L'essentiel est invisible pour les yeux.
Bericht über meinen Europäischen Freiwilligendienst in der Arche-Gemeinschaft Namur, Belgien vom 17.02.2003 bis 18.08.2003.
Bericht über meinen Europäischen Freiwilligendienst in der Arche-Gemeinschaft Namur, Belgien vom 17.02.2003 bis 18.08.2003.
Zum besseren Verständnis eine kurze Erklärung zu Beginn: Ich wohnte in einem zweigeschossigen Haus mit sechs Behinderten - wir nennen sie hier personnes – und zwei weiteren Assistentinnen (Nikki aus England und Marie aus Belgien). Die Leiterin – Anne-Claire - man sagt hier résponsable zu ihr, ist eine externe Mitarbeiterin, die morgens kommt und abends geht, genau wie unser Mitarbeiter Bernard.
Dieses Zuhause und die kleine Gemeinschaft, in der ich nicht müde wurde, immer wieder andere Facetten an meinen personnes festzustellen, nennt sich Foyer.
In den Monaten glaube ich, mehr Menschen kennen gelernt zu haben als jemals zuvor. Wer in der Arche wohnt, lebt wirklich zusammen mit seinen Mitbewohnern. Wenn man in der Arche Assistentin oder Assistent ist, heißt das, dass man sein Leben mit anderen teilt. Das tägliche Leben mit Menschen mit geistiger Behinderung kann beglückend, unmöglich, berührend und frustrierend sein – und oft das alles gleichzeitig. Langweilig ist es selten.
Das gemeinsame Leben ist natürlich nicht immer einfach. Familien können sich streiten, auch wenn sie viel Spaß zusammen haben. Und wer in einer WG gewohnt hat, weiß, wie viel man über zum Beispiel den Putzplan diskutieren kann. Aber jemanden zu haben, mit dem man am Ende des Tages reden kann, mit dem man am Wochenende etwas unternehmen kann und in Urlaub fahren kann, ist besser, als alleine zu sein. Auch wenn diese Person manchmal etwas nervig ist, schließlich sind wir das alle mal.
Die Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft sind für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner die wichtigsten Beziehungen, die sie haben. Bei Menschen, die oft verletzt worden sind, kann es länger dauern, bis man eine enge Beziehung aufbaut. Aber dann zu spüren, dass man für jemanden sehr wichtig ist, ist etwas ganz Besonderes.
In der Arche waren wir auch nicht perfekt, aber zusammen leben taten wir trotzdem. Gute Zeiten gab es reichlich: Weihnachten, Ostern, Sommerferien, Geburtstagsfeiern und schöne Ausflüge und Spaziergänge am Wochenende. Dann kamen wir alle zusammen und freuten uns, dass die anderen auch dabei waren.
Die Zimmer von behinderten und nichtbehinderten Gemeinschaftsmitgliedern liegen nebeneinander und alle sitzen am selben Tisch. Gemeinsame Mahlzeiten sind sehr wichtig; dazu gehört natürlich auch, gemeinsam zu kochen und hinterher abzuwaschen. Zu den Aufgaben im Foyer gehören unter anderem: Wäsche waschen, aufräumen, sauber machen, Tisch decken, einkaufen, Feiern vorbereiten, et cetera. Alles, was eben zu einem Gemeinschaftsleben dazugehört. Auch die behinderten Arche-Bewohner sind - nach ihren Fähigkeiten - zu Hausdiensten eingeteilt. Für mich/uns als Assistentin kam natürlich hinzu, den behinderten Gemeinschaftsmitgliedern bei den Sachen zu helfen, die sie alleine nicht erledigen können. Manche brauchten viel Hilfe, manche sehr wenig. Dazu zählte, sie zu wecken, Einige mussten ins Bett gebracht werden, Medikamente ausgeteilt werden, mit ihnen spielen, fern sehen. Genau so wichtig war es, freundschaftliche Beziehungen aufzubauen. Dies kommt aber meistens von alleine. Nach einigen Monaten sind Menschen, die am Anfang nicht immer so freundlich waren, zu festen Freunden geworden. Es wurde auch gemeinsam überlegt, was für eine pädagogische Maßnahme man unternehmen könnte, um die Bewohnerinnen und Bewohner bei bestimmten Aufgaben oder Problemen zu unterstützen und zu begleiten.
Einen typischen Tag zu beschreiben, ist nicht ganz einfach, da der Alltag von Gemeinschaft zu Gemeinschaft und sogar zwischen den Häusern innerhalb einer Gemeinschaft etwas unterschiedlich ist. Zeit spielt überhaupt keine Rolle. Was wir heute nicht schafften, machten wir eben morgen.
Meine Woche sah ungefähr wie folgt aus: Montag war mein „kultureller Tag“, an dem ich entweder nach Eupen, zum Rhönradtraining fuhr oder andere Arche-Gemeinschaften besuchte. Dienstag begann mein „Dienst“ um 10 Uhr mit einer Mitarbeiterversammlung, die normalerweise bis mittags dauerte. Manchmal fuhr ich dann in die Stadt, um beim Atelier „Sport“ mitzuhelfen. Ansonsten erledigten wir Hausarbeiten oder beschäftigten uns mit Robert und Eveline, die wegen ihres hohen Alters nur zwei Nachmittage ins Atelier fahren, bis um 16 Uhr die personnes von der Arbeit zurückkehrten. Dann wurde gemeinsam Kaffee getrunken.
Alle zwei Wochen fand eine Bewohnerversammlung statt, bei der jeder sagen konnte, wie es ihm geht, was ihm in der letzten Zeit viel Spaß machte oder was er gar nicht gut fand. Dann wurde das Abendessen zubereitet, das wir um 18.30 Uhr mit einem religiösen, gemeinsamen Lied begannen. Nach dem Essen wurde gemeinsam abgeräumt und abgewaschen, bevor der Fernseher eingeschaltet wurde. Unsere älteren Herrschaften wurden um 21 Uhr von Anne-Claire und Yves ins Bett gebracht. Der Fernseher wurde um 22 Uhr ausgeschaltet und kurz darauf verschwanden alle personnes im Bett. Wir Assistentinnen ließen den Abend meist mit einem netten Gespräch bei Kakao oder Tee ausklingen.
Mittwoch war mein „Wecktag“, der damit begann, um 7 Uhr an den Türen zu klopfen, die Medikamente bereit zu stellen, Frühstück vorzubereiten. Vormittags half ich Marie oft bei den Einkäufen. Zum Mittag fuhren Bernard, Eveline, Robert und ich ins Atelier, wo ich anschließend meinem Kollegen Yves beim Cannage half. Das heißt, wir flochten dort neue Sitzgeflechte für die Stühle unserer Kunden, die aus vielen langen Bambusfäden hergestellt werden. Bis auf den Holzleim, den wir verwenden ist unsere Arbeit hundert Prozent Natur. Auch im Atelier gibt es nicht selten irgendwelche außergewöhnlichen Anlässe, die verhindern, dass sich bei allen Regelungen zu viel Alltag einschleift. Meistens verhindern die personnes selbst jede Routine. 15.30 Uhr ist die Arbeit im Atelier beendet, so dass wir um 16 Uhr pünktlich zum Kaffeetrinken wieder im Foyer waren. Abendbrotzubereitung, 18.30 Uhr essen.
Donnerstag fuhr ich mit dem Atelier vormittags mit zum Brotbacken. Dort wurde nach einer kurzen Andacht gesungen, geknetet und gelacht. Um 11 Uhr kurze Frühstückspause, dann Spaziergang oder Teilnahme am Gottesdienst, oder Zubereitung des Mittagessens. Um 12.30 Uhr Mittagessen, mit gemeinsamem Lied oder Gebet, anschließend Abwasch und dann ging es zurück ins Atelier, ich fuhr nach zwei Stunden Pause ins Foyer, wo dann das Abendessen zubereitet wurde. Donnerstags war es meine Aufgabe, eine Person ins Bett zu bringen.
Alle zwei Wochen treffen sich die beiden Foyers zu einer gemeinsamen Messe und Mahlzeit in einem der Häuser. Diese Messe ist, meistens sehr gut gemacht, weil sich der jeweilige Priester ganz auf die Bedürfnisse der behinderten und (so scheint es) der ausländischen Assistenten einstellt. So werden die Predigten immer sehr gut verständlich und anschaulich gehalten. Freitag begann ich mit dem Wecken und blieb den Tag über im Foyer, bis auf die Zeit, die ich für den Sprachkurs bei meiner Privatlehrerin verbrachte. Samstag hieß es nach dem Frühstück das Haus in Schuss zu bringen, Zimmer kehren, wischen und gegebenenfalls aufräumen. Manchmal machten wir Ausflüge, bekamen Besuch oder erholten uns von der Woche.
Sonntag wurde lange geschlafen, sofern man nicht an der katholischen Messe im Ort teilnahm. Veranstaltungen wurden besucht, gespielt, Freunde eingeladen und Ähnliches.
Damit auch wirklich keine Langeweile aufkommt, gibt es ständig irgendwelche Änderungen. Eine geregelte Woche gibt es praktisch nie. Zum Glück! Ich hatte pro Tag auch mindestens zwei Stunden Pause, die ich wirklich immer bekam, aber sie variierten eben je nach dem was anlag, genau wie mein „richtiger“ freier Tag in der Woche, der allerdings auf meinen Wunsch hin nicht festgelegt wurde.
Richtig viel konnte ich an den so genannten weekends de fermeture machen. Einmal im Monat wird an so einem Wochenende nämlich unser ganzes Foyer geschlossen und alle personnes und Assistenten gehen entweder zu ihrer Familie oder suchen sich eine andere Bleibe. Ich verbrachte die Wochenenden meist im Foyer in Aywaille, bei Evelyn oder wir erkundeten gemeinsam Belgien. So reisten wir zum Beispiel an Pfingsten zusammen nach Antwerpen, Brügge und Gent.
Langweilig ist das Leben im Foyer nie gewesen. So war es auch ganz schön, wenn ich sonntags mal wieder ein Buch zur Hand nehmen konnte. Es ist aber auch nicht so, dass wir ständig nur rackerten. Oft bekamen wir Besuch von Freunden des Foyers, die sich meistens zum Abendbrot oder an Wochenenden einstellten. Dann wurde gespielt, erzählt und viel gefragt (vor allem ich musste am Anfang viel erzählen). Mein allererster Eindruck war auch, dass man hier unglaublich viel feiert und es ist wahr. Sei es das „Bonhomme hiver“ - Fest, die Hochzeit von Marie-Hélène (der Direktorin, meiner Tutorin) zu der die gesamte Gemeinschaft eingeladen wurde oder die vielen schönen Geburtstage, einen Grund zum Feiern gibt es hier immer.
Da viele unserer behinderten Gemeinschaftsmitglieder keine Familie haben, zu der sie gehen können, werden wichtige Feiern wie Geburtstage oder Ostern und Weihnachten in der Gemeinschaft mit allen zusammen gefeiert. Und im Sommer fahren alle zusammen in Urlaub. Wir waren dieses Mal in Middelkerke, am Meer. Es war eine absolut schöne Zeit und ein Urlaub, den ich mit Sicherheit so schnell nicht vergessen werde.
"Die Gemeinschaften der Arche sind Gemeinschaften des Glaubens. Ihre Wurzeln liegen im Gebet und im Vertrauen auf Gott." (Charta der Arche) Doch ist die Arche kein Ort, wo man fromm sein muss, um eine Zeitlang mitleben zu können. So lange man für Glaubensfragen offen ist, ist es nicht wichtig, zu welcher Kirche oder Religion man gehört, und auch nicht unbedingt ein Problem, wenn man nicht religiös ist. Die Arche kann aber ein Ort sein, wo man seinen Glauben entdecken oder neu überdenken kann. Durch tiefe Beziehungen und Kontakt zu Menschen, die in der Arche ihren Glauben leben, hat man die Möglichkeit, sich mit seinen eigenen Fragen zu Glaube und Religion auseinander zu setzen.
Mir ist durch die „Arche-Zeit“ Vieles klarer geworden. Auch habe ich gelernt, was wirklich wichtig ist: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ (Antoine de Saint-Exupéry). Die behinderten Menschen haben diese Gabe, die wir uns erst aneignen müssen. Ich bin froh, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen.
Das Verhältnis zu meinen Arbeitskollegen war von vornherein völlig unproblematisch. Sie gaben sich wirklich Mühe, mir zu helfen, wann immer sie konnten und hätte ich Probleme gehabt hätte ich mich auf jeden Einzelnen verlassen können, da bin ich mir sicher. Ihre Offenheit und Ehrlichkeit, ihre Freundlichkeit und Herzlichkeit waren sehr beeindruckend und haben mich tief berührt. Ich hatte immer das Gefühl, dazuzugehören und so akzeptiert zu sein wie ich bin, mit all meinen Stärken und Schwächen.
Besonders erwähnen muss ich in diesem Zusammenhang meine Tutorin, die sich wirklich sehr bemühte, immer ein offenes Ohr hatte und sich vor allem auch immer Zeit nahm. Ich kam sehr gut mit ihr zurecht und bin total glücklich, in der Arche-Gemeinschaft Namur gelandet zu sein! Der Abschied fiel mir sehr, sehr schwer und auch nach knapp drei Jahren, die ich nun wieder in Deutschland bin, vermisse ich die Leute sehr (obwohl ich bereits mehrmals zu Besuch dort gewesen bin) und freue mich auch schon auf meinen nächsten Besuch!
Mittlerweile hat sich dort allerdings vieles verändert. Selbst meine Nachfolgerinnen Judith und Rabea, die ich in Belgien kennen gelernt und etwas Zeit mit ihnen verbracht habe, sind längst wieder in Deutschland. Nikki und Marie wohnen nicht mehr im Foyer und einige personnes sind leider verstorben. Dennoch hoffe ich, mit einigen Leuten weiterhin lange in Kontakt zu bleiben und bald wieder zu sehen.
Besonders möchte ich an dieser Stelle Evelyn, Yves und Francoise, Guenaelle, Marie, Anne-Claire, Nikki, Martin, Judith und Rabea, dem ganzen Foyer, Max und Justyna danken: Es ist schön, Euch zu kennen. Ihr seid wirklich einzigartig und ich hoffe, wir werden uns bald wieder sehen.