Kapitel 4: Immer noch zufrieden, immer noch gestresst und manchmal ein bisschen genervt
Nach zwei Wochen England und Arbeit an der New Eccles Hall School, stoße ich doch ab und zu an meine Grenzen.
Lest hier zum ersten Mal über kleine negative Eindrücke, aber auch über die fantastische Zeit mit den anderen Freiwilligen und über meine zwei neu eingetroffenen Mitbewohnerinnen.
Hallo ihr Alle <3!
Ich dachte, es ist Zeit, mal wieder etwas von mir hören zu lassen – ehrlich gesagt, denke ich das schon seit einer Woche, aber Zeit zu berichten, hatte ich bis jetzt keine.
Einerseits kann ich das Wochenende und hoffentlich ein bisschen längere Nächte kaum erwarten (kürzeste Nacht diese Woche -während der Arbeitszeit wohlgemerkt- lag bei fünf Stunden, da wir den Geburtstag einer unserer Freiwilligen gefeiert haben), doch andererseits kann ich kaum glauben, dass heute schon wieder Freitag und damit eine ganze Schul- bzw. Arbeitswoche beendet ist!
Ich bin immer noch davon überzeugt, dass dieses EFD-Projekt, hier an der New Eccles Hall School, für mich das Beste ist, das ich erwischen konnte, aber ich muss zugeben, dass ich in meiner letzten – also in meiner zweiten Arbeitswoche hier als „Teacher Assistant“ – auch manchmal etwas mit mir zu kämpfen hatte.
Ich weiß schon seit langem, dass ich auf keinen Fall Lehramt studieren und dann unterrichten möchte; ich kenne mich so gut, dass ich von mir behaupten kann: Dazu fehlt mir ein gewisses Maß an Geduld ;D!
So ist es nur die logische Konsequenz, dass ich hier wahrhaft an meine Geduld-, Toleranz-, Was-auch-immer-Grenze stoße, wenn ich ALLE DREI MINUTEN so manchen Schüler erneut daran erinnern muss, mit seiner Aufgabe fortzufahren und nicht einfach nur blöd Löcher in die Luft zu starren.
Glaubt mir, die meisten Schüler hier sind Spezialisten im „Löcher-in-die-Luft-starren“ und im „Vom-Unterricht-Ablenken“.
Nachdem ich Vorgestern mit ein paar Lehrerinnen über eben solche Schüler gesprochen habe, bin ich nun etwas beruhigter und weiß, dass nicht nur fast alle Schüler hier mit Lernschwächen wie Dyslexia o.a. zu kämpfen haben (das wusste ich ja bereits), sondern auch mit „Behinderungen“ oder „Krankheiten“ wie ADS-Syndrom, Autismus etc. pp..
Ich kann mir nun also in den meisten Fällen sicher sein, dass die Schüler mich nicht absichtlich provozieren wollen, sondern wirklich auf geduldige, positive Hilfe angewiesen sind.
Dennoch kann ich euch sagen, fällt mir das Ganze teilweise echt schwer, da ich ja zum Beispiel nicht weiß, welcher Schüler jetzt welche Lernbehinderung hat und ob er nicht vielleicht doch dazu im Stande ist, die Aufgabe ohne Murren zu erfüllen, die wir ihm zugeteilt haben.
Ich habe somit manchmal einfach keinen blassen Schimmer, ob ich nun mit Strenge reagieren darf – so, wie man es von „normalen“ Schulen gewohnt ist – oder, ob ich besondere Rücksicht zu nehmen habe.
Werde mich in der kommenden Zeit etwas über die für mich momentan aktuellsten Schüler schlau machen und deren Akten lesen.
Bin mir aber trotzdem ziemlich sicher, dass ich noch ein paar Monate brauche, bis ich mit so manchen Unterrichtssituationen besser umgehen kann; hab‘ ja sogar schon wieder die Hälfte aller Namen vergessen, die ich vor ein paar Tagen noch wusste :D, ojee, ojeee :D :D :D!
Soviel erst mal zu meiner Arbeit.
Jetzt aber zu dem für euch wahrscheinlich noch viel interessanteren Teil:
Letzten Freitagabend, sprich, vor einer Woche, sind die zwei jungen Frauen aus Aserbaidschan in Norwich eingetroffen, mit denen ich jetzt während meines gesamten Freiwilligen-Jahres zusammen leben werde.
Im letzten Kapitel hatte ich euch ja darum gebeten, mir die Daumen zu drücken, dass wir gut miteinander auskommen, da es sonst einfach zu hart gewesen wäre; nicht nur das Zusammenleben am Wochenende in „unserem“ Norwich-City-Haus, sondern vor allem auch die Zusammenarbeit mit AYLAN (24 Jahre) hier an der NEHS.
Während Aylan also mit mir hier in dem „Junior Boarding House“ lebt, nämlich ein Stockwerk über mir, und genauso wie ich zwischen Arbeit hier und Wochenenden in der Stadt pendelt, lebt und arbeitet AYSEL (25 Jahre) die ganze Woche über in Norwich-City.
Eins kann ich euch sagen: Euer Daumendrücken hat sich gelohnt, denn ich bin mir schon jetzt fast sicher, dass wir Drei bestens miteinander auskommen werden :)!
Es ist wirklich etwas Besonderes so viele nette Leute aus der ganzen Welt kennen lernen zu dürfen, so viele verschiedene Kulturen an einen Tisch bringen zu können und die Möglichkeit dazu zu haben, ernsthaft mit ihnen ins Gespräch, ja auch in Diskussionen zu kommen.
Momentan sind wir genau SIEBEN EFDler, oder „Ex-EFDler“, also sieben junge Leute, die jedes Wochenende zusammen in den zwei Stadthäusern von Norfolk International Projects wohnen – Vier nebenan und Drei (Aylan, Aysel und ich) in unserem Haus (bis dann im Februar 2012 ein neuer Freiwilliger dazu stößt).
Ganz und gar neu, aufregend und fantastisch ist für mich, dass wir bei nur sieben Leuten FÜNF VERSCHIEDENE NATIONALITÄTEN zusammen bekommen!
Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie begeistert ich davon bin, zum ersten Mal in meinem Leben an einem solch kulturellen Austausch teilnehmen zu dürfen!
Da ich, obwohl ich evangelisch bin, ein katholisches Gymnasium besucht habe - (es war einfach das Schönere der beiden Gymnasien, die zur Wahl standen ;)!)- und sich von daher ein recht einheitlicher Freundeskreis ergeben hat, was den Glauben betrifft, hatte ich in den letzten Jahren nie die Gelegenheit mich mit beispielsweise Muslimen auszutauschen.
Aus diesem Grund genieße ich es regelrecht, mir von Aylan und Aysel ihr Leben und ihren Glauben beschreiben zu lassen (Aylan zum Beispiel betet fünf Mal am Tag).
Ich lebe schon jetzt - nach nur zwei Wochen - ganz in der Tradition, dass wir an den Wochenenden nicht nur etwas gemeinsam unternehmen, sondern auch abwechselnd füreinander und zusammen kochen sowie essen und anschließend alle zusammen Tee trinken (vorzugsweise selbstverständlich mit Milch, wie sich das für einen Engländer gehört ;D), stundenlang reden und lachen.
Ich bin so dankbar für diese wunderbare Erfahrung und für alles, was ich hier lerne!
Ich hätte nie so viel erwartet, wie ich hier vorgefunden habe und auch nie damit gerechnet, dass wir so eine tolle EFD-Gruppe werden, in der sich jeder mit jedem versteht (was auch hoffentlich so bleibt)!
So, meine Lieben, jetzt muss ich gleich weiter arbeiten – warte immer noch gespannt darauf, dass sich der Stress der Anfangszeit legt (nicht nur die Arbeit, sondern den gesamten Alltag betreffend und auch die Wochenenden – letztes Wochenende habe ich wie wild versucht ein paar „Möbel“ bzw. Accessoires für meine zwei englischen „Zuhause“ zu finden und zu erwerben, sodass das Wochenende wie im Flug vergangen ist).
Ach übrigens, apropos letztes Wochenende:
Da habe ich zum ersten Mal den Chef von NIP, nämlich John Nooney, getroffen. Ein netter, lieber Herr von geschätzten 65 Jahren, der es einfach nicht lassen kann, mich alle fünf Minuten auf den Arm zu nehmen :D - aber nicht ohne Revenge!
Okay, jetzt ist aber genug.
Macht es gut, ihr Lieben, und bleibt gesund!
Eure Sarah <3
PS.:
Mir ist doch noch etwas eingefallen (wie könnte es auch anders sein :D):
Ich habe schon zwei englische Eigenarten entdeckt, die mich größtenteils ziemlich nerven, und die so gar nicht in meiner Natur liegen.
Die Erste ist vergleichbar mit unserer deutschen Höflichkeitsfloskel „Wie geht’s?“, nur, dass die meisten Engländer es damit für mein Dafürhalten echt übertreiben und dich sogar danach fragen, wie es dir geht, oder, ob alles in Ordnung ist, selbst wenn sie dich das schon bei der letzten Begegnung vor zehn Minuten gefragt haben.
Der für mich etwas störende, nervende Faktor an der ganzen Sache ist, dass wiederum die meisten Engländer hier überhaupt gar keine Antwort hören wollen und bei diesem „Hey you, how are you?“ oder „Hello, everything alright?“ oft weggucken, bevor ich überhaupt die Chance habe zu nicken oder zu reagieren.
Das muss ich wohl so akzeptieren und für meine Zeit hier ein bisschen kopieren, da es für die Engländer ganz einfach zur höflichen Begrüßung gehört.
Ich weiß, dass dies mit Deutschland vergleichbar ist, aber ich war noch nie ein Freund vom „falschen ‚Wie geht es?‘- Fragen“!
Die zweite Eigenart besteht im ständigen und ebenfalls zutiefst übersteigerten LOB für die Schüler, wenn sie (mal) etwas richtig machen – selbst wenn sie sich nur melden um etwas zu sagen, und nicht einfach nur reinrufen (was an meiner früheren Schule als selbstverständlich gilt), bekommen sie ein „excellent“, „brilliant“, „fantastic“, „marvellous“ , „wonderful“ zu hören, oder ein „good boy/girl“ , ein „beautiful“ oder zumindest ein „look at this!“ oder „well done“!
-Mann, mann, mann, man kann’s auch übertreiben!
Nur mir fällt es mal wieder etwas schwer dieses Lob Getue zu verstehen und die Lobpreisungen wollen mir nicht so recht von der Zunge gleiten.
So. Das war’s für heute.
Jetzt aber: Bis bald <3!
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