Kaffeefahrt mit Queen Victoria
Lockenjule kann ein Häkchen auf ihre To-Do-Liste setzen: Am Wochenende hat sie mit anderen Freiwilligen ein moldawisches Weingut besucht. Es war ein sehr spezielles Erlebnis.
Das Erste, was ich nach dem morgendlichen Verfassen dieses Berichtes tun werde, ist ein weiteres Häkchen in meinem 'To-Do'-Büchlein machen. Wenn auch leider nicht in der Euphorie, wie ich zum Beispiel Odessa abgehakt habe. Name des Stichpunktes: Ein Weingut besuchen. Anfang letzter Woche hatte uns eine Moldawierin das goldenen Angebot gemacht, für umgerechnet zehn Euro zu einem Weingut gefahren zu werden, dort eine Führung durch die Kelterei zu bekommen, anschließend eine kleine Verkostung mitzumachen und dann wieder zurückzufahren. Im Sommer kostet es um die 30 Euro pro Person, ist also eigentlich dem reichen Russen vorbehalten, aber im Winter kann sich auch das Proletariat und das Freiwilligenpack so was leisten. (Meine Wortwahl nimmt hoffentlich nicht meinen Eindruck davon vorweg, wie das dortige Personal mit uns umgegangen ist...)
Am letzten Samstag (dem 30.01.2010) also quälten Rosi und ich nebst acht anderen Freiwilligen früh aus dem Bett, um einen Treffpunkt irgendwo in Chisinau aufzusuchen, von wo aus ein großer Reisebus alle Weininteressierten (ob nun Russe, Moldawier oder Freiwilliger) zum zwei Stunden entfernten Weingut ‚Purcari‘ bringen sollte. Nachdem wir uns eine halbe Stunde dort den Allerwertesten abgefroren hatten, kam dann auch endlich einer der typisch moldawischen Muschebububusse. Nach zwei Stunden durchgepennter Hinfahrt erreichten wir dann unser Ziel: Ein von verschneiten Weinhängen umgebenes burgähnliches Gut, mit Wänden so weiß wie die schneebehangenen Reben und einem vorm Haupteingang stolzierenden Pfau, der zur Freude aller Kamerabesitzer regelmäßig seine schönen Schwanzfedern präsentierte.
Nachdem der Pfau mittels seiner Farbenpracht also gebührend seine Dominanz gegenüber den ebenso bunten Lackstiefeln und Miniröcken der mitreisenden Moldawierinnen bewiesen hatte, alle Frauen auf der Toilette waren und alle Raucher ihrer Sucht nachgekommen waren teilte man alle in zwei Gruppen: Die Rumänische und die Russisch-Englische. Natürlich waren wir Freiwilligen mit unserer mäßigen Kenntnis der in Moldawien gängigen Sprachen sehr froh über das Angebot einer englischen Führung… allerdings hatten wir uns wohl ein wenig zu viel von den Sprachkenntnissen der Führerin erhofft. Denn bei jeder Station der Führung hielt unsere grau bepelzte Erklärdame einen ewigen russischen Vortrag, in Englisch jedoch kam sie auf kaum mehr als drei Sätze.
Diese Erklärweise setzte sich auch die ganze Führung über fort. Glücklicherweise verstehe ich jetzt schon einen winziges bisschen Russisch, sodass ich zumindest verstanden habe, zu welchem Thema sie den Russen etwas erzählt hat, was sie bei uns aus Gründen mangelnder Vokabelressourcen einfach wegließ. Was aber immer für uns armen, in ihren Augen wahrscheinlich vollkommen treudoofen Touris übersetzte, lässt sich gut in folgenden Worten zusammenfassen: Ihr Weingut ist das beste, es ist das älteste Moldawiens, es hat die besten Filter, den meistexportierten Wein (der teure natürlich handgelesen), die genauesten Kontrollen, seit der Renovierung die neuesten Anlagen, dafür aber auch immer noch die traditionellste Herstellungsweise; man hat schon diverse Weinmedaillen bekommen und sogar Queen Victoria empfand ihren Wein als außergewöhnlichen Gaumenschmaus. Jaaahaaa, und die ist bekanntlich der Weinkenner schlechthin, einen wortwörtlich königlichen Geschmack hatte sie, weiß man doch.
Naja, zumindest kann ich mit Stolz behaupten, schon einiges der russischen Erklärung verstanden zu haben und die Stationen der Führung an sich auch wirklich spannend waren: Zuerst ging es über einen weiten Hof zu einem Gebäude, wo die Weintrauben verlesen werden und ihr Zuckergehalt bestimmt wird. Die für Queen Victoria und andere reiche Russen werden übrigens noch heute von fleißigen Damen handsortiert. Dann geht der Matsch ab in den ersten Verarbeitungstrakt, wo die Spreu vom Weizen äh der Saft von der Cellulose getrennt und gefiltert wird. Anschließend muss alles für soundso viele Minuten bei genauestens soundso viel Grad gekühlt werden, damit alles geschmacksschädliche Bakterienviehzeuch rauskommt und Milchsäurebakterien (wer hätte das gedacht) ein neues Zuhause im Bald-Wein bekommen. Hach, wie gern wäre ich ein Milchsäurebakterium. Das alles geschieht in riesigen, Milchkannen-ähnlichen Behältern. Die guten und entsprechend teuren Weine dürfen sogar noch in riesigen Holzfässern vor sich hin alkoholisieren, nicht in den üblichen Metalldingern. Ratet mal, wer schon Wein aus diesen Holzfässern getrunken hat…
Nach Besichtigung dieser Halle (in der es übrigens kälter ist als draußen in der Wintersonne… brrrr) führte unsere belackstiefelte Weinkennerin uns zu weiteren Verarbeitungshallen, anschließend zu den Testlaboren (die eher langweiligen Kinderzimmern mit Chemiebaukasten glichen) und dann zur Abfüllanlage. Dort habe ich neben meinem Wissen im Bereich Funktion von Maschinen in Fabriken auch noch mein Englischvokabular erweitern können: Der Vorgang des Abfüllens des Weines in Flaschen nennt man auf Englisch 'bottling', sozusagen 'das Einflaschen'. Wieder was gelernt. Queen Victoria kannte den Begriff bestimmt auch noch nicht, bevor sie in den Genuss des genauestens etikettierten teuren Weines kam.
Danach folgte der für mich spannendste, leider viel zu schnell durchgehetzte Teil der Führung. Das Victoriagroupie führte uns nämlich in die alten Weinkeller des Gutes, in denen in langen niedrigen Gängen verstaubte Weinflaschen aller Jahrgänge auf ihren Verzehr warteten. Manche noch mit Wachs versiegelt, andere vor Staub schon kaum mehr erkennbare; einige wieder sehr junge, der Weinkellerkindergarten quasi. Und alles fein säuberlich in Wandnischen gestapelt, die die ohnehin schon schmalen, dick ummauerten Gänge noch enger machten. Alle diese Gänge endeten in einem großen Gewölbe, in denen schwere Holzfässer noch schwereren Rotwein für den gebührenden Genuss bewahrten. Und überall dieser Geruch nach Holz, alten Mauern und natürlich Wein… dort hätte ich gern noch länger verbracht.
Aber nein, der Moldawier will ja auch was verdienen, und so bugsierte man uns in eine Art vornehmen Speisesaal mit langen Tischen. Dort war jeder Platz mit drei großen bauchigen Gläsern und einem Tellerchen mit Salzgebäck ausgestattet. Die Rumänische Gruppe hatte schon Platz genommen und schnüffelte schon am ersten Wein, während vorn ein weißgelockter Weinkenner das Blaue von Himmel über seinen Wein erzählte. Irgendwann bekamen dann auch wir unsere Weine eingeschenkt… einer davon umspielte einst schon den Gaumen einer berühmten Frau, deren Name mir irgendwie gerade entfallen ist. Leider musste ich feststellen, dass die berühmte Dame und ich absolut nicht denselben Geschmack haben… ich fand die drei Weine nämlich eher undeliziös.
Hingegen höchst deliziös fand ich den Anblick der Moldawier, wie immer in besten Sache und mit gesamtem Schminkkasten im Gesicht, die sich selbst für die größten Gourmets hielten und unglaublich wichtig vorkamen, während ihnen der Herr des Hauses vorne zum dritten Mal erzählte, dass man schon an der Farbe erkennen könnte, ob es ein Rotwein oder ein Weißwein wäre. Und während sie so mit wichtiger Miene rochen, gegen’s Licht hielten und kosteten, genoss ich den Anblick der Kellner, die jede Flasche bis zum letzten Tropfen leer gossen (für alle unfeinen Menschen: Das tut man nicht!), von der Flaschen Seite aus einschenkten und der Weißwein ebenfalls in Rotweingläsern serviert wurde.
Ich wartete wirklich noch auf den Moment, in dem der Weindozent die Rheumadecken rausholt und mit Angeboten wie 'Kaufen sie zehn Kästen Wein und bekommen sie einen Korken gratis' um sich schmeißt. Aber nein; dieser einzige Witz von Verkostung bekam sein Sahnehäubchen durch den nachfolgenden Imbiss, der natürlich nicht im Preis enthalten war. Ich bestellte eine Hühnersuppe, auf die ich eine halbe Stunde wartete, bis mir dann gesagt wurde, es sei jetzt nur noch Fischsuppe da. Ich lehnte dankend ab, so bin ich zumindest kein Geld losgeworden. Rosi bestellt Placinte (Blätterteigrollen) mit Käse… und bekam für einen Preis, für den man in Chisinau am Straßenrand sechs große Rollen selbigen Geschmackes erstehen kann, zwei kleine Häppchen serviert. Den anderen Freiwilligen ging es nicht anders.
Das ganze glich also zum Schluss eher einer Kaffeefahrt (oder besser Weinfahrt) anstelle eines interessanten Ausflugs. Nur das man auf Kaffeefahrt eigentlich nicht hungern muss…
Zum Glück war das kluge Julchen in weiser Voraussicht am Tag zuvor noch einkaufen gewesen und hatte Stullen gemacht, sodass Rosi und ich im Gegensatz zu allen anderen Freiwilligen die Rückfahrt nicht halb verhungert antreten mussten. Also selbst Queen Victoria hätte sich da bestimmt ein wenig veräppelt (oder eher vertraubt) gefühlt. Noch einen letzten Blick auf den kitschig-verschneiten Weinhang, noch schnell einen Freiwilligen eingeseift, dann saßen wir auch schon wieder im Bus und fielen in den typischen Nach-dem-Wein-Schlummer, bis wir irgendwann im Dunkeln irgendwo in Chisinau ankamen.