Justizreform in Bulgarien – der verzweifelte Kampf um Gerechtigkeit
Am 16. Dezember verweigerte sich das bulgarische Parlament einer umfassenden Justizreform, welche Korruption und Vetternwirtschaft bekämpfen sollte. Jetzt hängt es am Volk und an der Europäischen Union Druck auf die bulgarische Regierung auszuüben um organisierte Kriminalität in Zukunft zu bekämpfen.
Der bulgarische Staat ist so von Skandalen erschüttert, dass es manchmal schwer ist überhaupt noch durchzublicken. Ein politischer Skandal hat hier deutlich weniger Auswirkungen als in Deutschland. Es ist zum Beispiel möglich, den größten Medienmogul des Landes zum Sicherheitschef zu erklären, die Gesetze über die nötigen Qualifikationen für dieses Amt über Nacht zu ändern und zudem das Recht für Durchsuchungen und Festnahmen ohne richterlichen Beschluss zu gewähren.
Aber das ist lange nicht alles. Die Webseite „Balkan Leaks“ versteht sich als dezentralen Ableger von WikiLeaks und ist darauf spezialisiert interne Dokumente zu veröffentlichen um kriminelle Tätigkeiten in der bulgarischen Politik öffentlich zu beweisen. Im Februar veröffentlichte Balkan Leaks sechs interne Sprachaufzeichnungen. Auf den Aufzeichnungen sind die ehemalige Präsidentin des Sofioter City Court (wichtigstes Gericht in Bulgarien) Vladimira Yaneva und deren ehemalige Stellvertreterin Rumyana Chenalova zu hören. Die Gespräche handeln von Vetternwirtschaft, Korruption und Einflussnahme durch Lobbyisten und wie dies im bulgarischen System stattfindet. Kurze Zeit später gibt die Generalstaatsanwaltschaft bekannt, dass sie illegal belauscht wurde.
Yaneva war bereits zuvor vom obersten Justizrat suspendiert worden, da sie zahlreiche Genehmigungen erteilte um „Sonderüberwachungsgeräte“ (elektr. Geräte zur Spionage von Personen) zu verwenden und somit das Gesetz verletzte. Aus einer der Aufnahmen geht hervor, dass Yaneva auch Genehmigungen erteilte um ausländische Botschaften auszuspionieren. Es wurde ebenfalls bekannt, dass mit der sogenannten „Operation Worms“ ein Lauschangriff auf Regierungsgegner durchgeführt wurde.
In den Aufnahmen ist auch zu hören, dass jemand namens Bojko (vermutlich Bojko Borissow) den Generalstaatsanwalt Sotir Tsatsarov dazu anwies, die suspendierte Yaneva öffentlich anzuklagen. Yaneva hingegen bekam Unterstützung von Georgi Kolev, Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, der den Fall vertuschen wollte um eine öffentliche Anklage zu vermeiden. Auch Tsatsarov möchte Yaneva nicht anklagen, trotz ihres Vergehens. Er bezeichnet eine mögliche Anklage als „Populismus“.
Als die Gesprächsaufnahmen geleakt werden bezweifelt Kolev die Authentizität des Materials. Es handle sich um einen politischen Angriff auf seine Person. Auch Bojko Borissow bemüht sich, den Fall klein zu halten. Laut ihm sind es lediglich zwei beliebige Frauen, welche sich unterhalten. „Ich kann sie nicht aufhalten. Wie ihr wisst reden Frauen im Schönheitssalon ständig über mich, ich kann nichts dagegen tun.“
Im Februar wird ein Untersuchungsverfahren gegen Yaneva eingeleitet. Ihre Gesprächspartnerin in den Aufnahmen, Rumyana Chenalova bestätigte, dass die Aufnahmen echt seien, sie habe jedoch nicht die Gespräche aufgezeichnet. Auch Chenalova wurde vom Gericht entlassen wegen Urkundenfälschung. Außerdem steht sie im Verdacht die Tochtergesellschaft einer französischen Firma durch einen Prozess absichtlich in den Bankrott getrieben zu haben, weil sie von der bulgarischen Konkurrenzfirma angeblich bestochen wurde.
Auf Druck der Öffentlichkeit und der EU soll nun eine Justizreform durchgeführt werden. So möchte die Regierung ihre Glaubwürdigkeit (insofern noch vorhanden) sicherstellen. „Der einzige Grund der Reform ist, dass die Regierung Angst hat ohne Reform keine Gelder der EU mehr zu erhalten.“, ärgert sich ein Facebook User.
Der Justizminister Hristo Ivanov kündigte letzten Sommer eine große Justizreform an um das System gerecht zu gestalten und um Korruption und Einflussnahme auf das Gericht durch das Parlament zu bekämpfen. Schlüsselelemente der Reform sind die Aufteilung des Obersten Justizrates in zwei Kammern: Richter und Staatsanwälte, eine Verkürzung der Amtszeiten und die Abschaffung von geheimen Abstimmungen. Dabei trifft er immer wieder auf großen Widerstand seitens der Politiker. Während das bulgarische Volk das bestehende System nicht mag, finden es die, die von den Möglichkeiten der Einflussnahme profitieren durchaus gut. Die Europäische Kommission hingegen verkündet Lob über die geplante Reform. Am 16. Dezember wurde über dieses Reformpaket abgestimmt. In der zweiten Lesung kam es dabei zu starken inhaltlichen Änderungen, der Inhalt wurde stark „verwässert“, Schlupflöcher eingebaut und große Teile ganz gestrichen. 189 der 240 Parlamentsmitglieder stimmen für die entschärfenden Änderungen, Justizminister Hristo Ivanov tritt zurück, die Änderungen verhindern seiner Meinung nach eine wahre Reform in der Justiz.
Ivanovs Vorschlag, dass das Parlament und die Staatsanwaltschaft zu gleichen Anteilen Mitglieder für eine Aufsichtsstelle für Staatsanwälte auswählen bekam keine Unterstützung im Parlament. Mit diesem Konzept wollte Ivanov die Rechenschaftspflicht der Staatsanwälte gewährleisten.
Im Gegensatz zu Bulgarien ist Rumänien gerade dabei, dass Justizsystem von Grund auf zu reformieren. In Bulgarien sind die Bestrebung organisierte Kriminalität und Korruption zu bekämpfen sehr gering, obwohl das Land in der EU eines der größten Korruptionsprobleme hat. Wegen der mangelnden Rechtsgrundlage möchten viele ausländische Unternehmen nicht in Bulgarien investieren, es ist ihnen zu riskant.
Bei der bulgarischen Justizreform handelt es sich um einen symbolischen Akt, um dem bulgarischen Volk vorzugaukeln, man würde etwas für die Gerechtigkeit tun. Es handelt sich um eine Farce, und da dies den wenigen politikinteressierten Bulgaren bewusst ist, beginnen sie auf die Straße zu gehen. Nicht nur in der Hauptstadt Sofia demonstrieren einige tausend Menschen, indem sie Straßen blockieren, auch in Plovdiv trauen sich ein paar Menschenseelen auf die Straße.
„Am Montag waren wir 50 auf der Demonstration. Ein guter Anfang für Plovdiv.
Wir könnten am Sonntag das Doppelte und mehr sein. Natürlich nur, wenn jeder seine Freunde mobilisiert und einlädt. Und ich verstehe nicht, warum es so kompliziert ist zu verstehen, welche Bedeutung dieser Protest hat. Der Rechtsstaat ist die Grundlage für den Erfolg einer demokratischen Gesellschaft, und ihre Abwesenheit ist der Hauptgrund für die momentane Situation im bulgarischen Staat. Der Kern von fast jedem Problem in unserem Land ist der Mangel an echter Gerechtigkeit - aus Mangel an Gesetzen für die Bekämpfung von Kriminalität führt die wirtschaftliche Entwicklung zu Armut und Perspektivlosigkeit. Und jetzt haben wir eine historische Chance zur Transformation. Wer auf Facebook schreibt „Je suis Parisien“, der schreibe auch „Je suis Bulgarien!“. Ich schlage vor, dass sie wirklich etwas Sinnvolles machen, es ist nur eine Stunde ihrer Zeit. Diese Protestwelle ist ein starker Impuls der Bürgerinnen und Bürger, die den eigenen Interessen und der Versuchung der Korruption widerstehen können und der Mafia in die Karten spielen können, auf in die Schlacht für eine reale Justizreform!
Komm schon, Plovdiv, zusammen!“
Pavel Nachev
Es ist ein kühler Abend, als ich Pavel neben dem „Deutschen Weihnachtsmarkt“ in der Dunkelheit vor dem Rathaus von Plovdiv treffe. Statt erhofften 100 oder mehr Demonstranten sind nur etwa 30 gekommen – gerade genug um das große Banner durch die Fußgängerzone zu tragen. Zusammen rufen wir „Re-for-ma!“ bis mir die Zunge von Rollen des „r“ wehtut. Pavel lacht als er hört, wie ich mich anstrengen muss. Insgesamt ist die Stimmung gut, die Menschen haben Spaß am Protest. Einige Passanten rufen ebenfalls „Reforma“, sie sehen allerdings eher so aus als würden sie denken, dass sei der Name eines Fußballvereins, der gerade ein Spiel gewonnen hätte. Ein Mann stellt sich spontan vor den Demonstrationszug und ruft laut: „Ich bin die Gegendemo! Tsatsarov! Tsatsarov!“ (Name des in den Skandal verwickelten Generalstaatsanwaltes, s.o.). Alle Anwesenden lachen laut - trotz der aussichtslosen Situation haben die Menschen Humor.
2 junge Männer, auf die unserer Demonstrationszug trifft sind jedoch nicht gut gelaunt, sie fangen an uns anzupöbeln. „Das sind Mitglieder der rechtsradikalen Partei Attaka“, erklärt mir Pavel. „Die meinen wir wären für diese Demo vom US Milliardär Soros bezahlt worden, um hier amerikanische Propaganda zu betreiben.“ Witzige Story. Wieso werde ich eigentlich nicht von der deutschen Regierung bezahlt? Schließlich setze ich mich gerade dafür ein, europäische Werte zu etablieren! Ein Mausmaskottchen läuft auch mit im gutgelaunten Zug, die Farbe des Kostüms ist blau mit vielen goldenen Sternchen. Vorwärts, für eine europäische Entwicklung des Landes!
Zwar habe ich nicht das Gefühl, der bulgarischen Mafia an diesem Abend in die Karten gespielt zu haben, als ich mich mit Pavel in eine gemütliche Bar auf einen Glühwein setze. Gezeigt hat sich aber: Protestkultur und politischer Aktivismus machen großen Spaß!
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