Mao Zedong - Der große Mann Chinas?
Sein Gesicht ist im Westen bekannt, seine Geschichte eher weniger: Umso mehr überrascht und schockiert mich das Ausmaß, in welchem Mao Zedong in China verehrt wird. Hier eine kleine Einführung in den Mythos Mao
Weil es in meinem Reiseführer empfohlen wurde, machte ich mich früh morgens auf, um das Mausoleum Mao Zendongs zu besuchen, welches im historischen Zentrum der Stadt, direkt auf dem Tianmen-Platz gelegen ist. Worauf mich mein Reiseführer nicht hingewiesen hat, ist auf die enormen Menschenmassen, welche ebenso wie ich die sterblichen Überreste des politischen Führers sehen wollen. Tatsächlich windet sich eine lange Schlange mehrmals um das Gebäude und tausende von Menschen warten stundenlang in der heißen Sonne, lediglich um 10 Minuten durch das Mausoleum gehen zu dürfen. Noch sehr ambitioniert, dieses Stück chinesischer Kultur und Geschichte mitzunehmen, reihe ich mich ebenfalls ein (und bereue es nach einer Stunde).
Das Schauspiel was sich einem bietet ist es aber auch wert: Tausende von Chinesen legen gelbe Chrysanthemen vor einer Statue nieder, weinen und verbeugen sich tief; im Raum, wo sein präparierter Körper aufbewahrt wird, herrscht eine andächtige Totenstille. Aber was steck hinter dieser Verehrung? Aus westlicher Sicht wird Mao häufig in die Reihe der großen Diktatoren des 20.Jahrhunderts eigeordnet, ebenso wie Stalin oder Hitler. Hier in China gilt er allerdings als „großer Heilsbringer“, als der Mann, der China vereinte und in die Moderne führte.
Mao Zedong wurde 1893 als Bauernsohn in bescheidene Verhältnisse geboren, und wächst in einem Land auf, welches seinen Zenith schon lange überschritten hat. Das „große Reich der Mitte“ existiert nicht mehr, Kriege, Aufstände, Opium und ausländische Interessen haben das Land ruiniert. Das ohnmächtige China ist zum Spielball westlicher Mächte geworden, aber auch das Nachbarland Japan beutet China auf das Bitterste aus.
Der junge Mao arbeitet sich hoch, bis her an der Universität Peking als Hilfsbibliothekar gelangt und dort einen Kreis von kommunistischen Studenten kennenlernt, welche von einem vereinten China träumen. Mao, ebenfalls auf das Tiefste empört von der Besatzung und Unterdrückung Chinas durch Fremdmächte, schließt sich ihnen an und später auch der Kommunistischen Partei Chinas, Doch es bricht ein erbitterter Kampf zwischen der kommunistischen und der nationalstaatlichen Partei aus, die in einem Bürgerkrieg mündet: Diese absolute und rohe Gewalt prägen Mao Zedong maßgeblich und bestimmen auch später den politischen Alltag.
Die entbehrungsreiche Flucht vor den Nationalstaatlichen erklärt Mao später zum „Langen Marsch“, und erkämpft sich bereits hier unter seinen Genossen die höchste Stellung. Die kleine kommunistische Gemeinde wird von ihm mit aller Härte regiert, wer nicht gehorcht wird schikaniert, umerzogen oder vernichtet - So werden aus den Idealisten und Kämpfern gleichgeschaltete Vasallen, welche nur auf die Person Mao Zendongs ausgerichtet sind. Durch taktische Politik gewinnt Mao auch große Unterstützung unter den Bauern und mithilfe dieser Bauern, Geldern aus dem Opiumhandel und aus Moskau kann er die innenpolitischen Gegner schließlich schlagen. Mao ruft die Volksrepublik Chinas aus und wird zu ihrem Alleinherrscher.
Das Land allerdings liegt nach dem jahrelangen Bürgerkrieg, der Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und der japanischen Besatzung am Boden. Die kommunistische Führung ordnet eine große „Bodenreform“ an und fordert die armen, besitzlosen Landbevölkerung auf, sich dieses Land einfach zu nehmen- Auch mit Gewalt. Circa 5 Millionen Menschen fallen improvisierten Schauprozessen und spontanen Übergriffen zum Opfer. Mao will das Land in kürzester Zeit revolutionieren, er wollte „in 15 Jahren Großbritannien einholen oder überholen“. Also befahl er unter anderem, alles, selbst wichtige landwirtschaftliche Geräte, einzuschmelzen und befahl Bauern, unter allen Umständen und mit den primitivsten Mittel Eisen zu produzieren. Dieses Experiment scheiterte katastrophal, es wurde massenhaft minderwertiges Eisen produziert während keine Landwirtschaft betrieben wurde, was zu einer der größten Hungersnöten der Geschichte führte: Circa 30-40 Millionen Chinesen und Chinesinnen verloren ihr Leben.
Nach dieser Katastrophe wendet sich seine Partei von ihm ab und führt einen pragmatischen, ruhigeren Kurs - Mao fürchtet um seine Machstellung und sinnt auf Rache, Er ruft seine Jugendorganisation, die „Roten Garden“, zum Kampf gegen konterrevolutionäre Elemente auf: Eine Zeit der völligen Anarchie bricht an. Menschen denunzieren sich gegenseitig, die jugendliche Lynchjustiz marodiert in den Städten und die Opposition wird mundtot gemacht. China ist völlig im Chaos versunken und traumarisiert, Mao hat sein Ziel erreicht, seine Machstellung ist fest betoniert.
Mao Zedong instrumentalisierte den Terror und setzte ihn gezielt zu seinem Machterhalt ein, Im Gegensatz zu den ausgeklügelten Mechanismen totalitären Terrors unter Stalin oder Hitler, welche unter einem eigenen, mitunter streng hierarchisch strukturierten Terrorapparat verfügten, band Mao seine Bevölkerung in ein System von sich selbst erhaltendem Terror ein. Er machte die Menschen zu „Opfern und zu Tätern“ zugleich, durch Unterdrückung, physischer Gewalt und der sorgfältigen Ausarbeitung seines Personenkults formte er sein Volk zu einer einzigen Masse. Und er, der „große Steuermann“, war es, welcher als einziger den Volkswillen erkannte und so jede abweichende Meinung liquidierte.
Bis heute fand keine Aufarbeitung der Herrschaft Maos statt: Kein offener, politische Diskurs, keine Entschädigung der Opfer, keine Folgen für die Täter. Jeder Versuch einer historisch-kritischen Aufarbeitung wird von der Partei verboten und Mao Zedong wird bis heute verehrt und gehuldigt.