Kairo: Einen Monat leben mit 30 Euro oder weniger?
Ägypten ist bekannt als Land des arabischen Frühlings oder als das Land der Muslimbrüder. Doch wie sieht das Leben dort eigentlich wirklich aus? Dieser Beitrag beschäftigt sich mit armen Familien und Straßenkindern, die von weniger als einem Euro pro Tag in Kairo leben. Wie sieht ein Leben mit so wenig Geld aus und welche persönlichen Schicksalsschläge stecken dahinter?
Von Kairo hört man vieles: „Die Stadt die niemals schläft“, „Die Stadt die immer wächst“, „Müllstadt“ und vieles mehr. Das mit dem enormen Wachstum der Stadt auch strukturelle Herausforderungen gemeistert werden müssen, wird vor allem in Bezug auf einem Punkt klar, der Armut.
Die Armut in Kairo ist grassierend. Schätzungen zufolge liegt die Armutsquote bei mehr als 40 %. Faktoren der Armut sind eine hohe Analphabetenrate und daraus resultierend eine nicht ausreichende Schulbildung, soziale Probleme in den Familienstrukturen und eine Segregation der Gesellschaft. Doch man hat in den letzten Jahrzehnten auch auf der Regierungsebene versagt, die Kluft zwischen Arm und Reich durch hinreichende Maßnahmen zu verhindern. Auch wenn in Zeiten von Ramadan (Fastenmonat im Islam) die 5. Säule des Almosengebens besonders in den Mittelpunkt der Gesellschaft rückt, reicht allein der gute Wille nicht aus um Veränderung zu schaffen.
Doch wie sieht das Leben in Armut von Kairo nun aus?
Im Rahmen meines Freiwilligenjahres, welches sich mit dem Thema der interkulturellen Verständigung beschäftigt, habe ich mit einer Gruppe von Voluntären bei der Nichtregierungsorganisation „Khatwat“ mitgearbeitet. Wir sind für zwei Tage in die informelle Siedlung in „El Basatin“ gegangen und haben versucht, den Nöten der dortigen Bewohner zu begegnen. Die generationsübergreifenden Familien, meist mit fünf bis acht Personen in einem Raum lebend, sind oftmals von persönlichen Schicksälen getroffen, aber auch zu stolz, um für Hilfe zu bitten.
Bei dem Besuch eines Zimmers in einem sehr brüchigen Haus sind wir auf eine Krankenschwester mit drei Kindern gestoßen, welche umgerechnet nicht mehr als 30 Euro in Krankenhäusern oder bei privaten Ärzten verdient. Vor zwei Monaten kam dann der persönliche Schicksalsschlag. Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause wurde sie von einem Auto angefahren und hat seitdem einen Gips am Bein. Diagnose: Waden –und Schienbeinbruch. Zur Stabilisierung hat sie nun acht Schrauben in ihr rechtes Unterbein operiert bekommen. Wie so oft wurden die Kosten nicht vom Unfallverursacher übernommen, besonders da sie aus der niederen Klasse ist und eine Eröffnung eines Rechtsstreits demnach nicht in Betracht gezogen werden kann. Mit dem Arbeitsstopp gab es jedoch auch kein Gehalt mehr. Der Rest der Familie arbeitet nicht. Ihr leichtbehinderter Mann verkauft jedoch seit dem Unfall auf der Straße oder in der Metro Taschentücher und anderen Kleinkram um ein paar Pfund zu bezahlen. Diese Familie gehört zu den Personen, die derzeit von rund zwei Euro pro Tag leben.
Doch darf man nicht die Personen vergessen, die von extremer Armut betroffen sind und weniger als einen Euro pro Tag zum Leben haben. So sollen in Kairo mehr als 200.000 Straßenkinder leben, die versuchen, mit Gelegenheitsjobs und Betteln ihr Überleben zu sichern. Auf der Straße sind sie präsent, doch neigt man sehr stark dazu, sie zu ignorieren. Auch wenn man ein paar Pfund in der Tasche hat, will man nicht immer was geben. Helfe ich dem Kind überhaupt damit? Mache ich das Kind nicht dadurch von mir und Anderen abhängig, oder unterstütze ich gar gerade Bandenkriminalität? Wenn ich etwas mache, übernehme ich doch eigentlich die Aufgabe des Staates, welcher sich darum kümmern müsse? Diese und andere Gewissensfragen schwirren einem durch den Kopf. Immer dann wenn, man ein Kind mit leeren Händen wegschickt, blickt man doch noch einmal hinterher und empfindet Nachsehen für die Situation der Kinder. Die persönlichen Enttäuschungen seitens Familie und Gesellschaft, das Gefühl von der Gesellschaft verstoßen zu sein und der ewige Versuch ein sicheres Leben zu haben. Warum muss ein Kind das erleiden, was kann es dafür?!