Meet thy Neighbours
Johannson schaut sich sein Viertel näher an: die winzig kleinen Läden überall und die seltsame Kirche, ästhetisch wie der örtliche Baumarkt, und doch ein ungemein traditionsreicher Ort.
Eine der drei Ausstellungen auf dem Markt zeigt besondere Bauprojekte aus dem Nachkriegsaufbau. Eins davon ist eine moderne Kirche in meinem Viertel, und ich wollte sie mir mal angucken. Dabei habe ich auch meine Umgebung kennen gelernt, was sich selbst bei Plattenvierteln immer lohnt.
Volkswirtschaft
Besonders fällt mir hier stets der Unternehmergeist auf. Es gibt nicht nur die Supermärkte, Markthallen und Basare, nicht nur die Obst- und Blumenfrauen auf der Straße, nein, auch an den unwahrscheinlichsten und verstecktesten Plätzen ist der allgegenwärtige Kiosk.
Eine Trennung aus Wohnviertel und Einkaufszone gibt es kaum, Wohnungen und Geschäfte sind verwoben. Zum Teil wurden die Blöcke extra so konstruiert, meist aber wird improvisiert. In einem Teil der eigenen Wohnung oder dem Kellereingang, selbst auf kaum einsehbaren Hinterhöfen finden sich winzige Geschäfte, und nur bei den besten weist ein handgemaltes Schild auf der Straße den Weg zum "Mode-Geschäft 'Malgorzata'".
Das ganze hat die Atmosphäre von Wühltischen, zwischen den Regalen und Kleiderständern ist kaum Platz zum Laufen; es ist billig und die Qualität offensichtlich. Da die Geschäftchen sowieso zu zahlreich und dem nicht Eingeweihten fast unsichtbar scheinen, ist es kaum vorstellbar, das sie ansatzweise profitabel sind.
Aber hier sehe ich, was der Lehrbuchsatz bedeutet, "im polnischen Wirtschaftssystem wird Sozialkapital vor allem im Familien- und Bekanntenkreis gebildet": die Hausbewohner kaufen wohl, weil der Besitzer ihr Nachbar ist. Und trotz der Qualität ist es überraschend verführerisch. Warum nicht schnell den Teigring mit Schokoglasur mitnehmen, warum nicht mal ein Eis? Nebenan ist ein Anwalt, warum nicht mal wen verklagen?
Beten im Baumarkt
Kirche in Polen ist auch so eine Sache. Die erwähnte war zu, aber zum Ende meines Spaziergangs kam ich zu einer zweiten, die ich schon immer von meinem Balkon aus gesehen hatte und von außen ganz ähnlich aussieht. Eine moderne Rundkonstruktion, wie von einer großen Springform neben die Straße gebacken.
Der Erscheinung nach aus den 70ern, dafür aber zu gut erhalten, ich tippe eher auf die frühen 90er, als Kirchen endlich ohne große Erlaubnis gebaut werden konnten. Oder sie wurden laut Ausstellung von den 70ern bis in die 90er gebaut, im Kommunismus waren neue Kirchen natürlich keine Priorität. In der Tat sehen viele dieser Neubauten aus, als hätte man ganz schnell ganz viel nachholen wollen.
Hier ist um das Gebäude eine Rasenfläche und ein Holzkreuz darauf, angebetet von einer irgendwie abgestellt wirkenden Figur aus fleckenlos weißem Stein. Hinter der Kirche lächelt eine ebenfalls weiße Steinmaria von einem niedrigen, gemauerten Steinhaufen auf einen kleinen Teich. Die Statuen sind alle aus dem gleichen Material und augenscheinlich vom Fließband.
Wäre im Teich noch ein kleiner Springbrunnen, die Ästhetik wäre nicht mehr zu unterscheiden von der Gartenabteilung des örtlichen Baumarktes.
In der Tat ist das die Ausstrahlung des ganzen Komplexes.
Auch innen dominieren simple, moderne, leicht austauschbare Bilder und Fenster. Die Wand hinter dem Altar wird von einer Art Schirm verdeckt, der stark nach bemaltem Sperrholz aussieht, in Nischen stehen die gleichen weißen Figuren wie draußen. Überall das Flair von Kulissen aus dem Küchenstudio. Im hinteren Verwaltungsteil, immer noch auf Kirchengelände, ist eine private Apotheke untergebracht.
Der Kirche Kern
Nun klingt das alles herablassend, doch es geht nicht um Architektur. Denn diese Fertigteilkirche in einem Plattenviertel an der Ausfallstraße ist lebendiger als viele historische in anderen Ländern. Im Keller ist ein Geschäft für 'Dewocjonalia' untergebracht, daneben ein kleines Café. Offen täglich von 15.00 bis 20.30 Uhr, Sonntag schon ab 7.30 Uhr. Ich kann die Gemeinde quasi vor mir sehen, in Sonntagkleidern, vorneweg die alten Frauen, die hier mit Sicherheit den gesamten Sonntag verbringen.
Hier ist das Hauptquartier der Mocherowe Berety, der alten, streng gläubigen Frauen mit ihren legendären Wollmützen, der Eisernen Garde des Vatikans. Die Leute kommen, nicht nur zum Gottesdienst, auch auf dem Weg von der Arbeit, nebenbei, für ein schnelles Gebet.
It's a hugely appealing city with a character all its own, embracing everything modern Poland has to offer, and there's really no excuse for missing out.
„Wroclaw“, in: „Lonely Planet: Poland“ (2005:263)