Kritische Stimmen
"Ich würde gerne einmal das zurückgeben, was ich 18 Jahre erhalten habe" - "Den EFD kann ich mir doch nicht in meinen Lebenslauf schreiben, das bedeutet ja ein Jahr rumhängen" - "Wenn ich ein wirklicher Freiwilliger sein möchte, dann gehe ich nach Indien oder so, da sind die Leute wenigstens richtig arm" - "Es sind die kleinen Schritte, die Europa zusammenwachsen lassen"
Wie aus einem Abend auf dem Balkon eine europäische Diskussion über den Sinn eines EFDs wurde
In unserer Auberge Espagnole in Venedig saßen wir vier europäische Freiwillige aus Ungarn, der Türkei, Spanien und Deutschland zusammen. Vier Akzente Englisch, gespickt mit italienischen Wörtern. Wir grübelten darüber nach, was eigentlich Freiwilligendienst bedeutet. Önként, voluntario, istemli, freiwillig – vier Sprachen und vier verschiedene Vorstellungen davon, warum man sich eigentlich für den EFD entscheidet.
Motivationen und Realitäten
In unserem Ausreiseseminar in Deutschland zeichnete sich im allgemeinen eine große Motivation für den EFD ab – sich für andere einzubringen, kleine Schritte hin zu einer sozialeren Gesellschaft gehen, etwas kleines in der großen Welt bewegen. Der „deutsche Freiwilllige“ hat meistens gerade die Schule beendet und entscheidet sich gegen simples Rucksackreisen und für ein soziales Engagement. Zwischen Work&Travel, Au-Pair, Auslandspraktika und vielen weiteren Optionen fällt die Wahl ganz bewusst auf einen Freiwilligendienst, was mit einer gewissen Mentalität einhergeht. Es geht darum, ein Jahr von der Welt zu lernen und für die Welt zu geben, sich selbst und seine Werte zu definieren und – natürlich - „den Horizont zu erweitern“.
Hier in Italien bei der Organisation unserer eigenen kleinen Projekte – Videoworkshops, Bandcontests oder gestern das Bauen eines improvisierten Weihnachtsbaumes im Jugendzentrum – kristallisiert sich nun heraus, dass es auch ganz andere Motive geben kann.
Irgendwo zwischen Scherz und Realität liegen Sätze der anderen Freiwilligen wie „Ich bin hier im Urlaub, ich will nicht arbeiten“ - „Freiwillig sein heißt Arbeiten mit Minimalgehalt“ - „Das Ziel des EFDs ist doch schon erfüllt, wenn Leute aus verschiedenen Ländern miteinander rumhängen“
Eine traurige Bilanz des EFD. Europäische Jugendliche nutzen öffentliche Gelder um zu faulenzen, während die EU halshoch in der Krise steckt.
Gutmenschentun und Egoismus
Nun ist sicherlich auch die „deutsche Perspektive“ zu hinterfragen. Aus dem wirtschaftlich stärkstem Land kommend, an ein geregeltes Leben gewöhnt, aufgewachsen in einem im großen und ganzen stabilen Rechtsstaat, blicken wir in einer ganz bestimmten Art und Weise auf die Welt. Naiv erwarten wir, Regenwälder und Waisenkinder, Arbeitslose und Alkoholabhängige retten zu können, obwohl diese Schicksale komplex mit unserem sicheren Leben zusammenhängen.
Leisten wir einen Dienst an der Gesellschaft oder an uns selbst? Und steckt in dieser Motivation vielleicht auch Egoismus?
„I no want work“
Die Stimmen der anderen Freiwilligen verändern meine Perspektive auf diesen Dienst. In einem Moment der Wahrheit offenbaren sich schließlich die wahren Motivationen: nämlich in einem reicheren Land zu leben, das faule Leben zu genießen und auf Kosten der EU sich zu entspannen. Die Kooperation mit der Arbeitsstelle wird auf das Minimum reduziert, Projektvorschläge abgewiesen, Italienisch wird nicht gelernt.
Verlockendes entspanntes Leben im Sonnenschein? Oder Engagement für die Gesellschaft?
Die Wahl liegt bei dem Freiwilligen selbst. Ich entscheide mich für die Herausforderung! Und mache mich (hoffentlich!) nützlich. Denn Helfen kann man in jedem Land, ob reich oder arm. Doch was meint ihr, liebe deutsche Freiwillige?
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