Marokko
Amselle fuhr mit ihrem Freund an Neujahr nach Marokko. Die Rundfahrt durch das Land an der Nordwestküste Afrikas bescherte ihnen vielfältige, schöne Eindrücke von Land und Leuten.
Voller Spannung, was uns erwarten würde, fuhren wir am Neujahrsabend mit dem Bus gen Süden nach Algeciras. Von dort aus sollte es mit der Fähre früh morgens weiter nach Tanger, dem nördlichen Einfahrtstor Marokkos, gehen. Nach achtstündiger, holpriger Busfahrt erreichten wir um 6.30 Uhr morgens Algeciras und schifften dann auf der Fähre ein. Die Meerenge von Gibraltar bei Sonnenaufgang ist wirklich beeindruckend! Auf der anderen Seite hinterlässt bei mir der Gedanke an die vielen armen Flüchtlinge, die hier jedes Jahr bei dem Versuch, illegal in die Wohlstandsfestung Europa einzudringen, ihr Leben lassen, einen bitteren Nachgeschmack...
Nach zweieinhalb Stunden Fahrt kamen wir im Hafen von Tanger an, wo uns auch gleich eine deutsche Familie, beziehungsweise Mutter und Tochter dieser, abholten. Ich hatte den Vater, der mit seinen vier Kindern samt Frau schon seit zehn Jahren in Marokko lebt, über ein Internetforum kennen gelernt und fand es freundlich, dass er uns abholen und helfen wollte. Dass diese die Eltern nichts anderes als Schlepper waren, wie es im Hafen von Tanger auch marokkanische zu Dutzenden gibt, wurde uns spätestens dann klar, als Mutter und Tochter uns in ein Vier-Sternehotel brachten, wo wir erst einmal einen Pfefferminztee tranken. Danach holte uns der Vater in einem anderen Auto ab, um uns ein bisschen durch Tanger zu fahren. Tanger hat einen zwielichtigen Ruf, bedingt durch seinen Hafen und die Nähe zu Europa. Viele Schmuggler, Drogenkuriere und Menschenschlepper zieht es in die Stadt.
Als wir recht bald klar machten, dass wir weder in dem Hotel, noch auf dem Campingplatz der Familie übernachten, sondern gleich weiter mit dem Nachtzug nach Marrakesch fahren würden, wurden sie nicht minder freundlich, aber überließen uns bald ihren Kindern, damit sie neue Winterurlauber samt Wohnmobile aus dem Hafen ziehen konnten. Puuh!
Unterwegs mit den elf und 22 Jahre alten Söhnen der Familie ging es doch weit aus weniger ungezwungen zu. Der elfjährige konnte sogar schon perfekt marokkanisch, sodass wir unsere teuersten Urlaubsmitbringsel schon gleich in der Medina (Altsstadt) von Tanger kauften, weil er uns die besten Preise aushandelte. :) Das Handeln ist übrigens eines der Dinge, um die man in Marokko nicht herum kommt. Es gibt nur in den größeren Städten Supermärkte mit Festpreisen, woanders ist man darauf angewiesen, in den Markthallen oder Souqs um alles zu feilschen, wie es nur geht. Dafür sind wiederum Französischkenntnisse essentiell, auch wenn manche Marokkaner in den Touristenzentren meinen, mit ihrem Lockruf „Come and have a look at my shop!“ schon Englisch sprechen zu können. In Tanger allerdings kommt man auch gut mit Spanisch weiter.
Marokko stand lange Zeit unter französischem Protektorat, weshalb die Kinder, insofern sie denn in die Schule gehen können (Marokko hat eine Analphabetenrate von über 40 Prozent!), stets Französisch lernen. Ich hatte sogar das Gefühl, dass wir anders behandelt wurden, wenn wir uns manchmal als Franzosen ausgaben... Generell waren die Leute aber immer freundlich und zuvorkommend. Ich weiß nicht, wie oft ich „Soyez bienvenues!“, „Welcome in Marocco“, „Willkommen!“ insgesamt gehört habe. Ansonsten war das einzige, was ich an Europa vermisst habe, die Klos. Zwar finden sich in besseren Hotels (manchmal hatten wir Glück) oder manchen Haushalten westliche Toiletten, meistens sind es aber eben doch Löcher im Boden, wo man sich komisch „draufhocken“ muss. Auch wird normalerweise kein Klopapier benutzt, sondern die linke Hand (daher die unreine Hand, mit der man niemandem etwas geben sollte) samt Wasser.
Nun aber weiter im Text: Nachdem wir den ganzen Nachmittag mit den zwei Jungs verbrachten, machten wir uns um 20.00 Uhr auf zum Bahnhof, um dort auf unseren Nachtzug zu warten. Die Fahrt nach Marrakesch dauerte um die zehn Stunden, war in unserem Achterabteil (in Deutschland mit Sicherheit ein sechs-Personen-Abteil) zweiter Klasse nicht sonderlich gemütlich, aber doch lustig. Mit uns fuhren nämlich noch zwei Amerikaner und zwei Engländerinnen. Alle wie wir schwer bepackt mit Wanderrucksäcken. Die Engländerinnen waren nicht so aufgeschlossen, dafür unterhielten wir uns aber über Gott und die Welt mit den sehr liberalen, leicht durchgeknallten Amerikanern. Sie waren uns sehr sympathisch! :)
In Marrakesch angekommen, schnappten wir uns eines der kleinen Stadttaxis, ließen uns zu unserem Hostal in der Nähe des zentralen Djama el Fna Platzes fahren (Taxifahrten kosten nur zwischen 50 Cent und zwei Euro, Übernachtungen in einfachen Hostals nur fünf bis zehn Euro) und schliefen erstmal den Schlaf der Gerechten. Wir blieben dann noch zwei Tage in Marrakesch, die Stadt ist einfach wunderschön! Ganz anders als Tanger, noch viel urtümlicher. Die Altstadt mit ihren vielen Souqs (so werden die Viertel der Handwerker genannt, dort kann man auch alles einkaufen, was das Herz an orientalischem Krimskrams begehrt - Anm. d. Red.: Arabisch „Suq“ heißt wörtlich „Markt“), lädt zum Bummeln ein. Gerüche aller Art umwehen dich; Tiere gackern, jammern, wiehern; lachende, schreiende, redende, stumme Menschen, wohin man auch sieht – das Leben findet auf der Straße statt. So hatte ich das Gefühl, wirklich ein wenig in 1001 Nacht eintauchen zu können. Dazu beigetragen haben auch die vielen Eselkarren und urigen Gestalten, die uns über den Weg liefen. Viele trugen das traditionelle, lange Gewand Djalaba, auch zum Schutz gegen die Kälte.
Es gibt in Marrakesch übrigens keine Bauten, die mehr als vier Stockwerke haben. Damit soll verhindert werden, dass der Turm der Kutubya Moschee von Hochhäusern überragt wird. So kamen wir uns auch eher vor wie in einer Kleinstadt, weil man ohne Anhaltspunkte die Ausdehnung der Stadt einfach nicht abschätzen kann.
Unser nächstes Etappenziel war Essaouira, eine kleine Stadt an der Küste, 160 Kilometer westlich von Marrakesch. Ich betone hierbei die relativ kurze Distanz, wir brauchten im Bus nämlich sage und schreibe fünf Stunden dorthin. Es handelte sich eben nicht um einen westlichen Standardbus, alt, heruntergekommen und siffig, wie er war. :) Er hielt für jede lebende Kreatur am Straßenrand, einmal wurde sogar ein Schaf im Gepäckraum verstaut und so waren wir bald umgeben von lauter Marokkanern. Aziz saß zufällig hinter uns und sprach uns auf Deutsch an, als er merkte, dass wir aus Deutschland kamen. Er ist Student und lernt seit zwei Jahren Deutsch in Marrakesch. Für das Opferfest (fête de mouton) fuhr er für ein paar Tage nach Hause in sein Dorf. Da er so begeistert war, mit uns Deutsch sprechen zu können (wir waren die ersten Muttersprachler, mit denen er bisher reden konnte), wollte er sich wieder mit uns in Essaouira treffen. Gesagt, getan: am nächsten Tag brachte er noch einen anderen Freund aus Essaouira mit, der auch Deutsch lernte und sogar noch besser sprach. Leider regnete es, sodass sie uns gar nicht so viel von Essaouira zeigen konnten. Wir blieben lieber im Café und unterhielten uns. Zum Abendessen luden sie uns dann sogar noch ein, da sie wussten, dass wir mit dem Nachtbus weiter nach Casablanca und von dort aus nach Rabat fahren würden.
Essaouira hat uns ziemlich gut gefallen, auch wenn es am zweiten Tag kalt und regnerisch war. Klein, aber fein, nicht so laut, wie Marrakesch und dazu noch das Meer und der frische Fisch – was will man mehr? Das Abendessen im Haus von Aziz’ Freund war übrigens sehr lecker, auch wenn wir insgesamt betrachtet auch schon weniger zähe Hühnchentajine gegessen hatten. Tajine ist neben dem Couscous ein typisches, marokkanisches Gericht, ich würde es Schmortopf nennen. Meistens stapelt man Fleisch und Gemüse (egal was) in einem besonderen Gefäß, würzt alles noch ordentlich orientalisch und stellt es dann mehrere Stunden zum Garen auf heiße Kohle oder den Herd. Auch mit der Hand an einem niedrigen Tisch zu essen, war eine neue Erfahrung für uns. Hierzu noch: die Gastfreundschaft ist überwältigend in Marokko, vielleicht sogar im gesamten arabischen Raum bedingt durch den Islam. Auch wenn man nichts hat oder nicht so viel, lässt man es sich nicht nehmen, seinem Gast das Beste zu bieten und ihn einzuladen.
Nach einer weiteren Nacht in holperigen Bussen kamen wir am 07.01.06 morgens in Rabat an. Dort leistet Luisa, eine Freundin aus meiner Heimatstadt, auch gerade einen Freiwilligendienst ab und so bot es sich natürlich an, sie zu besuchen. Dass Rabat die Hauptstadt Marokkos ist, wissen wohl nur die wenigsten, ich wusste es bis vor drei Wochen auch nicht. Man denkt immer an Städte wie Casablanca oder Marrakesch, aber das täuscht. Mit Casablanca assoziieren viele auch eine schöne, kleine ... was–weiß–ich–Stadt, dabei ist Casablanca laut meinem Reiseführer eine laute, dreckige Wirtschaftsmetropole am Rande des Kollapses.
Nun ja. Luisa zeigte uns viel von Rabat (eher westlich orientiert, sehr modern), und auch von ihrer Gastfamilie wurden wir erneut am nächsten Tag zum Essen eingeladen. Sonntags trifft sich nämlich immer die ganze Familie samt Kindern zum Couscousessen. Das war auch für uns total schön und interessant, einfach so offen und herzlich aufgenommen zu werden. Eine weitere Einladung eines der Familienmitglieder, die zu Gast waren, zum Tee, Kaffee und Gebäck konnten wir natürlich auch nicht ausschlagen.
Am nächsten Tag ging es dann auch schon wieder auf den langen Nach-Hause-Weg. Wir fuhren um 11.15 Uhr in Rabat los und waren am nächsten Tag um 10.30 Uhr wieder in Madrid. Eigentlich ist die Strecke nicht übermäßig lang, aber da unser Fahrer herumtrödelte und das Einchecken auf der Fähre so viel Zeit braucht, dauerte es eben doch so lang. Fähren, die Marokko Richtung spanisches Festland verlassen, werden natürlich dreimal so gründlich gefilzt, wie andersherum. Wir checkten zum Beispiel bei Einbruch der Nacht ein, was wirklich gespenstisch war, denn um uns herum suchten Männer unter den leeren LKWs und Bussen mit Taschenlampen nach Menschen und anderem. Im Bus lernten wir dann noch ein australisches Pärchen kennen, was sich gerade auf Weltreise befand. Sich mit ihnen zu unterhalten war auch sehr interessant, vor allem, weil mir bewusst wurde, dass sie auf Grund ihrer anderen „Weltlage“ auch ganz anders denken. Sie wussten zum Beispiel fast nichts über Europa. Das liegt für sie sehr weit entfernt und ist somit nicht sonderlich wichtig. Genauso verhält es sich für uns mit Australien. Tja.
Hier weitere Impressionen:
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