Keine WM in Litauen
Evil_evas letzter Monat in Litauen ist angebrochen - fast alle anderen Europäischen Freiwilligen sind schon fort. Da in ihrem Zentrum in letzter Zeit nicht viel los war, reiste sie kurzerhand nach Weißrussland.
Ich habe ewig nichts mehr geschrieben und meine Zeit in Litauen ist schon fast vorbei – nicht mal mehr ein Monat bleibt mir!
Inzwischen ist auch bei uns richtig Sommer. Eigentlich hatte ich mich in Litauen ja auf einen milden Sommer gefreut, aber wir sind seit fast vier Wochen durchgehend am Schwitzen, so dass ich es richtig zu schätzen weiß, dass wir hier einen See haben, der keine fünf Minuten von meinem Projekt entfernt ist. Vor allem, weil es für mich zur Arbeit gehört, mit den Kindern schwimmen zu gehen. Allerdings gab es hier dank einiger Hitzegewitter ziemliche Überschwemmungen – im Sommer ist Litauen eine einzige Baustelle, alles wird erneuert und verbessert, aber bis zum Kanalisationssystem in Vilnius scheint das noch nicht vorgedrungen zu sein.
Im Zentrum haben wir momentan Sommercamps, was eigentlich nur bedeutet, dass statt dem normalen Stundenplan jeweils eine Mitarbeiterin zwei Wochen lang das Programm plant. Die Kinder sind aber trotzdem nur nachmittags im Zentrum und wir sind eigentlich auch die ganze Zeit hier in Elektrenai, was ich ziemlich schade finde – ich würde total gerne mit meinen Kindern ein paar Wochen lang wegfahren, wie das in den meisten litauischen Kindertageszentren und Kinderheimen normal ist.
Obwohl wir jeden Tag am See waren, war ich vom ersten Sommercamp auch enttäuscht: den Rest der Zeit haben wir nur hier im Zentrum verbracht und es gab lauter supertheoretische Aufgaben für die Kids. Aus der geplanten Fahrradtour ist dann auch nichts geworden und auf den einzigen Ausflug konnte nur die Hälfte der Kinder mitkommen, weil auch gequetscht einfach nicht mehr Kinder in unseren VW-Bus passen. Dass das Camp so theoretisch war, lag zum Großteil daran, dass es von einer Psychologiestudentin organisiert wurde, die wohl eher an intellektuellen Aktivitäten interessiert ist (ich will jetzt nichts verallgemeinern – es gibt auch andere Studenten!). Den Kindern war es zu verschult und sie haben sich gegen Ende ziemlich gelangweilt.
Übrigens ist die Hälfte unserer Mitarbeiter momentan im Urlaub, jeweils einen Monat lang, weswegen ich ziemlich oft mit den Kindern alleine bin und auch sonst mehr zu tun habe. Ich bin aber eigentlich ziemlich froh, richtig eingespannt zu sein, auch wenn es anstrengend ist. Vor zwei Wochen ist Kristina aus dem Urlaub zurückgekommen, rein theoretisch meine Mentorin, mit der ich mich am Anfang aber nicht verständigen konnte und auch später eher selten geredet habe. Das hat sich jetzt aber geändert und wir verstehen uns momentan super, vielleicht auch einfach nur, weil wir ähnliche Vorstellungen von einem kinderfreundlichen Sommercamp haben.
Ihr Camp hat dann vor einer Woche angefangen und ist bis jetzt super: wir sitzen zwar immer noch in Elektrenai, aber immerhin waren wir ein paarmal an anderen Stränden am See und haben einen Nachmittag lang gezeltet und gegrillt, wovon die Kinder total begeistert waren. Auch die Aktivitäten im Projekt sind bis jetzt alle lustig. Ich habe mir dann auch mit Kristina zusammen überlegt, dass es toll wäre, mit den Kindern zusammen für zwei Tage ans Meer zu fahren und wir sind fleißig am Planen. Ist zwar immer noch unklar, ob wir das geld- und fahrtmäßig hinkriegen und wir könnten wahrscheinlich wieder nicht alle Kinder mitnehmen, aber ich hoffe total, dass es klappt!
Obwohl ich seit drei Monaten gar keinen Unterricht mehr hatte und seit zweien nichts gelernt habe, klappt die Verständigung auf Litauisch inzwischen fast problemlos. Ich verstehe zwar meistens immer noch nicht alle Wörter, aber ich kann ziemlich flüssig sprechen und auch längere Gespräche führen ohne ständig nachfragen zu müssen. Lustigerweise haben mir in letzter Zeit mehrere Leute gesagt, dass mein Akzent wie ein südlitauischer Dialekt klingt, was ich einfach mal als Kompliment sehe.
Um auch mal was über die WM in Litauen zu berichten: Basketball ist hier, wie gesagt, der ungeschlagene Nationalsport und für Fußball interessiert sich kaum jemand. Ich kenne auch nur zwei Litauer, die die WM wirklich verfolgt und mitgefiebert haben. Trotzdem gab es in Vilnius in mehreren Bars Großleinwände und ab den Achtelfinalen musste man teilweise sogar Eintritt zahlen. Ich selbst bin ja eigentlich kein Fußballfan, aber wenn WM ist... Habe mehrere Spiele mit anderen Freiwilligen zusammen in Vilnius angeschaut und die Stimmung war immer super! Besonders weil eben fast nur Ausländer zu den Spielen gekommen sind und sie dann immer ihre jeweiligen Teams unterstützt haben. Am Besten war natürlich das Finale im Café de Paris mit jeder Menge Franzosen und die gute Laune hat (fast) bis zum Ende angehalten.
Ansonsten war ich in den letzten zwei Monaten ziemlich viel unterwegs. Zuerst war meine Familie zu Besuch hier. Das heißt erstmal haben sie drei Tage lang alleine am Meer gefroren, weil ich in Lettland auf meinem Midterm-Seminar war. Die zweite Woche waren wir dann zusammen in Litauen unterwegs und zwischendrin noch in Lettland: in Riga und am Meer. War zwar ziemlich kalt, aber man kann ja auch bei elf Grad Celsius baden gehen.
Seitdem ich wieder zurück in Elektrenai bin, waren ziemlich viele Abschiedspartys – die meisten Freiwilligen fahren im Sommer zurück nach Hause und die Freiwilligengemeinschaft in Vilnius wird immer kleiner. Ich habe in letzter Zeit immer mehr mit Litauern zu tun – Sprachkenntnisse sind doch was Tolles!
Es geht aber auch ohne, was eine Freundin und ich vor einer Woche in Weißrussland bewiesen und gleich auch noch ein paar Vorurteile über Deutsche widerlegt haben. Wir hatten zwei Wochen vorher die spontane Idee, doch nach Weißrussland fahren zu können: Vera war noch nie da gewesen und ich vor ein paar Jahren auf einer Jugendbegegnung, wollte aber unbedingt nochmal hin. Hier in Litauen war mal wieder langes Wochenende (vier Tage), was uns natürlich super gepasst hat. Also haben wir uns ein Visum besorgt und gedacht, wir könnten bei Freiwilligen in Minsk übernachten. Das hat dann nur leider kurzfristig doch nicht geklappt, weil die zu dem Zeitpunkt alle im Sommercamp waren. Wir haben uns trotzdem in den Bus gesetzt und sind einfach mal nach Minsk gefahren. Ohne Russischkenntnisse, ohne Wörterbuch, ohne Stadtplan und ohne eine Ahnung von Hotels oder Ähnlichem. In Minsk haben wir dann festgestellt, dass in Weißrussland wirklich so gut wie niemand Englisch, Deutsch oder Französisch spricht. Wir haben in unseren vier Tagen dort auch keinen einzigen anderen nichtrussischsprachigen Touristen getroffen – und das in einer Millionenstadt!
Irgendwie haben wir uns aber trotzdem gut durchgeschlagen: nach vergeblicher Suche nach einer Touristeninformation (im Nachhinein ein total seltsamer Gedanke) haben wir dann mit Hilfe von zwei Weißrussinnen ein billiges Hotel gefunden und hatten dank unseres Status als Westeuropäerinnen ein Viererzimmer für uns alleine. Den ersten Tag haben wir dann erstmal mit Orientieren verbracht: vergebliche Suche nach einem Stadtführer (immerhin haben wir nach mehreren Stunden einen dreisprachigen Bildband von Minsk gefunden), Kauf eines Wörterbuchs und eines russischen Stadtplans, Benutzung von Straßenbahnen (wir haben es trotzdem einmal geschafft, uns total zu verfahren) und vergebliche Kommunikationsversuche: Mit litauischen SIM-Karten kann man in Weißrussland trotz Empfang weder telefonieren noch Nachrichten verschicken, der Kauf einer lokalen SIM-Karte wurde uns verweigert und die Telefonkarte hat trotz Hilfe von Weißrussen nur in eine Richtung funktioniert. Immerhin können wir uns jetzt blind im Minsker Bahnhof, einschließlich versteckter Zwischenstockwerke, zurechtfinden.
Die Weißrussen sind übrigens unglaublich hilfsbereit: Wenn wir jemanden irgendwas gefragt haben, sind alle sofort losgerannt, um uns zu helfen, ganz egal, um was es ging. Die Registrierung im Hotel – komplett auf Russisch – war trotzdem recht lustig, aber irgendwie hat auch das geklappt.
Die anderen zweieinhalb Tage waren super. Wir haben einen Tag lang Minsk besichtigt und waren eigentlich ganz froh, die einzigen Touristen zu sein. Aber irgendwie schon ein sehr seltsames Gefühl. Am Samstag waren wir in Molodetschno, der weißrussischen Stadt, in der ich bei meinem letzten Besuch war, und haben eine Freundin von mir getroffen. Nachmittags waren wir dann auch noch auf dem Land, im See schwimmen, Waldbeeren essen (man darf einfach nicht an Tschernobyl denken) und spazieren.
Übrigens sind mir bei meinem ersten Weißrusslandbesuch noch ziemlich krasse Unterschiede zu (West-)Deutschland aufgefallen, diesmal war alles schon fast normal, so ähnlich wie in Litauen: Plattenbauten, teilweise der Architekturstil, öffentliche Verkehrsmittel, Läden und Preise.
Letzten Samstag war ich mit Kristina und ihrem Mann in Kernave, war nur leider der erste wirklich kalte und regnerische Tag seit Wochen, so dass wir nicht sehr lange geblieben sind. Dafür war am Sonntag schon wieder tolles Wetter und ich war mit Freunden in Ignalina, einer (wenn man vom Kernkraftwerk mal absieht) total schönen Gegend, Kanufahren und Picknicken.