In Zeiten einer Pandemie zurück in die Heimat- gar nicht so einfach
Mittlerweile bin ich schon wieder etwas mehr als einen Monat zurück in Deutschland, zuhause, bei meiner Familie; wo ist nur die Zeit geblieben. Wie es mir damit ergeht, wie es jetzt für mich weitergeht und dass es gar nicht so einfach war, wieder nach Hause zu kommen, erfahrt ihr hier.
Wieder zuhause sein ist auf der einen Seite ein sehr erleichterndes Gefühl, zu wissen ich bin bei meiner Familie, egal was passiert wir stehen das zusammen durch, gerade in diesen schweren Zeiten. Allerdings ist es auch ein sehr komisches Gefühl, seine Sachen zu packen, das Gastland zu verlassen und nicht zu wissen, wie es weitergeht, wann werde ich zurückkommen können, werde ich überhaupt die Möglichkeit haben in der nächsten Zeit zurückzukehren? Wann werde ich all die lieben Menschen, welche ich hier kennen- und lieben gelernt habe wiedersehen? Wird es ein Wiedersehen geben? Dieses komische Gefühl von einer gewissen Ungewissheit und das Wissen bald seine Familie wiedersehen zu können standen sich irgendwie gegenüber, als es für mich auf den Weg zum Flughafen ging. Wie ich mich fühlte, ich wusste es nicht. Alles war ein reinstes Chaos, ich war von den letzten Tagen einfach sehr müde und sehr gestresst. Der Stress raubte mir meinen Schlaf. Ich wusste nicht, wie es weitergeht.
Am Donnerstag, den 12. März ging ich wie immer, noch unwissend von den weiteren Entwicklungen dieses Tages, zur Arbeit. Alles fühlte sich noch relativ normal an, klar schnappte man in den letzten Tagen immer mehr das Wort,,Corona" auf und Gerüchte von irgendwelchen Coronafällen bei uns in der Gegend verbreiteten sich immer mehr, gerade unter den Kindern und Jugendlichen an der Schule, an der ich arbeite. Aber all dies waren nur Gerüchte, das normale Leben ging immer noch wie gewohnt weiter, die Leute gingen normal zur Arbeit, zum Einkaufen, auf den Markt und selbst von irgendwelchen Mindestabständen war bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu erkennen. Ab und zu gab es ein, zwei Leute, die Abstand hielten und auf näheren Körperkontakt, wie Umarmungen, oder Bisous verzichteten, aber im Allgemeinen konnte man bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht spüren, dass wir in Zeiten einer Pandemie lebten.
So verlief dieser Arbeitstag, wie jeder andere. Am Abend fuhren ich und meine Mitbewohnerinnen noch in die Stadt, da eine von ihnen einen rumänischen Abend organisierte, um etwas von ihrer Herkunft, ihrem Land, ihren Traditionen etc. zu erzählen. Auch hier fühlte sich noch alles ganz normal an, die Veranstaltung war zum Erstaunen aller, sehr gut besucht. Immer wieder mussten mehr Stühle in den Raum getragen werden, sodass wir letztendlich alle eng beieinander saßen, man konnte sich kaum bewegen, ohne irgendeiner anderen Person zu Nahe zu kommen. So verlief dieser Abend sehr gut, ein voller Erfolg für die beiden Freiwilligen, welche Tage und Wochen an der Organisation dieser Veranstaltung saßen. An einem Punkt der Veranstaltung fiel mir auf, dass die Dame, welche neben mir saß, nur noch auf ihr Handy starrte. Bei Genaurem Hinsehen erkannte ich, dass sie sich eine Rede von Macron ansah. Im ersten Moment empfand ich das als eine Frechheit und Unfreundlichkeit, den beiden Organisatorinnen der Veranstaltung gegenüber. Den beiden war ihre Nervosität förmlich ins Gesicht geschrieben und die Dame hatte in diesem Moment übertrieben gesagt nichts Besseres zu tun, als auf ihr Handy zu starren. Allerdings erfuhr ich den Grund, für ihr in meinen Augen unfreundliches Verhalten, erst später an diesem Abend.
Nach dem Vortrag war es Zeit, landestypisches Essen zu probieren. Zu diesem Zeitpunkt ergab sich für mich eine kurze Möglichkeit, wieder auf mein Handy zu schauen. 10 verpasste Anrufe von meinen Eltern, irgendetwas musste passiert sein. Voller Sorge und mit tausend Szenarien in meinem Kopf ging ich kurz vor die Tür, um diese zurückzurufen. Sie erzählten mir, dass Macron beschlossen hatte, ab dem kommenden Montag alle Schulen, Kindergärten und Universitäten, zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Corona-Viruses, zu schließen. Irgendwie wollte ich das nicht wahrhaben, ich konnte es gar nicht glauben, alles fühlte sich hier noch so normal an. Allerdings hatte ich keine Zeit, mich weiter zu informieren. So war dies das Erste, was ich tat, als wir an diesem Abend spät nachts wieder von der Veranstaltung zuhause ankamen. Es stimmte, die französische Regierung hatte wirklich beschlossen, ab Montag alle Bildungseinrichtungen für eine unbestimmte Zeit zu schließen. Wie ging es nun für mich weiter, meine Mission bestand aus der Arbeit in genau diesen Einrichtungen? Dieser konnte ich nun für unbestimmte Zeit, aber nicht mehr nachgehen. Die ersten Gedanken nach Hause zu fliegen kamen mir in den Kopf.
Am nächsten Tag ging ich wieder zur Arbeit, allerdings war es ein sehr komisches Gefühl. Mir war bewusst, es war für die nächste Zeit erst mal das letzte Mal. Dieses bedrückende Gefühl von einer gewissen Ungewissheit sah man jedem an. Die Verantwortlichen für mich auf der Arbeit kamen eine halbe Stunde zu spät, da sie noch an einer Krisensitzung teilnehmen mussten. Jede Person, die den Jugendclub betreten wollte, musste sich erst einmal die Hände desinfizieren und wurde in die Hygiene- und Sicherheitsregeln eingewiesen. Alles war auf einmal so anders, kaum zu glauben, dass gestern noch alles normal schien und von all diesem, noch keinerlei Spur war. In den letzten Stunden hatte sich alles verändert, die Einstellung und Mentalität der Personen, wie die Menschen aufeinander zugingen, die Welt schien auf einmal eine ganz andere zu sein. Es fühlte sich so an, als würde sich das Leben in den nächsten Tagen, in den nächsten Monaten komplett verändern, alles würde umgestellt werden. Die Menschen distanzierten sich alle voneinander, so unterschiedlich sie alle auch waren, in einem waren sie vereint: Der Ungewissheit und bei einigen in der Angst davor, der Angst über die eigene Existenz, der Ansteckung, dem Jobverlust etc. Niemand wusste wie es weitergehen würde, auch die für mich Verantwortlichen auf der Arbeit konnten mir nicht sagen, wie es jetzt für mich weitergehen sollte, ob ich eine neue Mission bekommen würde, ob ich überhaupt noch einer Aufgabe in Frankreich nachgehen könnte. Ich sollte dieses mit meiner Organisation absprechen, von welcher allerdings an diesem Tag niemand zu erreichen war und so verschob sich dieses auf nach dem Wochenende.
Später ging ich noch zum nahe liegenden Freizeitzentrum, wo ich einen weiteren Teil meiner Mission absolvierte. Auch hier waren die Auswirkungen der neuen Situation deutlich zu spüren. Normalerweise betreuten wir hier um die 100 Schüler/-innen nach der Schule, an diesem Tag erschien allerdings nur weniger als die Hälfte. Trotzdem versuchten wir, für die Anwesenden, den täglichen Ablauf am Laufen zu halten. Sie nahmen ihren Nachmittagssnack zu sich und suchten sich dann eine Aktivität für den weiteren Verlauf des Nachmittages aus. Es war deutlich zu erkennen, dass es den Jüngeren der Gruppe noch ziemlich schwerfiel, die neue Situation zu verstehen. Ihnen war nicht bewusst, warum sie nun auf einmal von ihren Freunden, mit welchen sie gestern noch Hand in Hand spielten, Abstand halten sollten. Warum sie diese nun für eine unbestimmte Zeit nicht mehr sehen sollten.
Die Angespanntheit aller wurde mehr und mehr deutlich, ein Junge wollte sich von seinen Freunden verabschiedeten und gab ihnen dabei seine Hand und wurde sofort von seinem Vater angeschrien: ,, Wir fassen uns nicht an!". Die Auswirkungen von all diesem und was die neue Situation mit uns machte, wurde von Sekunde zu Sekunde deutlicher. Alles war noch so neu und niemand wusste, wie man jetzt am besten mit all dem umgehen sollte.
Am Abend saßen meine Mitbewohnerinnen und ich noch ziemlich lange zusammen und redeten über all das, was uns beschäftigte. Wie würde es mit uns weitergehen? Wer kann sich vorstellen, oder plant sogar bereits zurück zu sich nach Hause zu fahren? Zu diesem Zeitpunkt war ich mir noch nicht sicher, in meinem Kopf war alles noch ein ziemliches Chaos, ich musste die ganze Situation und die damit einhergehenden Veränderungen erstmal verarbeiten. Irgendwie wollte ich nach Hause, aber ich wollte all dieses in Frankreich auch nicht verlassen. Ich wusste selber nicht mehr, was das Beste für mich ist und was ich möchte.
Mein vorerst letztes Wochenende in Frankreich verbrachte ich noch mal ganz schön. Am Samstag traf ich mit Freunden in der Stadt, obwohl ich kurz am Überlegen war, ob dieses in der jetzigen Situation wirklich das Beste ist, entschloss ich mich trotzdem hinzufahren, da mir unterbewusst irgendwie schon klart war, dass es wie so viele Sachen in der letzten Zeit, vorerst das letzte Mal sein würde. Das gute Wetter lockte viele Menschen in die Stadt, von irgendeiner Ausnahmesituation wieder keinerlei Spuren. Die Masse an Menschen entsprach einem ganz normalen Samstagnachmittag, vielleicht war es sogar voller. Doch trotzdem spürte man, dass irgendwas nicht normal war, jedes zweite Gespräch, welches an einem vorbeirauschte, beinhaltete das neuartige Virus. Wir machten uns einen schönen Tag, stöberten etwas in den Geschäften, gingen zusammen Essen und redeten über alles, was uns auf dem Herzen lag. Es tat unglaublich gut einfach mal für ein paar Stunden alles zu vergessen, alle Sorgen und Gedanken zurückzulassen, einfach mal nur im Hier und Jetzt zu leben, zusammen zu lachen, ohne daran zu denken, wie das Leben ab der kommenden Woche aussehen wird, aus der gewohnten Umgebung herauszukommen und das gute Wetter zu genießen. Doch wenig später wurden wir schlagartig wieder zurück in die Realität geholt, wir wollten nach einem entspannten Tag wieder zurück nach Hause. Doch die Tram fuhr nicht, das ganze Tramsystem wurde für mehrere Stunden lahmgelegt, so gingen wir zu Fuß.
Wieder zuhause angekommen, saß ich wieder mit meinen Mitbewohnerinnen zusammen, wir erzählten uns von unserem Tag, als wir plötzlich die Nachricht erhielten, dass ab Mitternacht nun auch das ganze öffentliche Leben in Frankreich stillgelegt werden sollte, das hieß, alle Bars, Restaurants, Läden etc. sollten auf unbestimmte Zeit geschlossen werden. Irgendwie fühlte sich das alles nicht mehr real an, alles ging in den letzten Tagen sehr schnell. Nun sollten also auch die Geschäfte, das Restaurant, in dem ich heute noch mit Freunden essen war, geschlossen werden. Diese Entscheidung der Regierung konnten wir allerdings alle teilen, denn nachdem die Regierung in den letzten Tagen mehrfach die Bitte und Empfehlung ausgesprochen hatte, öffentliche Orte und große Menschenmasse zu meiden, so versammelten und trafen sich immer noch viel zu viele Leute.
Also wogen wir die jetzige Situation noch mal aufs Neue für uns ab, wäre es vielleicht doch das Beste zurück in unsere Länder zukehren, niemand wusste, wie lang dieser Ausnahmezustand jetzt andauern würde. Natürlich waren wir in Frankreich gut aufgehoben und untereinander, aber bei einer Sache waren wir uns einig, es ist doch immer noch etwas anderes in seinem eigenen Land und bei seiner Familie zu sein, gerade in einer solchen Situation. Zu diesem Zeitpunkt war ich allerdings immer noch die Einzige unter uns, welche sich vorstellen konnte, zurückzufliegen.
Am Sonntag war das Wetter wieder sehr warm und zwei meiner Mitbewohnerinnen und ich entschlossen uns dazu, zur Dune du Pilat zu fahren. Diese Düne ist die größte Wanderdüne Europas, wir bestiegen diese und setzten uns in den Sand, ruhten uns aus, hörten Musik, sonnten uns, lasen ein Buch. Alles war so entspannt, fast normal, bis mich die nächste Eilmeldung erreichte: ,,Deutschland macht die Grenzen dicht". Was im ersten Moment ein großer Schock für mich war, denn obwohl ich mir immer noch nicht sicher war, ob ich nach Hause möchte, ist das Gefühl, dieses vielleicht sogar bald gar nicht mehr zu können schon ziemlich bedrückend. Was ich in diesem Schock komplett vergaß, als deutsche Staatsbürgerin werde ich grundsätzlich fast immer die Möglichkeit haben, das Land zu betreten. Die Frage ist nur wie, denn wenn der Flughafen dichtgemacht werden sollte, oder es keine Flugverbindungen mehr geben sollte, säße ich trotz diesem Recht in Frankreich fest. Wir gingen noch etwas spazieren und genossen das gute Wetter.
Und auch an diesem Abend saßen wir wieder zusammen und besprachen die aktuelle Lage, dieses ist in den letzten Tagen irgendwie zu einem Ritual geworden und ich habe das Gefühl, es hat uns als Wohngemeinschaft auch noch mal ein Stück näher gebracht. Nach Abwägen der Möglichkeiten und nach einem ausführlichen Gespräch mit ihren Eltern konnte sich eine meiner Mitbewohnerinnen nun auch vorstellen, in ihr Land zurückzukehren. Wir einigten uns, aber alle darauf das Gespräch mit unserer Organisation am nächsten Tag abzuwarten.
Montagmorgen: Heute ging keine von uns zur Arbeit. Wir saßen alle zusammen am Küchentisch und warteten, bis die Verantwortlichen unserer Organisation antrafen. Sie erzählten uns zu Beginn etwas von der momentanen Lage in Frankreich und jede von uns teilte kurz ihre Gedankengänge. Nach einer kurzen Pause bekamen wir die Nachricht, dass der Bürgermeister unseres Dorfes eine Mitteilung der Regierung erhalten hatte, in der es hieß, dass das Land sich in den nächsten 8 Wochen in einer strengen Ausgangssperre befinden würde. Nun sah die Lage ein weiteres Mal anders aus, wir redeten und telefonierten alle ein erneut mit Verwandten und Freunden, ließen uns beraten. Acht Wochen keine Arbeit, acht Wochen fast die ganze Zeit im Haus bleiben. Es wurde abgewogen, wo wollen wir diese Zeit verbringen, alle gemeinsam hier, oder zuhause bei unseren Familien. Letztendlich entschieden sich drei, darunter auch ich, dazu nach Hause zu fliegen.
Die Entscheidung war getroffen, nun folgte allerdings noch die Umsetzung, welche sich leider als nicht ganz so einfach erwies. Wir verzogen uns alle in unsere Zimmer und setzten uns vor unsere Laptops, sämtliche Seiten wurden durchsucht, um das beste Angebot zu finden. Möglichst früh sollte es wieder zurückgehen, viel zu groß war die Befürchtung und Angst, dass in den nächsten Tagen auch der ganze Flugverkehr und die Flughäfen geschlossen werden würden. Vor dem Mittagessen waren bereits zwei Flüge für den morgigen Tag gebucht, einer für meine Mitbewohnerin nach Ungarn und meiner nach Deutschland. Wir fühlten uns sicher, es sollte nach Hause gehen.
Allerdings hatte ich mich da vorerst zu früh gefreut. Einige Stunden später erhielt ich eine Nachricht meiner Fluggesellschaft, mein Flug wurde annulliert. Das konnte nicht wahr sein, in diesem Moment brach eine ganze Welt für mich zusammen. Doch ich wollte nicht aufgeben, so setzte ich mich wieder vor meinen Laptop und durchforstete alle möglichen Websites um doch noch irgendwie nach Hause zu kommen. Aus meiner Verzweiflung heraus und ohne jegliche vorherige Überlegungen buchte ich noch einen Flug, doch hier wurde mir das Geld zwar vom Konto abgezogen, aber meine Boardingkarte habe ich nie zu Gesicht bekommen. So langsam wurde die Zeit immer knapper, ich stresste mich extrem und wusste nicht, wie ich jetzt weitermachen sollte.
Im Gegensatz dazu meine Mitbewohnerin: Sie hatte mittlerweile zwar einen Flug gebucht, aber auch immer noch keine Bestätigung erhalten. Ganz entspannt saß sie, beim Abendbrot, in der Küche und wartete, bis sie in der Hotline an der Reihe war. Wie gerne hätte ich ihre Entspanntheit besessen, doch stattdessen tobte es in meinem Kopf, Gedankenfetzen flogen hin und her. Ich hatte zwar zwei Flüge bezahlt, aber keinen sicher.
Ich kam auf die Idee noch mal die Seite der Fluggesellschaft meines ersten gebuchten Fluges zu besuchen. Denn nach genauerem Hinsehen der Mitteilung vom Nachmittag bemerkte ich, dass wahrscheinlich nur der Flug von Paris nach Deutschland gestrichen worden ist, der Inlandsflug von Bordeaux nach Paris, aber normalerweise noch stattfinden müsste. Also wollte ich diesen stornieren, denn was sollte ich in Paris, wenn ich von da aus nicht weiterfliegen konnte.
Auf der Webseite der Airline erwartete mich eine Überraschung, all der Stress und die Panik wären nicht nötig gewesen, die Fluggesellschaft hatte mich selbstständig bereits auf einen anderen Flug umgebucht, statt über Paris sollte ich nun über Amsterdam fliegen. Ein Gefühl von Erleichterung überkam mich.
Wieder unten bei den anderen, wartete meine Mitbewohnerin immer noch in der Warteschlange. Der Rest schaute sich inzwischen die Rede von Macron an und erzählten mir, dass die Information, welche wir am Morgen von unserem Bürgermeister erhalten hatten, nun auch offiziell gemacht worden ist. Ab morgen 12 Uhr sollte nun eine Ausgangssperre im ganzen Land gelten, das Haus verlassen, sollte man nur bei einem triftigen Grund, dieses sollte dokumentiert werden und bei Nachfrage, eines Beamten, vorgezeigt werden. Wie sollten wir nun zum Flughafen kommen? Der Chef der Organisation bot uns an, uns morgens so abzuholen, dass er rechtzeitig vor Beginn der Ausgangssperre wieder zuhause war und uns zum Flughafen zu fahren.
So langsam wurde alles konkreter und ernster, bei nochmaligem Checken meines Boardingpasses und der Flüge an diesem Tag fiel mir auf, dass es auch noch einen früheren Flug gab. Also beschloss ich, mich umzubuchen, um die Umsteigezeit in Amsterdam zu verlängern, da ich Angst hatte, dass ich es in knapp 20 Minuten nicht rechtzeitig zu meinem Anschlussflug schaffen würde, und um schneller aus Frankreich draußen zu sein und damit einen Schritt weiter, auf dem Weg in die Heimat, dies allerdings ohne Erfolg. Die Server der Website waren überlastet, anscheinend versuchten jetzt sehr viele in letzter Sekunde, vor der Ausgangssperre, noch ihren Flug umzubuchen, zu stornieren oder vielleicht sogar noch einen Flug zu buchen. Ich versuchte es noch einmal bei der Hotline der Fluggesellschaft, diese war aber bereits geschlossen und machte erst wieder am nächsten Morgen um 6 auf. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir es bereits Mitternacht hatten. Die Zeit verlief wie im Fluge, trotzdem wollte ich nicht aufgeben, ich versuchte es noch einmal bei meiner ursprünglichen Fluggesellschaft, doch da gab ich nach einer halben Stunde in der Warteschleife auf. Mittlerweile war es schon kurz nach 1 und ich war immer noch nicht fertig und hatte noch nicht einmal angefangen zu packen.
Ich beschloss, es morgen früh ein weiteres Mal zu versuchen, der spätere Flug war mir ja sicher. Zwar hatte ich Angst, dass in der Zwischenzeit dieser Flug auch annulliert werden würde, oder der ganze Flugverkehr eingestellt werden würde, denn momentan änderte sich die Situation gefühlt sekündlich.
So schwer es mir auch fiel - positiv und optimistisch Denken war angesagt. So machte ich mich an das Kofferpacken, dies allerdings fiel mir auch nicht sehr einfach. Ich musste entscheiden, was ich mitnehmen würde und was ich fürs Erste hierlassen würde in dem Nichtwissen, wann ich wieder Zugriff auf diese Sachen erhalten würde. In der Zwischenzeit hatte meine Mitbewohnerin ihren Flug nach Schweden auch sicher. Nach einem erschöpften und anstrengenden langen Tag legten wir uns gegen drei Uhr ins Bett. Dieser Tag war verbunden mit so viel Stress, umso froher waren wir, dass wir es jetzt geschafft hatten, es würde für drei von uns nach Hause gehen, die Vierte würde bei der Familie einer Verantwortlichen unserer Organisation untergebracht werden. Im Unterbewusstsein schwebte zwar immer noch die Angst, dass doch noch irgendetwas schief laufen würde, aber vorerst waren wir einfach nur froh und versuchten positiv zu bleiben. Müde fielen wir nur noch ins Bett, diese Nacht sollte eine ganz Kurze werden.
Den ganzen Tag über war die Stimmung schon sehr betrübt, morgen würden wir alle unterschiedliche Wege gehen, wieder kilometerweit voneinander entfernt, wir wollten es alle noch nicht wahrhaben. Die Verabschiedung von allen fiel uns extrem schwer.
Nach ganz wenig Schlaf wachte ich gegen fünf Uhr wieder auf. Es war Zeit, dass wir uns von der ersten unter uns verabschiedeten. Kurze Zeit später, hörte ich einen Schrei aus dem Nachbarzimmer. Der Flug nach Ungarn wurde nun in letzter Sekunde doch noch annulliert, alles fühlte sich so sicher an und nun ist bei ihr kurzfristig doch noch alles geplatzt. Es tat mir unendlich leid für sie, wie sehr hatte sie sich auf Zuhause gefreut und nun war es doch nicht möglich, alles war fertig gepackt, alles in ihrer Heimat war für sie organisiert. All das nun doch nicht möglich. Sie sollte jetzt für die nächste Zeit erst mal bei einem unserer französischen Freiwilligen unterkommen und in den nächsten Tagen ein weiteres Mal versuchen irgendwie nach Hause zu kommen (Kurzer Spoiler an dieser Stelle: Eine Woche später buchte sie einen weiteren Flug und kam gut und sicher in ihrer Heimat an).
Inzwischen war es schon kurz nach 6, ich beschloss, es ein weiteres Mal bei der Fluggesellschaft zu versuchen, um mich umzubuchen, doch wieder ohne Erfolg, nach knapp zwei Stunden in der Warteschleife gab ich auf. Nun bestand eine letzte Möglichkeit am Flughafen und ich hoffte auf noch freie Sitzplätze im Flugzeug. Der Chef der Organisation holte die Schwedin und mich ab, wir verabschiedeten uns von allen und fuhren zum Flughafen. Dort suchten wir sofort den Schalter auf, die Stimmung am Flughafen sehr anders, dort wo normalerweise Hunderte von Menschen rumliefen, sich auf ihre Reise rund um den Globus freuten, in die unterschiedlichsten Länder, waren es jetzt nur noch ganz wenige Menschen, von Franzosen kaum eine Spur, es waren hauptsächlich nur Personen, welche jetzt in ihr Land zurückkehren wollten. Der Mitarbeiter am Schalter war sehr sympathisch, nach einer kurzen Kontrolle meiner Personalien und Papiere, erklärte ich ihm meine Lage und bat ihn darum mich wenn möglich auf den vorherigen Flieger umzubuchen. Ich hatte sehr viel Glück, die Maschine war noch nicht ausgebucht und von daher konnte er mich umbuchen, obwohl er mehrfach betonte, dass dieses nur eine Ausnahme war. Glücklich fiel ich meiner Mitfreiwilligen in die Arme, wir waren nun im gleichen Flieger, konnten gemeinsam nach Amsterdam fliegen und ab da würden sich auch unsere Wege trennen.
Nach einer langen Wartezeit konnten wir endlich einsteigen. Das Flugzeug war fast komplett leer, vor uns etliche leere Reihen, sodass wir uns auch noch zusammen setzen konnten. Sicher in Amsterdam gelandet, brachte ich sie noch zu ihrem Gate, wünschte ihr eine gute Weiterreise und verabschiedete mich von ihr. Nun musste ich zu meinem Gate finden, doch dieses erwies sich als nicht so einfach. Der Flughafen war sehr groß und verwinkelt, mehrfach lief ich im Kreis, bis ich endlich zu meinem Gate fand.
Ich schrieb und telefonierte noch mit Freunden und Familie, bis es Zeit zum Boarding wurde. Bis zur letzten Sekunde verfolgte mich immer noch die Befürchtung und Angst, dass doch noch irgendwas schief laufen könnte. Doch als das diesmal vollere Flugzeug in die Luft startete, konnte ich mich entspannt zurücklehnen, ich war fast am Ziel, ich war fast zuhause, ich hatte es fast geschafft.
In Deutschland gelandet, konnte ich sofort an mein Gepäck, dieses wunderte mich sehr stark und machte mich auch leicht wütend. Zum Vergleich, in Frankreich wurden wir vor unserer Abreise, viel strenger kontrolliert. Hier gar nichts- keine Passkontrollen, keine Beamten, welche einen kurzen Blick auf unseren Gesundheitszustand warfen. Nicht, dass ich es befürchtetet, aber in diesem Flugzeug saßen internationale Personen, Menschen aus aller Welt, beispielsweise saß ein spanisches Ehepaar neben mir. Jeder von uns, darunter zähle ich selbstverständlich auch mich, jeder von uns hätte das Virus ins Land tragen können und es damit verbreiten können. Es konnte doch nicht angehen, dass nicht mal ein kurzer Blick auf unsere Pässe geworfen wurde.
Ich holte mein Gepäck und auch hier war es schwer, sich an den vorgeschriebenen Mindestabstand zu halten, alle standen dicht an dicht an dem Gepäckband und hofften möglichst schnell wieder von diesem wegzukommen. So holte ich also mein Gepäck, wurde von meiner Familie abgeholt und hatte es endlich geschafft.
Die nächsten Tage vergingen schnell, auf der einen Seite fühlte es sich so an, als wäre ich nie weggewesen, alles war so wie immer. Auf der anderen Seite allerdings dachte ich oft noch an Frankreich, die Erlebnisse, die Personen, die Zeit dort und wie schnell diese verging. Ich vermisste es. An erster Stelle war ich aber vorerst einfach froh, in der aktuellen Lage zuhause und bei meiner Familie zu sein und nach so viel Stress und der Reise fiel mir einfach eine große Last von den Schultern.
Wie geht es nun also für mich weiter?
Mit meiner Organisation haben wir bereits sehr früh abgesprochen, dass wir trotz der Distanz, immer noch online und von zuhause weiterarbeiten werden. So sieht unsere Arbeit nun anders aus, denn statt in der Schule Deutschunterricht zu geben, oder im Freizeitzentrum Kindern Bücher vorzulesen und mit diesen zu spielen, produzieren wir jetzt kleine Videos, welche wir auf der Seite der Organisation und auf YouTube veröffentlichen. In diesem Rahmen entstanden von mir bereits die verschiedensten Arten von Videos, unter anderem ein Backvideo und ein Video, in welchem ich die Basics der deutschen Sprache vermittele. Außerdem kreierten meine schwedische Mitfreiwillige und ich ein Quiz zu Schweden, Deutschland und Frankreich und ein weiteres zum Europäischen Freiwilligendienst.
Des Weiteren halten wir uns durch unser wöchentliches Online-Meeting mit der ganzen Organisation gegenseitig auf dem Laufenden und versuchen das Beste aus der aktuellen Lage zu machen. Nach aktuellem Kenntnisstand sollen wir, sobald die Ausgangssperre in Frankreich beendet ist und sich das Leben in Frankreich langsam immer weiter normalisiert hat, zurückkehren und erneut unserer normalen Arbeit nachgehen.