Johannsons Gespür für Schnee
Wenn Eiskristalle unter den Füßen knirschen und die glatte Schneedecke in der Sonne glänzt. Dann fühlt sich Johannson gut. So gut, dass er sich durch den tiefen Schnee auf die Spitze eines Hügels kämpft, bis er auf einen Schwedisch murmelnden Troll trifft…
Ganz in weiß
Gestern gab es bei uns den ersten Schnee. Samstag hatten wir noch das gewöhnliche nasskalte Ekelwetter und ich war froh, im Wohnwagen zu arbeiten. Dann heute nach dem Aufstehen ruft mir Paul zu, dass das geplante Treffen mit Freiwilligen von den VOLES abgesagt ist, weil wir eingeschneit sind. Außerdem sagt er, dass ich am Vortag den Frettchenkäfig offen gelassen habe und er morgens ihre Spuren im Schnee fand. Leider sind sie weder weggerannt noch erfroren. Die verwöhnte Bande hat sich schon so ans Füttern gewöhnt, dass sie vor dem Käfig standen und aufs Essen warteten. Und ihn in die Hand bissen, als er sie wieder hinter Gitter gesetzt hat. Auch die Gänse leben noch. Ich konnte es zuerst kaum glauben, aber ein Blick aus dem Fenster zeigte dann tatsächlich eine dicke weiße Schicht, wo tags zuvor noch Wege und Wiesen waren. Ich habe die Landschaft das erste Mal so gesehen und gleich eine ganze Menge Fotos gemacht. Es war wunderschön; echter, tiefer Schnee, der unter den Schuhsohlen knirscht; eine makellose, glatte, in der Sonne glänzende Decke - soweit das Auge reicht. Und es reicht weit hier an der Küste.
Märchenwinter
Man war ganz allein, hatte den ganzen Eindruck für sich; bis zum Horizont kein einziger schwarzer, sich bewegender Punkt; eine Ruhe, eine Stille und Statik wie sie kein Neujahrsmorgen bietet. Ich kam mir vor wie gerade von Astrid Lindgren erfunden, als ich bis zu den Knöcheln in den Schnee einsinkend den Hügel hinter der Farm hochmarschierte, um einen besseren Überblick zu haben. Und wirklich, oben lief mir ein Schwedisch murmelnder Troll über den Weg. (Nein nicht wirklich. Aber ich hätte es begrüßt.) Ich mag diese Tage. Sie beschützen mich vor Depressionen. Lasst uns die Augen schließen und uns vorstellen, es wäre erst November und nicht schon Februar.
Zukunftspläne
Ein Glück, dass ich nicht unterwegs war an diesem Wochenende, denn es dürfte wenig andere Plätze als die Farm geben, an denen man den Winter so genießen kann. Wie schon letzte Woche habe ich Samstag und Sonntag gearbeitet. Ersteren für Reisen und Zweiteren für einen freien Mittwoch, wenn ich mit Hanni, Debby, Joanna und Co. nach Durham fahre. Wenn der oft ohnehin schon so labile öffentliche Nahverkehr nicht zusammen gebrochen ist. Debby war überglücklich, ihr erster, lang erwarteter Schnee war da und natürlich war er „lovely!“. Ich bin froh, dass der Caravan so viel Arbeit bereitet; jetzt habe ich drei freie Zusatztage und kann den Mittwoch noch dazu freinehmen. Ich habe die letzten zwei Wochen durchgehend gearbeitet und fühle mich nicht mal ausgepumpt, im Gegenteil gewöhne ich mich fast daran und habe weniger Zeit zum Nachdenken. Mir geht es zur Zeit ziemlich gut, vorgestern kam wieder eine Mail von Oktawia in London und ich schätze nächste Woche werde ich die Reise dort runter über Ostern klarmachen. Mein Polnisch hat wieder ein paar neue Elemente bekommen, mit denen ich dann angeben kann. Und Joanna hat mir versprochen, mich mal zu Piroggie oder Borsch einzuladen.
We are the Geordies!
Ach ja, London. Denen haben wir es gestern mal gezeigt ;-) Chelsea spielte gegen Newcastle und einen Schneesturm. Ich habe die Übertragung neben der Arbeit im Wohnwagen gehört, wie Kluivert gleich in der vierten Minute einen Kopfball versenkte und Chelsea danach fast kein Land mehr sah. In der Halbzeit haben sie alle Auswechslungen genutzt, woraufhin Shearer, natürlich unabsichtlich, einen Spieler mit einem Verdacht auf Knöchelbruch ins Krankenhaus schickte. Später haben Chelsea auch noch ihren Torwart verloren und ich frage mich, wieso wir nicht höher gewonnen haben. So ist Newcastle weiterhin im FA Cup und die Londoner nicht mehr. Ich hätte Karten für dieses Spiel kriegen können, aber da ich mal die seltene Gelegenheit für Wochenendarbeit hatte, war ich nicht traurig, nicht im St. James Park gewesen zu sein.
... schönste Freude
Diese Woche haben wir eine ganze Menge gestrichen. Freitag habe ich mit Denis Frazer die Wände gemalert und dann Samstag Fehler ausgebessert. Paul war sehr zufrieden, weil ich zwar langsam aber sorgfältig gearbeitet habe. Der Wohnwagen sieht schon ziemlich gut aus, zumindest von innen und wir müssen nur noch das Linoleum und die Möbel reinbringen. Ich lerne dabei eine ganze Menge, am Wochenende habe ich die meiste Zeit damit verbracht, mit Sandpapier alte Farbe von den Holzteilen zu reiben und sie danach neu zu streichen. Ich habe das noch nie zuvor gemacht und bin recht stolz, es allein geschafft zu haben. Es ist zwar recht eintönig, sieben Stunden allein im Wohnwagen zu sitzen und frustrierend langsam voran zu kommen, aber mit Musik und warmer Kleidung ging es erstaunlich schnell herum. Dazu hatte ich gestern sogar noch Unterhaltung. Samstag Abend kam uns Stu besuchen, einer von Paul’s Freunden. Heute wollte er wieder weg, aber der Hügel hinauf nach Easington ist bei Schnee ein ernst zu nehmendes Hindernis. Dreimal versuchte er es in seinem kleinen Auto, dreimal kam er wieder hinunter gerollt. Hab ich gegrinst ;-) Selbst Paul mit dem Landrover brauchte zwei Anläufe. Mit dem Minibus wäre es unmöglich gewesen, darum haben wir den VOLES abgesagt. So war es ein sehr entspannter Sonntag.
Fluch der Technik
Ganz im Gegensatz zu Freitag Nacht. Da bin ich schon zu spät ins Bett gekommen und gerade eingeschlafen, da klingelt auf einmal mein Handy. Halb zwei nachts. Ich war zuerst so verwirrt, ich dachte, mein Wecker würde klingeln und es sei bereits acht Uhr morgens. Wie sich rausstellte, waren das Nachrichten von meiner lieben Familie mit den Details ihres Besuchs Ende Mai. Ich war stinksauer. Beide Handys ausgemacht und wieder ins Bett und um zwei dann wieder Klingeln. Ich hab gedacht ich spinne. Irgendwie habe ich mich dann durch den nächsten Tag gekämpft, bin dann aber abends absolut tot ins Bett gefallen.
Verpasste Chance
Ebenfalls Freitag habe ich einen zweiten Satz Fotos abgeholt, hauptsächlich Fotos von Madzia auf der Farm. Den ersten Film habe ich ein zweites Mal entwickeln lassen und werd ihn Asia geben, aber ich glaub sie wird den zweiten noch lieber mögen. Eigentlich wollte ich ja danach noch bei Manuela vorbeischauen, bin dann aber lieber in den zufällig gerade neben mir haltenden letzten mir bekannten Bus gestiegen. Ohne die noch immer bei Debby liegenden Buspläne weiß ich nämlich die Zeiten für die spätere Linie nicht und wollte lieber nichts riskieren. Hmm, hinterher hab ich mich geärgert. Aber wenigstens bin ich trockenen Fußes nach Hause gekommen, die ganze Zeit über zog nämlich eine wirklich böse aussehende Wolkenfront auf mich zu.
Massenmeinung
Wann hab ich das letzte Mal geschrieben? Das muss letzten Montag gewesen sein. Zum Glück ist nicht viel passiert; ohne diesen Eindruck von Sonntag Morgen hätte ich auch heute nichts von mir hören lassen. Wie gesagt, die Aussicht auf London hat meine Laune auf ungewohnt hohem Niveau gehalten. Ich glaube das war auch nötig, denn vor Freitag ging es mir nicht so wirklich gut. Ich habe viele neue Artikel von anderen Freiwilligen gelesen und ich habe keinen gefunden, der gerne zurückgegangen ist. Die schreiben so was, da: „Genieße deine letzten Tage, auch wenn es verdammt schwer werden wird! Du wirst dich mit dem Gedanken anfreunden müssen, in guter Erinnerung zu bleiben.“ Wenigstens bin ich also nicht der Einzige der sich mit solchen Gedanken herumschlägt. Es ist merkwürdig, eine Ehemalige hat geschrieben, dass sie sich kaum vorstellen kann, jemals hier gewesen zu sein und mir kommt es manchmal schon jetzt irreal vor. Es scheint so unwirklich, dass jemand schon letztes Jahr Dasselbe gemacht hat wie ich, hier gearbeitet hat, Leute besucht hat, wieder nach Hause musste. Und das nächstes Jahr jemand anderes hier sein soll und wieder Dasselbe macht. Es ist furchtbar, dass man es nie wieder wiederholen kann. Selbst wenn man zurückkehrt, ist man nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft, steht ganz allein und ohne diese grandiosen Leute mit einem „Auch wenn man zurückkehren kann, ist man willkommen: Nie wird es wieder so sein!“. Ja ganz genau. Naja... wenn ich nur sicher sein könnte, dass ich überhaupt zurückkomme... Jemand anders schrieb über die völlige Freiheit, die man hier hat und auch das stimmt. Ist zwar hauptsächlich in der Verantwortungslosigkeit hier begründet, aber das kann mir ja egal sein. Es ist Wahnsinn. Ich habe das Tagebuch einer Juliane gefunden, die kurz bevor meinem Projektstart aus Rumänien zurückgekommen ist. Das ist sehr gut geschrieben und beobachtet. Gegen so etwas helfen mir die ersten Schritte auf die Working Holidays zu. Letztens ist endlich mein Begrüßungspaket gekommen, leider mit dem Hinweis, dass man erstmal einen normalen Urlaub mitmachen muss, bevor man einen leiten kann. Zum Glück hab ich Mareen als Hilfe und werde mich auf ihren Tipp hin demnächst für einen Wochenendeinsatz anmelden. Viele der Angebote sind in der Nähe von London oder Manchester, leider werde ich keine Zeit haben, die Leute dort besuchen zu fahren. Es macht Spaß, diese Urlaube zu planen. Es macht Spaß zu schreiben.
Perfektion
So habe ich mir den heutigen Tag bis zum Schluss aufgehoben. Natürlich hat das seinen Grund. Wie schon gestern, konnten wir hier nicht besonders viel tun und so entschloss ich mich mittags zu einem Spaziergang, wissend, dass ich es sonst den Rest des Jahres bereuen würde. Ich hatte ja schon am Vortag einen guten Eindruck gehabt, aber ich muss Euch sagen: ich hatte ja keine Ahnung. Noch nie hat eine Landschaft einen solchen Eindruck auf mich gemacht. Ich bin durch den tiefen Schnee auf Beacon Hill gestapft, gestolpert und gerutscht, dann nach Hawthorn Dene, dort runter an den Strand, auf der anderen Seite des Denes wieder hoch und noch etwas Richtung Seaham. Ich musste meine Sonnenbrille rausholen, so strahlte die Sonne auf mich herab und reflektierte von der Schneeschicht der Felder, die nur von Tierspuren der letzten Nacht gestört war und sonst nur als makellos weiß beschrieben werden kann. Nur einmal begegnete ich einem Menschen, nur einmal lief ein einsamer Hund an mir vorbei, ansonsten war ich vollkommen allein. Soweit man über die glatten Wiesen und Felder blicken konnte; keine Bewegung, kein Laut. Alles stand still. Es war unglaublich schön. Kein Satz und kein Bild könnte es wiedergeben und es hat mich tief, tief beeindruckt.
Änderungsvorschlag
Der Schnee war bereits am schmelzen, ich schätze Mittwoch werden wir in einem schrecklichen Morast aus Matsch und Schlamm stecken und als ich zurückkam, waren meine schweren Stiefel voller Wasser, aber das hat mich nicht im Geringsten gestört. Mareen hat hier zwei Winter erlebt, sie dürfte die einzige sein die vielleicht weiß, wovon ich spreche. Von ihr kam heute wieder eine Mail, die mich in Sachen Rückkehr alles andere als ermunterte. In unseren Trainings werden wir wie kaum auf sonst etwas auf das Leben allein im Ausland vorbereitet. Was bei mir vollkommen sinnlos war, da ich alles, nur keine Probleme hatte. Sie hätten uns mindestens genauso viel über das Zurückkehren erzählen sollen.
Überlebenshilfe
Am achten März werde ich mit Paul und Peter Interviews mit den nächsten Freiwilligen führen und ich habe mir dafür schon eine Notinjektion Endorphin besorgt. Hoffentlich reicht sie. Wieso gibt es keinen hilfreichen Rüdiger Nehberg für solche Situationen? Von meinem Interview weiß ich nicht mehr viel, aber heute hat mir Paul erzählt, wie ich auf die Frage „Hast Du Dich schon mal um Tiere gekümmert.“ mit einem taktisch genialem „Ich hatte mal ein Meerschweinchen, das ist gestorben.“ antwortete. Zur Zeit kommen wieder viele Bewerbungen durch und es scheint mir, als wenn Viele nicht einmal die Projektbeschreibung gelesen haben. Ich frage mich ja immer noch, weshalb sie damals ausgerechnet mich genommen haben. Denn ich habe die Projektbeschreibung bis heute nicht zu Gesicht bekommen. Im Gegenteil schreibe ich sie im Moment selbst in der Präsentation.
Eine letzte Kommunikation mit der Redaktion brachte den Wunsch, auch wieder über Käse zu berichten. Ich war schon lange nicht mehr in einem vernünftigen Geschäft, hoffentlich findet sich am Mittwoch in Durham was. Im Moment habe ich nur zweihundert Gramm widerlichen Ekelkäse im Kühlschrank, den ich letzte Woche aus lauter Verzweiflung im Co-op gekauft habe. Absolut grausam und nur in Soßen zu ertragen und nicht mal da wirklich gut. Kauft niemals, nie „mild white Cheshire“.
Pozdrawiam, Johannes