg von einer Kathedrale neben dem Schloss über die sonst eher kleine Stadt ragen zu sehen. Erst einige Tage zuvor hatte ich bemerkt, dass ich gar nicht nach Wrexham (Nordwales), sondern nach Altrincham (südwestlich von Manchester) musste, weil für diesen Urlaub die Unterkunft eine andere als gewöhnlich war. Zum Glück lagen sie nicht all zu sehr auseinander. Ich musste nur bis Manchester fahren, und hätte mir die Tickets nach Chester und Wrexham sparen können, aber was soll’s. So musste ich zumindest nur einmal umsteigen, und zwar in York.
Zum Auffrischen der kürzlich gewonnenen Eindrücke hatte ich keine Zeit, sondern nur zehn Minuten bis zum nächsten Zug. Die Orientierung auf Bahnhöfen fällt hier ja meist recht leicht, aber auf einmal wechselte auf der Anzeigentafel der zu nehmende Bahnsteig, was mich etwas verwirrte. Vor allem, als meine Linie verspätet kam und ich auf der ursprünglich angegebenen Plattform direkt gegenüber einen Zug genau zur erwarteten Zeit einfahren sah. Etwas nervös fragte ich zur Sicherheit einen Schaffner, der mich zwar beruhigen konnte, dass aber tat, als wenn er mit einem völligen Idioten spräche.
Genießen in vollen Zügen
Zum Glück hatte ich Plätze gebucht, die englischen Züge sind nämlich zum Neid des deutschen Nahverkehrs immer voll. Bahn fahren in Britannien ist für meine Begriffe einfacher und billiger. Aber vielleicht sehe ich es in Deutschland auch nur zu eng, denn die Engländer sind hier wie mit so vielen Dingen auch mit dem öffentlichen Nahverkehr nicht zufrieden, wie mir meine Nachbarin auf der Fahrt nach Manchester verriet. Diese Fahrt war übrigens ziemlich lang und ich habe gesehen, warum die Reise so unverschämt zeitintensiv war. Wir sind nämlich die gesamte Strecke von York nach Manchester Piccadilly in so einer kleinen Bummelbahn gefahren, die scheinbar als einzige quer über die Insel operieren. So kam ich gegen vier Uhr in dieser zwei Millionen Metropole an.
Ich fahre gerne Zug. Besonders allein und wenn es durch neue Gegenden geht. Man hat soviel Zeit zum Gucken und Nachdenken. Oft, und vor allem während der Arbeit, merke ich, wie ich meine Zeit hier gar nicht richtig als besonders wahrnehme. Wo ich es mir immer als so besonders vorgestellt habe, als ich noch zu Hause war. Das ist es auch. Aber man braucht Zeit, um es wahrzunehmen. Und ich werde es so vermissen, jeden Tag von Neuem herausgefordert zu werden, wenn ich erstmal wieder dort bin, wo ich schon die letzten zehn Jahre verbracht habe. Ich habe einige Texte von anderen gelesen, und es ist durchaus richtig: Es kommt nicht darauf an, wo man ist, es ist allein die Fülle von neuen Eindrücken, die einen endlich einmal ganz beansprucht und ausfüllt.
Weniger ist mehr
Nun begann der ungeplante Teil meiner Reise, und ich hab mich nach Zeit und Ort für den Zug nach Altrincham umgesehen. Was gar nicht so einfach ist auf einem Bahnhof, der manche Kleinstädte in den Schatten stellt. Die Reiseinformation voller als die Tokyoter U-Bahn, und der richtige Fahrplan versteckt in einem Wald von Broschüren. Ich hatte zwar genug Zeit, und die Bahn fuhr regelmäßig, aber ich wollte die letzte mögliche nehmen, weil wir erst nach sechs im Zielort abgeholt werden sollten und ich mir Manchester noch etwas ansehen wollte. Was ich dann auch getan hab, obgleich nur Teile die ich schon vom letzten Mal kannte, nachdem ich meinen Newcastle United Schal lieber versteckt hatte. Wieder einmal bin ich zum URBIS (Museum für urbane Lebenskultur) erst gekommen, als ich wieder umkehren musste.
Einen zeitraubenden Umweg durch einen Stadtteil jenseits der Einkaufsmeile später konnte ich gleich in meinen Zug springen. Hier habe ich erstmal gemerkt, wie gut und warm das Wetter geworden ist, denn ich hab geschwitzt wie ein Tier. Vier Oberteile sind dann doch nicht mehr nötig, vor allem nach einem Dauerlauf mit Rucksack und Koffer.
Politik in der Praxis
Kurz vor sechs erwies ich Altrincham die Ehre und erkannte ob ihrer Ausrüstung gleich zwei weitere Urlauber, die mit mir aus dem Zug stiegen. Das waren Alice und Laura. Erstere arbeitet im britischen Außenministerium und hatte etwas Entspannung nötig, nachdem der neuste Geniestreich des großen bösen Dabbeljus ihre Abteilung in helle Panik gestürzt hat. Cool, Politik mal so praktisch zu erleben.
Die andere war dann ausgerechnet eine amerikanische Studentin aus Massachusetts (warum nur ausgerechnet aus dem Staat, der schon in der Schule meine Zunge verkrüppelt hat?), die einzig für diesen Kurzarbeitsurlaub herübergekommen ist. Der wird das sogar von ihrer Uni bezahlt, als Pflichtteil ihres Studiums. Andere machen einen Weinverkostungskurs in Kalifornien mit, sie fliegt um den halben Erdball. Wer sagt, die Amis gäben zu wenig Geld für Bildung aus?
Wir haben es geschafft, nicht über Politik zu reden, zum Glück. Das machen ja schon genug Leute. Nur soviel: die Frau sollte man all den Leuten um die Ohren hauen, die in Templin wie die Lemminge zu den Demos gegen „die Amerikaner!“ gelaufen sind. Später ist noch ein John zu uns gestoßen. Und nachdem ich unseren Assistenzleiter angerufen hatte, kam der uns eine halbe Stunde später einsammeln.
„Und man gab ihnen einen Stall zum Nachtlager“
Gewohnt haben wir in einem umgebauten Stall mit Schlafzimmern, Küche und Gemeinschaftsraum. Ich war überrascht, wie jung die Teilnehmer waren. Ich glaub da war keiner über 35. Auch sonst hat man immer wieder gestaunt. Bevor ich nach England gekommen bin, hab ich kaum mal wen mit Auslandserfahrung getroffen. Da dachte ich noch, ich wäre etwas Besonderes... Aber allein hier hat ein Viertel schon mal so etwas wie ich gemacht. Zwei waren in Frankreich und Louise ein Jahr in Düsseldorf. Die konnte ziemlich gut Deutsch, auch wenn ich sie sofort wieder abgewürgt habe, schließlich bin zurzeit ich dran mit Fremdsprachen üben. Die drei waren jedenfalls das Erste was ich sah, als ich in die Unterkunft kam. Was schon mal ein sehr positiver Eindruck war.
Trinken mit den Reichen
Die Sachen in die Räume gebracht, und dann gab es erstmal Abendessen. Mit dabei das unsterbliche „Ich bin A aus B, arbeite als C und bin X-ten Mal auf einem Arbeitsurlaub“-Spiel. Philippe, der Leiter, hat uns erklärt, was wir machen werden, wann aufzustehen und wann loszufahren ist und hat die Leute für Aufgaben wie Essenmachen und Aufräumen eingeteilt. Ich hab mich gleich für mehrere Sachen eintragen lassen, weil ich ja Erfahrung für meine eigene Leitungsfunktion später sammeln wollte. Danach sind wir in einen nahe gelegenen Pub gegangen, wo sich weiter gegenseitig die Standardfragen des Kennenlernens stellen konnte.
Besonders interessant fand ich Penny, eine Helikopterpilotin in der RAF. Die fliegt auch keine Popelkisten, sondern gleich die großen Dinger, einen Chinook, diese Transporter mit zwei Rotoren. Die war ziemlich cool und hat einige lustige Sachen aus der Armee erzählt, wo man manchmal nicht glauben konnte, wie solchen Leuten Waffen in die Hand gedrückt werden. Durch die glorreichen Kampagnen zur Weltbefriedung in den letzten Jahren ist sie auch schon ziemlich rumgekommen und hat Einiges gesehen. Wäre der Bund etwas mehr als sinnfreies Herumlungern in Kasernen mit Bekloppten, vielleicht hätte er mich doch interessieren können.
Der Pub war ziemlich gut, ich wünschte wir hätten so etwas hier. Allerdings ist diese Ecke auch in Cheshire (wo dieser abartige Käse herkommt), einer Gegend, die allerorten für ihren Reichtum bekannt ist. Tatsächlich sah ich das ganze Wochenende über nichts unterhalb einer Klassifikation von „wohlhabend“. Dementsprechend war selbst in der Kneipe die Hälfte der Leute NT-Mitglieder und man hörte nur Gutes und Unterstützung. Vollkommen ungewohnte Situation.
An die Arbeit
Der Abend zog sich natürlich zu lange hin für einen Morgen, der früher als gewohnt begann. Unser Arbeitsplatz war aber eine Stunde Fahrt weg, sodass ich im Kleinbus etwas Schlaf nachholen konnte. Zuerst sind wir zur NT-Besitzung gefahren, die den Urlaub organisiert. Die nennt sich Bickerton Hill und besteht vornehmlich aus Hügeln und Heide. Fast so ähnlich wie in der Uckermark, mit vielen Birken und saurem, armen Sandboden, dafür aber keine Fichten. Auf einem Hügel steht ein altes Fort aus der Bronzezeit, von dort kann man bis nach Wales und Manchester schauen. Wenn nicht eine Dunstschicht über dem Land liegt, wie es gerade der Fall war, auch wenn es sich um Schönwetterdunst handelte. Es war eine sehr schöne Gegend, vom in seiner Arbeit vollkommen aufgehenden Warden auf einem kleinen Spaziergang gezeigt. Obwohl das Gelände sehr groß ist, kümmert er sich alleine drum und das schon seit dreizehn Jahren.
Dann haben wir nur noch schnell Geräte auf den Anhänger gepackt und los ging es wieder, auf zum eigentlich Einsatzort am Rand des Gebiets. Das war eine kleine Wiese unterhalb eines bewaldeten Hügels, wo wir einen Zaun bauen sollten. Zuerst hat uns Dave, der Warden, eine kleine Demonstration geliefert, wie man diese massiven Drei-Meter Pfähle fest eingräbt. Er hatte sogar einen maschinellen Bohrer an seinem kleinen Bagger, mit dem in zweieinhalb Sekunden ein Loch gemacht wurde, für das man sonst eine halbe Stunde gebraucht hätte. Das war Arbeit, wie ich es mochte: Vorführung, Gruppeneinteilung, Werkzeuge verteilt, an die Löcher und ab die Luzie. Was mir besonders gefallen hat: ich hab die Leitung einer Gruppe bekommen und wir sind wirklich schnell vorangekommen. Zusammen haben wir schon am ersten Tag fast alle Pfähle vergraben.
Der Cowboy
Zum Glück hab ich selbst erst vor einigen Wochen meinen ersten Zaun gebaut und war so einer von nur zweien mit praktischen Erfahrungen. Sonst waren alle aus Bürojobs. Außerdem hatte ich natürlich einen Fitnessvorteil durch die tägliche Arbeit, kannte die Geräte und hatte tadelose Arbeitskleidung. Was denkt Ihr, wie interessant man auf einmal ist, wenn man auf einer Farm arbeitet. Oder wie eindrucksvoll, in der schweren Arbeitskluft mit den Schuhen und den Volllederhandschuhen; mit divers gefleckter Jeans und zerfetzter Jacke am Körper und der teilweise noch originalfarbene Mütze auf dem Kopf, sodass nur noch ein Stück vom Gesicht zu sehen ist. Drück dieser Person noch ein Werkzeug in die Hand und Du bist vom eigenen Spiegelbild beeindruckt.
Diese Arbeit war wirklich was fürs Selbstbewusstsein. Graben, Hacken, Schaufeln, und vor allen Dingen auf Sachen einschlagen und sie in den Boden rammen. Am anstrengendsten war das Feststampfen der Erde, nachdem man den Pfahl ins Loch gestellt hatte und es drum herum wieder auffüllte. Ich hab schon über mich selbst gestaunt, wie ich aus einem scheinbar unendlichen Vorrat an Energie schöpfen konnte. Es war einfach fantastisch, mal wieder in richtigen Teams zu arbeiten und dann auch noch etwas Ahnung zu haben. Ich hab Steine, Ziegel und Betonblöcke zerschlagen und zerstampft, um gröberes Material zu haben; wie ein Verrückter an Wurzeln gehackt und gezogen, bis sie aus dem Weg waren; hab die Hälfte des Stampfens erledigt, bin ständig auf der Suche nach den benötigten Werkzeugen über die Wiese gesprintet.
Man, so gut ging es meinem Selbstwertgefühl seit Jahren nicht mehr. Ich hatte schon nur noch ein T-Shirt an und war trotzdem klatschnass vor Schweiß und will nicht wissen, wie ich gerochen hab. Wir kamen sehr gut voran, am besten konnte ich mit Penny arbeiten. Mit der brauchte ich kaum reden, um jeweils das Richtige zu machen, und wir erledigten zu zweit, wofür andere Teams vier Leute hatten. Das Wetter war perfekt zum arbeiten, es war nicht kalt, gegen Mittag kam sogar die Sonne hervor, und trotzdem wurde es dann auch nicht zu warm.
In der Lunchpause hab ich mich ein bisschen mit Louise unterhalten, die arbeitet in einer Art Europaabteilung der Stadtverwaltung Manchesters und kommt so auch eine Menge durch Europa, was ich an sich schon interessant fand. Sie hat mir erzählt, wie sie sich in ihrem Deutschlandjahr vom ERASMUS Programm für Studenten hat unterstützen lassen, das klang ebenfalls sehr nützlich.
Früh übt sich
Der Tag hat uns alle erledigt, und ich hab auch die Rückfahrt verschlafen. Ich hatte mich am Vortag mit John Ide, dem Assistenzleiter, über seine Rolle unterhalten und mich für das Kochen des Abendessens gemeldet. Dadurch konnte ich mich vor allem als erster duschen. Zusammen mit Laura haben wir uns an Spaghetti Carbonara gemacht, wodurch ich wieder Einiges in der Küche gelernt habe. Erste Lektion für meinen eigenen Arbeitsurlaub: extra früh anfangen. Wir haben uns mit dem Essen nämlich eine knappe Stunde verspätet und ich hab in der Zeit soviel Süßigkeiten in mich reingefuttert, dass vom anfänglichen und so netten, weil verdientem Hungergefühl nichts mehr übrig war.
An dem Abend sind wir zumeist früh im Bett verschwunden. Ich dummerweise nicht, ich bin mit einigen Leuten in der Küche geblieben und hab zumeist Pennys Geschichten aus der RAF gelauscht. Wahnsinniges Volk dort.
Sachen kaputt machen I: Zerstampfen&Zerstoßen
Am zweiten Tag war ich noch müder und hab nach dem Frühstück auch noch mein Lunchbrot vergessen. Dafür konnte ich in Pennys schickem Auto mitfahren, mit dem sie diesmal zum Arbeitsplatz fuhr. Eine wirklich interessante Person, bevor sie zur Armee gekommen ist, ist sie durch Australien und dann Neuseeland getrampt. Was würde ich dafür geben... Auf der Wiese haben wir diesmal die stehenden Pfähle mit Seitenstützen versehen, was weniger anstrengend war, aber ziemliche Präzision bei deren Ausrichtung erforderte. Wieder ging es sehr gut voran und ich hab mir wieder die Seele (beziehungsweise Lunge) aus dem Leib gearbeitet.
Gerade am vorletzten Pfosten sind wir auf einmal auf einen Stein gestoßen und konnten nicht weiter graben. Etwas nachgebuddelt wurde der immer länger und entpuppte sich als eine Schicht Sandstein. Während die anderen ein enttäuschtes „Ah“ und „Oh“ hören ließen, fing ich auf einmal an, mit meinem Spaten wie ein Besengter auf das Ding einzudreschen, das die Splitter nur so geflogen sind. Getreu meinem alten Motto „Mit Gewalt geht alles.“ Dann habe ich mir so eine Art Speer geholt (was auch immer „pinch bar“ auf Deutsch ist), eine Stahlstange mit spitzem Ende, und damit weitergemacht, schwitzend und außer Atem, kaum fähig zum Nachdenken. Und ich hab das Ding durchbrochen! Lobet mich alle! Ich mache es ja auch :-)
Ich will mich ja nicht zu sehr selbst beweihräuchern, aber ich war echt stolz auf mich. Wenn was nicht ging, wer wurde gerufen? Hach, ging’s mir gut.
Plünderung
So wurden wir wieder mehr als pünktlich fertig und langsam kam auch das Wochenende zum Schluss. Noch schnell einige Dutzend Fotos gemacht und es ging wieder zurück zur Herberge. Beziehungsweise erst noch mal zu dieser Hügelfestung, wo aber die Hoffnung auf einen besseren Blick wieder enttäuscht wurde. Immer wieder fallen mir hier die Osterglocken auf. Die wachsen wirklich überall, das kenne ich aus Deutschland nicht. Sieht sehr schön aus.
In der Unterkunft wieder geduscht, Sachen zusammen gepackt, beim Abwaschen geholfen (meine Mutter wird mich nicht mehr wieder erkennen) und dann ging das große Plündern los. Natürlich hatten die Leiter nämlich zuviel eingekauft und so konnte jeder noch etwas einstecken. Mir wurde die letzte Flasche Weißwein überreicht. Nicht fürs Arbeiten, mehr, weil das diese Liebfrauenmilch war, also a) aus Deutschland und b) von mir negativ bewertet, weil süß und gefährlich.
Heimfahrt mit Hindernissen
Uns hat das Wochenende allen sehr gut gefallen, nur der Abschied war ziemlich kurz. Ich wurde von Collin, einem anderen Teilnehmer, mitgenommen, der es ziemlich eilig hatte und so konnte ich nur noch schnell ein „Bye“ in die Runde werfen. Ich Nachhinein war es mein Glück, bei ihm mitzufahren. Auf unserem Weg nach Altrincham stellte ich nämlich fest, dass ich gerade den letzten rechtzeitigen Zug nach Manchester verpasst hatte. Gott sei Dank hatte ich den Plan überhaupt dabei. Netterweise hat mich Collin dann selbst bis zum Piccadilly Bahnhof gefahren, was glücklicherweise sogar direkter auf seinem Weg lag. Nicht einmal ihm konnte ich Tschüss sagen, weil hinter uns auf einmal ein Bus auftauchte, als ich gerade ausgestiegen bin.
Hier war ich also wieder in Manchester und hatte noch mehr als eine Stunde Zeit. Aber ich war zu müde für alles Aufwendige und hab mich nur noch auf einen Platz ziemlich im Zentrum gesetzt, mein Lunch nachgeholt und mir Stadt und Leute angesehen, während über den Hochhäusern langsam die Sonne nieder ging. Manchester ist nicht wirklich schön und laut den Bewohnern ist auch nicht soviel zu sehen. Aber groß ist es und ethnisch äußerst gemischt; ich glaub ich hab noch nie ein solches Durcheinander gesehen.
Als ich dann zurück zum Bahnhof marschierte, bin ich kurz vorher noch einmal abgebogen und so zu einem der Kanäle der Stadt gekommen. Was mir nämlich nicht klar war: sie ist in großen Teilen von Wasserstrassen durchzogen, für die Brücken, Schleusen und Verkehrsschilder gebaut wurden. Dort habe ich auch noch etwas gesessen, bevor ich dann wirklich zum Bahnhof zurückgekehrt bin.
Der Reise nach Jerusalem (für Arme)
Immer noch hatte ich eine halbe Stunde Zeit, darum hab ich mich mal wieder mit einer Zeitung versorgt. Im Endeffekt saß ich aber nur auf einer Bank und hab ohne besonderen Grund in die Gegend geguckt. War wirklich zu müde, um irgendetwas Spezielles zu machen. Durch den Frühling gibt es jetzt wieder so etwas wie Vorabendstimmung. Ich mag keine Frühlings- und besonders keine Sommerabende. Diese Atmosphäre von Niedergang, wenn ein heller und intensiver Tag langsam zu seinem Ende kommt, drückt gewaltig auf meine Laune. Vor allem erinnert es mich viel zu sehr an das Auslaufen meiner eigenen Zeit. (Ein anderer Grund sind natürlich die Pärchen, die wie jedes Jahr auf einmal auftauchen, mit diesem grausamen, ewigen Lächeln ihres halbjährigen Glücks auf den Gesichtern.)
Ein anderes Ärgernis war mein Sitzplatz, oder vielmehr derjenige, der ihn in jeder Form besetzt hielt. Nachdem mir auf eine höfliche Frage nur etwas Unartikuliertes von wegen „Ich sehe hier kein Schild.“ entgegen gemurmelt wurde bin ich sofort zum Schaffner, weil ich zu müde für irgendwelche sinnlosen Diskussionen war. Man merkt, dass man nicht mehr im freundlichen Norden ist... Das Zugpersonal versprach mit auch zu helfen, davon ist dann aber trotz mehrerer Ankündigungen, ihn „zu feuern“, nichts geschehen.
Dafür hab ich einen Platz in der ersten Klasse gekriegt, auch nicht schlecht. Neben mir saßen zwar drei Besoffene mit ihren Stella-Büchsen auf dem Tisch, aber die haben zum Glück jemand anderes belästigt. Mit dem Bummelzug wieder zurück nach York, wo ich diesmal auch etwas Zeit hatte. Leider war es bereits nach acht und alles dunkel und sowieso geschlossen, sodass ein kleiner Spaziergang durch die Altstadt nichts brachte. Zumal ich jetzt ohnehin schlecht gelaunt war. Auf Darlington musste ich dann noch einmal umsteigen, diesmal aber wegen Gleisarbeiten in einen Bus, der uns nach Durham brachte, wo Paul mich abholte.
Das war also mein letztes Wochenende (bei Veröffentlichung dieses Artikels wahrscheinlich das vorletzte), trotz dieser Stolpersteine zum Schluss ein äußerst erfolgreiches. Meine Motivation und mein Selbstbewusstsein sind nach oben geschnellt wie Raketen und ich freue mich schon auf den nächsten Arbeitsurlaub. Peter, den ich überraschend Freitag sowie Montag auf der Farm trag, riet mir, von selbst bei der Urlaubsorganisation anzurufen und mich irgendwo einteilen zu lassen. Außerdem ist ein Arbeitseinsatz irgendwo in den Midlands klargemacht worden.
Sachen kaputt machen II: Verbrennen
Montag war ich noch voller Energie, die aber nicht wirklich genutzt wurde. Was nichts Negatives bedeutet, ich hatte sehr viel Spaß, denn noch einmal durfte ich Sachen kaputt machen. Paul war auf Meetings beschäftigt und versorgte mich für den Vormittag mit der Aufgabe, einen Schuppen zu entrümpeln und alles Hölzerne zu verbrennen. Juhu!
Was war das toll, mein erstes eigenes Feuer. Zuerst hatte ich etwas Probleme, es in Gang zu kriegen, aber äußerst schnell hatte ich das gelernt. So schnell, dass ich aus Versehen ein paar von Rons Pfosten mit rein geschmissen habe. Das war wirklich toll, als es erstmal am Laufen war, brauchte ich nur noch daneben stehen, ab und zu was Neues reinschmeißen oder etwas drin rumstochern.
Nachmittags gab es etwas Ähnliches: ich sollte alle Kabel und Rohre unter dem Caravan entfernen. Das war eher nervig, weil man auf dem kalten Boden lag und einem von oben dauernd Rost ins Auge fiel. Ich bewundere immer wieder die Fähigkeit von Dingen, aus mehreren Metern Entfernung an meinen Brillengläsern vorbei direkt in mein Auge zu springen. Am Ende kam ich mir vor wie ein Mafia-Attentäter, als ich mit meinen Werkzeugen ganz unter das Ding gerobbt bin, um die letzten Sachen in der Mitte zu lösen. Aber es war wieder interessante Arbeit, die ich noch nie gemacht hatte.
Das Schaf geht, der Fasan kommt: Das Gleichgewicht der Natur
Abends bin ich wieder nach Newcastle zum Französischkurs. Denis Rooney hat mich nach Seaham zum Bahnhof gebracht, etwas früh, so dass ich noch Zeit hatte, die Polinnen zu besuchen. Im Moment ist aber nur Asia daheim, die anderen drei sind zu Hause in Polen. Sie war so erfreut über mein Erscheinen, wie ich über die warme Unterkunft für die nächsten zwanzig Minuten. Außerdem hab ich Kasia („Kascha“) gesehen, Madzias kleine Schwester, die gerade nach England geholt wurde. Jetzt warten nur noch zwei Kinder drüben. Das war sehr nett. Mit Joanna und hoffentlich auch Hanni werde ich in naher Zukunft mal in die Kirche gehen, interessiert mich wirklich, sie mal dort zu sehen.
Ich hatte auch eine gute Nachricht für Madzia. Rons ab und zu hier „arbeitender“ kleiner Enkel William hat mir nämlich erzählt, dass sein Opa vielleicht schon nächsten Monat vier Lämmer auf die Farm holen will. Das wäre wirklich schön. Wir haben übrigens auch so schon eine Art kleinen Ersatz für Sheila & Co. gekriegt. Seit einigen Wochen hockt hier immer wieder einer der wilden Fasane im Gehege mit den Gänsen, ohne das sie ihn töten oder verstümmeln oder wenigstens verscheuchen. Ich mag es, diese Vögel hier immer wieder zu sehen und ihr heiseres Krächzen zu hören. Es gibt einem das Gefühl, dass die Regeneration hier wirklich vorankommt.
Tickets & Pakete Im College hab ich dann übrigens die gewonnen Tickets abgeholt, ich kann mir sogar ein Rennen meiner Wahl angucken. Außerdem hab ich jetzt einen Termin für die nächste mündliche Prüfung, die entgegen meiner letzten Informationen und Aussagen doch bereits Ende April ist. Wir haben uns Aufnahmen von den letzten Prüfungen angehört und ich denke, es sollte auch für mich machbar sein (wieso benutzen eigentlich Französischlehrer grundsätzlich immer noch Kassetten, während jedes andere Fach längst bei CDs und weiter ist?).
Zum Schluss: Danke für Eure Pakete. Hier sind gleich zwei angekommen, eins kurz vor dem Urlaub, eins hab ich danach gefunden, aus Templin und aus Rostock. Besonders über die Osterservietten haben wir hier gut gelacht :-) Die Würste liegen im Kühlschrank und sämtliche Schokolade hat den Nachmittag nicht überstanden. Das Französischbuch finde ich sehr hilfreich, nachdem ich kaum einen Fuß weit in „Le Parfum“ gekommen bin. Der Dekoration wurde bereits zu ihrer Geltung verholfen. Besonders für den kleinen Holzosterhasen. Es war wirklich Zeit, den Weihnachtsmann abzulösen.