Königskuchen und Gesangsstunden
Der öffentliche Nahverkehr bedrohte Biancas erste Chorstunde - ein Glück, dass es autorisierte Mütter gibt, die flugs mal in die Bresche springen. Klare Sicht hat sie nun auch wieder und außerdem einen König gezogen.
Salut mes amis!
Es gibt mal wieder Neuigkeiten aus Frankreichs Süden! Angefangen mit der Tatsache, dass es inzwischen EISIG geworden ist. Nicht wirklich kalt, aber es herrscht ein schneidender Wind. Brrr. Ungemütlich. Wir sind eben in einem Tal, das ringsum von Bergen umgeben ist. Von daher weht der Wind. Schnee hab ich hier immer noch nicht gesehen, aber ich habe von Heiko gehört, dass er meine Mutter im "Schneesturm" getroffen hat. Offensichtlich gibt es bei euch schon weißen Niederschlag, auch wenn er nicht liegen bleibt.
Was ich letztes Mal vergessen habe: Ich habe zwei meiner französischen Bücher durch. "Antéchrista" von Amélie Nothomb war echt klasse, es hat gehalten, was mir versprochen worden war. Es kamen sogar mir bekannte Namen darin vor. Blanche (mein Name auf Französisch!), die Hauptfigur, ist eine klassische Einzelgängerin, aber aus freien Stücken: sie träumt gerne, liest viel. Trotzdem ist da irgendwo der Wunsch Freunde zu haben, denn die ganze Zeit einsam zu sein, das ist auch nicht das Wahre. Und da ist Christa (Name meiner Mutter), die sich für Blanche zu interessieren beginnt. Blanche, überglücklich sozialen Kontakt gefunden zu haben, lädt Christa zu sich ein. Und die macht es sich dort gemütlich. Angesichts der Tatsache, dass sie sehr weit von der Schule entfernt wohnt, laden Blanches Eltern sie nämlich ein, zu bleiben - um ihrer Tochter Leben beizubringen. Das andere Buch war "Les onze lettres de mon père" (= Die elf Briefe meines Vaters), ein berührendes Buch über das Heranwachsen eines Jungen ohne seinen Vater, der vor ihm an Krebs gestorben ist. Jedes Jahr zu seinem Geburtstag erhält er einen Brief von seiner Mutter, einen Brief, den sein Vater angesichts seines nahenden Todes zu seiner "Erziehung" geschrieben hat. Für jeden neuen Lebensabschnitt ein Brief voller Ratschläge.
So, zu meiner Woche hier:
Montag
Ich habe die Flyer für das "Atelier du chant" (Gesangsworkshop) mit der Sängerin Jocelyne Cardot verteilt. Überall. Und ich habe eine Anzeige im "Brive magazine" geschaltet, dem Lokalblatt. Die Promotioncampagne läuft also auf Hochtouren! Am 16. Januar geht’s los, mal sehen, was sich so tut. Außerdem habe ich eine wunderbare Quelle im Internet für mein internationales Projekt aufgetan: Das MIZ (Musikinformationszentrum), das mir Kontakt-Adressen in allen möglichen Ländern beschafft hat, sogar in Japan! 14 neue Briefe zu schreiben, in verschiedenen Sprachen.
Dienstag
Zweiter Termin in der Ecole nationale de la musique, diesmal mit Thierry. Auch er hat mich erst mal vorsingen lassen (nur Vokale, wie unsere Einsingübungen im Chor) um mich dann zu erlösen: "Wir nehmen dich." Juchu! Gleich Mittwoch sollte ich meine erste Stunde haben, allerdings nicht im Zentrum, sondern in Tujac, einem anderen Viertel von Brive. Das heißt ich durfte mich erstmal über eine Busverbindung informieren. Kein Problem. Mach ich doch mit links.
Mittwochmorgen
Ich werde vom Klopfen an der Tür unsanft in meiner Morgenhygiene unterbrochen: "Bianca, da ist ein Paket für dich, du musst unterschreiben!". Gut, also auf die Schnelle Brille gesucht und rüber zum Empfang gehechtet, um das "Care-Paket" von zu Hause anzunehmen. Da war wirklich alles drin, was man für die nahende Adventszeit so braucht: Tee mit Zimtgeschmack, Kekse (natürlich selbstgemacht von meiner Mum), eine Kerze, "mein" Buch, ein Geschenk für Nikolaus (was ich natürlich noch nicht geöffnet habe), Ahle Wurscht... Bin immer noch gerührt!
Mittwochnachmittag
Ich habe meinen ersten Bus verpasst und warte angespannt auf den nächsten. 15.10 Uhr sollte der kommen, knapp, aber es würde reichen um meine erste Gesangsstunde um 15.30 pünktlich zu erreichen. 15.15 Uhr. Ich würde zu spät kommen. 15.20 Uhr. Noch immer kein Bus in Sicht. Ich würde definitiv zu spät kommen, wenn überhaupt. Ich drehe der Haltestelle den Rücken zu, renne die zehn Meter zur JH (die Haltestelle ist gleich um die Ecke) um Pascale zu fragen, ob sie mich hinfahren kann. Glücklicherweise war deren Mutter gerade da, die in Tujac wohnt. 30 Sekunden später sitze ich in ihrem Auto und sie rast mit einem Affentempo durch die Stadt, lässt das Zentrum in weniger als zwei Minuten hinter sich um mich auf dem Pont (=der Brücke) zu fragen, wo ich überhaupt hin muss. Die Jagd geht weiter und ich erreiche mein Ziel beinahe pünktlich! Na ja, eigentlich pünktlich, weil Thierry die vorangegangene Stunde noch nicht beendet hatte... Glück gehabt!
Also, los geht's mit einem Vortrag über die Zielsetzung, die Tatsache, das ein Sänger Instrument und Interpret in sich vereint et cetera. Wie ich merke, machen drei Monate schon einen Unterschied, denn im Gegensatz zu der Erfahrung, die ich während meiner ersten Woche hier im Chor gemacht habe, verstehe ich (sprachlich) diesmal alles. Schon mal eine gute Voraussetzung. Wir haben mit Atemübungen begonnen... Schnell abgehakt, denn für den Anfang war ich da schon ziemlich gut. Tja, Übung eben! Merci, Monsieur Kleist! Danach habe ich ein bissl gesungen, aber auch wieder nur Vokale, wobei ich Probleme hatte, nasal zu singen! Vokale mit französischer Aussprache, das ging schon an die Grenzen. Hab's auch noch nicht hinbekommen. Ist meine Hausaufgabe.
Mittwochabend
Entgegen der Saison habe ich einen typisch französischen Brauch kennen gelernt, "Tirer les rois" (= die Könige ziehen). Also, man hat einen "Galette des rois", eine Art Fladen mit Mandelgeschmack, in dem eine kleine Porzellanfigur versteckt ist. Jeder Anwesende erhält ein Stück und der, der die Figur in seinem Stück hat, bekommt eine alberne Pappkrone aufgesetzt und muss den nächsten Kuchen kaufen. Normalerweise macht man das hier im Januar, aber okay. Wie es das Schicksal so will hatte ich den König in meinem Stück und Jean-Jacques meinte, jetzt wäre ich die Nummer Zwei in Deutschland... Gegen die Krone habe ich mich erfolgreich gewehrt. Nebenbei war auch noch "Soirée de Beaujolais" eine Verköstigung von Wein, der noch kein richtiger ist. Abgefüllt dieses Jahr. Gilt als erster Eindruck des jeweiligen Jahrgangs, 2005 scheint nicht schlecht zu sein, rund im Geschmack wenn er erst mal gereift ist.
Donnerstag
Julie (die Tochter von Pascale) und ich schmücken die JH weihnachtlich. Mangels eines Weihnachtsbaums haben wir einfach mal die Palmen im Foyer und im Essensaal mit Lichterketten, Kugeln und Girlanden versehen, hat jetzt ein wenig südliches Flair. Die Fenster sind dekoriert und überall glitzert es. Richtig schön. Ab 16.00 Uhr war "Rédepe" (réunion de personnel = Personalversammlung), was bedeutete, dass ich zum ersten Mal allein am Empfang war. Gut, es war nicht wirklich viel los, ich habe ein bisschen mit Julie diskutiert um die Zeit zu vertreiben. Aber war trotzdem komisch. 18.00 Uhr hat man mich dann dazu gerufen, damit ich mal erzähle, was ich die letzten Monate überhaupt so gemacht habe (nix?). Nein, Scherz. Ich bin inzwischen eingearbeitet und weiß, was ich zu tun habe. Schon mal nicht schlecht für jemanden, der noch nie gearbeitet hat!
Freitag
Ich habe meine neue Brille abgeholt und wie die Male zuvor ist es wieder ein schönes Gefühl klar zu sehen! Jetzt steht dem geplanten Kinobesuch Samstag (Premiere von Harry Potter! Endlich!) nichts mehr im Wege. Zu guter Letzt möchte ich noch mal in aller Deutlichkeit etwas sagen, nachdem ich nun schon mehrmals darauf angesprochen wurde: Ihr seid hier jederzeit herzlich willkommene Gäste. Ich freue mich über Besuch aus der Heimat. Auch wenn ich hier schnell Anschluss gefunden habe und meine Zeit wahrlich genieße, ist es manchmal nicht leicht, Euch so weit entfernt zu wissen, ja beinahe so unerreichbar. Es ist vor allem die Dauer, die mich schreckt: ein Jahr. Einerseits kurz, anderseits so lang. Ich war noch nie so lang fern von allen meinen Freunden, meinen bekannten Gesichtern, meinem Umfeld. Kurz: ich freu mich über jeden, der mal vorbeischaut! Denn ich betrete Deutschland erst wieder im September 2006.
Bisous! Bianca J.