Leben auf der Farm
Hallo, meine geschätzten Leser, in meinem allabendlichen Kampf „auftürmende Aufgaben vs. voranschreitende Zeit“ dachte ich, ich könnte noch schnell einen kleinen Eintrag einschieben.
Hallo, meine geschätzten Leser, in meinem allabendlichen Kampf „auftürmende Aufgaben vs. voranschreitende Zeit“ dachte ich, ich könnte noch schnell einen kleinen Eintrag einschieben.
Internationales Frühstücken mit Leuten aus drei Nationen (mindestens)
Dieser Tag fing gar nicht gut an; nachdem ich gestern Abend wieder bis Mitternacht an Englischübungen gesessen habe, bin ich auch noch mitten in der Nacht aufgewacht, verfolgt von den Eindrücken eines Alptraums (ich, völlig frustriert wieder zurück auf dem Bahnhof meiner Heimatstadt). Zum Glück war es Mittwoch und ich hatte neben fünfzehn wertvollen Minuten Extraschlaf einen ruhigen Vormittag im Sprachkurs vor mir. Der verdient wirklich seinen Namen, da ich die gesamte Zeit mit
Angenehmes Nebenprodukt des heutigen Kurses: nächsten Samstag fahr ich mit Debby nach Seaham, unsere Polinnen besuchen. Da machen wir uns zuerst so etwas wie ein Frühstück oder Lunchpaket und danach wollen wir am Strand spazieren gehen. Ich bin bisher nur einmal in Seaham gewesen (und da ist mir mein Fahrrad zusammengebrochen). Jedoch erinnere ich mich an eine sehr schöne Uferpromenade. Dadurch werde ich zwar wieder nicht nach Durham kommen, aber genau solche Gelegenheiten suche ich ja.
Ich hoffe nur, dass es etwas wärmer wird. Die bisherige Woche war zwar sehr ruhig und ohne große Anstrengungen, aber sehr kalt. Von so ziemlich der gesamten restlichen Insel konnte man Bilder von Schneechaos sehen, nur bei uns ist es trocken wie immer. Allein Montagabend im Französisch-Kursraum in Newcastle wurde ich von Madame Isabelle auf ein paar Flocken draußen hingewiesen. „Oh, il neige, il neige! Oh la la!“
Im März sind schon die ersten Prüfungen und immer noch sehen meine Schreibübungen nach der Korrektur aus wie moderne Kunst. Vielleicht sollte ich ein paar am Samstag mit ins Baltic nehmen und versuchen zu verkaufen. „Versuch Nr. 4: Schwarz auf Weiß, mit viel Rot“. Gesetzt den Fall, ich komme bis ins Baltic und ändere vorher nicht wieder meine Pläne. Paul war grad dort und hat mir einige Cafés an der Quayside, den ehemaligen Docks am Fluss, empfohlen. Geplant ist übrigens auch, wieder etwas Kino zu erleben. Gerade heut hat mir Denise, meine Englischlehrerin, empfohlen, über Filme zu schreiben. Meine Übungen werden wohl recht beeindruckend, und langsam glaube ich auch selbst daran. Britische Lehrer schreiben einem ja unter alles ein „Excellent“, was ich nicht unbedingt mag, aber ich glaube, meine Sprache hat sich tatsächlich recht gut entwickelt.
Kino & Käse
Vorhin habe ich Manuela eine Nachricht geschickt, ob sie nächste Woche „Team America: World Police“ in Hartlepool sehen will. Eine Antwort ist noch nicht da, aber selbst wenn sie nein sagt, guck ich mir diesen Streifen an. Und natürlich „A very long Engagement“, das läuft meinen Informationen nach übermorgen an. Entweder in Hartlepool oder im Tyneside Cinema in Newcastle. Da werd ich mir Sonnabend außerdem wieder neuen Käse holen. Das meiste meines letzten Einkaufs habe ich nämlich gleich am Sonntag gegessen. Es war bei weitem nicht so lecker wie die Sorten in Edinburgh, aber trotzdem gut und vor allem sehr stilvoll. Nur eine Sorte, ich glaube der Port Salut, ist eine einzige Beleidigung, einfach furchtbar.
Die Tüte, mein Feind
Mein Umwelt schützendes Engagement hat sich in der bisherigen Woche vor allem aufs Müllsammeln konzentriert. Das klingt für den normalen Leser wahrscheinlich eher weniger attraktiv, ist aber eine meiner Lieblingsarbeiten. Sehr leichte Aktivität und trotzdem Zeit füllend; perfekt um Nachmittage zu füllen, an denen Paul keine wirklichen Aufgaben für einen hat. Wie beispielsweise jetzt, wo ihn ein Papierkrieg mit einer weiteren tollen neuen Idee des National Trusts an den Computer fesselt. Jetzt sollen sich die Mitarbeiter auf einer langen Liste selbst und gegenseitig bewerten.
So bin ich gestern und heute mit meiner kleinen Greifzange, einigen Plastiksäcken in der Hand und Musik im Ohr zwei Wege hoch zu Beacon Hill angegangen. Der erste Abschnitt war eine echte Hölle, jeder Busch war voll gestopft mit Flaschen, Büchsen, Seilen, Styropor, Plastiktrümmern und diesen notorischen Plastiktüten. Mit einem starken ablandigen Wind wird unser Land konstant mit denen versorgt. Die Bewohner von Easington brauchen sämtlichen Müll nur in den Hinterhof zu schmeißen, fünf Minuten später ist der entweder in der Nordsee oder sitzt tief und beinahe unlösbar in einem Baum oder Busch oder Stacheldrahtzaun. Überall hängen die mir so gut bekannten blau-weißen Einkaufsbeutel von Co-op; ob ihrer schlechten Qualität von jedem winzigen Dorn durchstochen und festgehalten, zerfallen sie in zehntausend kleine Einzelteile, wenn man sie einzusammeln versucht. Zum Glück steht eine Hecke zwischen dem Dorf und unserem Land, die viel abfängt. Generell sieht man auch ohne Karte wo unser Grund endet und der der Gemeinde anfängt. Letzterer wird nämlich scheinbar so gut wie nie sauber gemacht. Ich hab gehört, in Irland hätten sie hohe Steuern auf Plastiktüten gelegt, um deren massenhaften Verbrauch einzudämmen. Siebzehn Pennys das Stück. Sie sollten mindestens einen Pfund kosten.
Dosen des Grauens
Offensichtlich war ich der erste, der diesen Weg anging, und ich habe drei Stunden für diese vielleicht fünfhundert Meter gebraucht. Am Ende hatte ich drei Säcke zusammen. Versuch mal, bei frühabendlicher Dunkelheit drei an windsicheren Plätzen zwischen den Büschen abgestellte schwarze Beutel zu finden.
An diesem Nachmittag habe ich auch das Widerlichste meines Lebens gefunden: alte Bierdosen. Was ich aus denen vor dem Einpacken raustropfen ließ, spottet jeder Beschreibung. Allein der Gestank war einen Biowaffenalarm wert. Wie Paul mir später erklärte, handelt es sich dabei wahrscheinlich um die in Bier aufgelösten Reste von Kleintieren, die in die Büchsen geklettert und nicht wieder heraus gekommen sind. Ich hoffe ihr lest nicht gerade vor, bei oder nach einer Mahlzeit? Aber glaubt mir, es ist noch viel ekelhafter, als es klingt.
Dazu dieser grauenhafte Wind. Gegen die Kälte bin ich ja inzwischen unter anderem dank der gefütterten Arbeitshandschuhe aus dem letzten Paket meiner Grosseltern (Danke!) gut gewappnet, aber der ewige Sturm fegt einen fast wieder den Hügel runter, sobald man sich bis zum Hauptweg oben hoch gekämpft hat. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Man konnte zum Teil kaum atmen und wortwörtlich konnte und musste ich mich 45 Grad gegen den Wind lehnen, um überhaupt stehen zu können. Dabei sollte ich dann so etwas wie ein kleines Bonbonpapier in eine Plastiktüte sammeln. Wobei ich mich frage, wieso sich so etwas im Wind grundsätzlich um die eigene Achse dreht. Es könnte doch auch einfach und bequem offen gehalten werden, anstatt sich in zehn Sekunden zu einer Art Seil zu verzwirbeln. Am Ende habe ich vorher einen Ziegelstein hinein geschmissen, um es zu stabilisieren.
Um alles noch nerviger zu machen, hat mich mein Discman total verlassen. Mit aktiviertem Antischocksystem und frischen Batterien hat er in meinem Rucksack den Geist aufgegeben, sobald ich nur einen Schritt gemacht habe. Und was bin ich hier ohne Musik?
Psychologie auf dem Bau
Trotzdem war die Arbeit ganz gut für mich, nachdem der Vormittag nicht so rosig war. Wie haben ein paar Stellen im Youth-in-Action-Stall mit Beton gefüllt und mein schlechter Stern für solche praktischen Bauarbeiten ist mir auch diesmal treu geblieben. Erst mussten wir den Zementmixer auf seinen Ständer heben – was erst im dritten Anlauf geklappt hat, da ich offensichtlich irgendwas falsch gemacht habe. Paul klang ziemlich genervt deswegen und ich fühlte mich sofort so etwas von nutzlos, wo ich ja ohnehin mein Talent für solche Aufgaben kenne. Ich glaube gar nicht, dass ich wirklich etwas nicht richtig gemacht habe. Später erzählte mir Paul, dass er mal von so einem Mixer begraben wurde und daher etwas nervös im Umgang mit ihnen ist. Das hat mir aber auch nicht mehr geholfen.
Dann sollte ich eine Schubkarre Beton in eins der Löcher kippen. Und natürlich ist das ganze Dinge zur Seite weggekippt. Es war zwar, wie sich herausstellte, nicht meine Schuld, weil der Karren selbst total kaputt war und die Ladefläche einfach aus den Halterungen rutschte (wie haben das Ding danach weggeschmissen), aber das war trotzdem so typisch für mich. Himmel kam ich mir inkompetent vor! Da war es gut für das eigene Selbstwertgefühl, wenn man nachmittags weit über Feierabend beharrlich bis zum Ende an seiner Aufgabe geblieben ist, auch wenn es nur Müllsammeln war. Wenigstens habe ich wieder etwas Neues gemacht und traue mir trotz allem zu, Beton jetzt auch alleine mischen zu können. Hurra!
Schafskälte
Insgesamt ist dieses Wetter nicht für gute Laune geeignet, die Kälte dringt durch die dicksten Jacken bis in die Knochen und auf der anderen Seite wieder heraus. Montag habe ich unserem Öffentlichkeitsarbeiter beim Kinderhüten geholfen. Seine Schulgruppe arbeitet immer noch an zwei mit Mauersteinen eingefassten Beeten. Und wenn ich mir das so angucke, werden sie da noch Monate dran sitzen. Da haben wir auch Beton gemischt. Ich hoffe nur, ihre Mischung war besser als unsere, die scheinbar auch einen Tag später noch nicht fest ist. Jedenfalls habe ich dabei so etwas von gefroren, obwohl der Wind noch nicht einmal so stark war. Und worüber sich achtjährige Jungs so unterhalten, lässt das ILM-Team wie sehr distinguierte Menschen erscheinen.
Heute, Mittwoch, habe ich mich nachmittags um den zweiten Weg zu Beacon Hill gekümmert – was weit angenehmer war als der erste am Dienstag. Viel windstiller und sauberer, wahrscheinlich, weil er weniger benutzt wird. Meiner Meinung nach sollte man den ganz dicht machen, denn ein Teil ist so etwas von rutschig. Ein Wunder, dass sich da noch keiner was gebrochen hat.
Trotzdem hat die Reinigung dieses Pfads wieder bis fünf Uhr gebraucht, wobei es zwischenzeitlich auch noch geregnet hat. Ich war zwar allwettertauglich angezogen, nur hat meine Jacke diese dumme Angewohnheit, das Wasser über ihre abweisende Oberfläche direkt auf meine Jeans laufen zu lassen, die dadurch langsam aber sicher durchtränkt wird. Zum Glück war der Schauer nicht stark und der Wind hat danach alles ziemlich schnell wieder getrocknet.
Dann habe ich auf einmal gemerkt, dass Rocky weg war, den ich mir anfangs mitgenommen hatte. Schon gestern hat der sich auf einmal zurück zur Farm aufgemacht, aber da habe ich es wenigstens mitgekriegt. Zum Glück ist er auch diesmal nur zum Hof zurück gerannt, wie mir Paul übers Handy bestätigt hat. Warum, weiß man nicht. Vielleicht war er etwas frustriert, weil es ohne Regenjacke ziemlich nass war. Oder er war verwirrt, weil ich ihn diesmal auf französisch dumm genannt habe, was ich sonst nur in Englisch oder Deutsch tue. Aber man muss ja üben.
Zum Schluss habe ich den schweren Müllsack dann abgestellt, bin zurück nach Hause und wollte ihn mit einer Schubkarre zur Farm holen, aber Paul hat mich dann zurückgehalten weil es dunkel und sowieso schon nach Feierabend war. Eine gute Gelegenheit seine Arbeitsmoral besser darzustellen, als sie ist. Na gut, zugegeben, ich wollte die Sache tatsächlich zu Ende bringen. Wer weiß, ob der Wind den Beutelinhalt bis morgen nicht über das halbe Feld verstreut hat.
Schafsfolter
Andere Entwicklungen auf der Farm: Im Zuge unser glorreichen Neuorientierung kriegen demnächst auch Sheila und die Ziegen ein neues zu Hause. Offensichtlich bleiben uns am Ende ausgerechnet nur die Gänse. Außer denen ist dann nämlich nur noch die Ente auf dem Hof. Und so ein nettes Tier werden wir bestimmt ziemlich schnell los. Ach ja, die Frettchen sind auch noch da. Super, dann haben wir zum Schluss alles hier, was ich nicht mag. Dann werde ich morgens beim Füttern zuerst von den Frettchen gebissen und anschließend von den Gänsen in den Wahnsinn gekreischt. Ich versuche Rocky ja immer noch „Kill the geese!“ beizubringen. Aber Rocky ist dumm. Eher würden die Gänse ihn zum Invaliden machen, als das er denen ein Haar krümmt.
Sheila & Co. kommen auf die Clarences Farm in Middlesburough. Middlesburough. Bald steht das arme Schaf mit einer kleinen Gasmaske und vollkommen schwarzem Fell auf einer toten Wiese in diesem Moloch. Middlesburough. Das ist schlimmer, als zehn Jahre Einzelhaft in einer dieser Friedhofsbierdosen. Doch wirklich, ich werd ihr eine kleine Schafsgasmaske häkeln. Määh!
Zu viel Wehrpflicht, zu wenig England
Ansonsten werd ich demnächst auf Bill Quay Farm anrufen, um wieder einen regelmäßigen Termin für meine Arbeitstage da auszumachen, wahrscheinlich ab nächsten Montag. Habt Ihr eigentlich gemerkt, wie schnell meine letzten Tagebuch-Einträge online waren? Glaub das waren nur zwei Tage Wartezeit. Ich habe gestern eine Ladung Fotos zum Scannen gebracht und hoffe, dass Ihr die Bilder noch vor meiner Rückkehr in meinem Tagebuch bewundern können werdet.
Jetzt habe ich das böse Wort schon wieder gesagt. In nicht einmal zwei Wochen sind fünf Monate vorbei und die Halbzeit ist so gut wie da. Die zweite Hälfte wird immer mehr so schrecklich überschaubar. Gestern habe ich halbwegs ernstzunehmende Berichte über die Abschaffung der Wehrpflicht gelesen. So wie ich mein Glück kenne, werd ich wahrscheinlich der letzte sein, der ein dreiviertel Jahr zu Hause verschwenden muss. Zurück zu den Bildern; Freitag kommt ja wieder mein Tutor Peter vorbei und bringt seine Digitalkamera mit, sodass ich dann ein Bild von mir machen kann. Am besten schaffe ich mir selbst so etwas an, das ist bestimmt sehr praktisch, wenn man nicht erst ewig auf den restlichen Film und die Entwicklung warten muss, ganz abgesehen vom Scannen.
Falls jemand ein paar Bilder von Edinburgh sehen will, schaut mal ins Tagebuch von Trine aus Schottland. Okay, es sind nur zwei, aber man kann das Schloss und die Stadtarchitektur sehr gut sehen. Wie ich nach etwas Lektüre festgestellt habe, arbeitet sie mit zwei mir bekannten Freiwilligen zusammen in Stirling, namentlich Melis und Katerina. Also nicht mehr mit Katerina, die ist ja zurück in Tschechien. Ich werd Trine mal schreiben, ob sie ein Bild von den beiden hat, ich habe ja seinerzeit keins gemacht.
So, das ist wieder mehr als genug geschrieben. Einmal mehr der ganze Abend draufgegangen, dabei hab ich drückend viel Post zu erledigen. Tini und Friedemann verdienen langsam eine Antwort, genau wie meine Großeltern in Rostock. Na wenigstens brauch ich nicht zu schreiben, was ich zurzeit so mache. Steffi steht ebenfalls auf der Liste, genau wie Elise aus Edinburgh und Marie, die Deutsche von English Nature, die mir ein paar Tipps zum Zurückkommen und Hierbleiben geben soll und vielleicht auch will. Ah gut, gerade erfahr ich, dass morgen ja wieder die Walking Group auf dem Programm steht, da kommen wir nicht vor eins zu potentiell anstrengender Arbeit. Und dann ist Freitag und damit ‚poets day’. Wunderbar.