Imastu City
Die Euphorie, einen Europäischen Freiwilligendienst antreten zu können, schwand bei JuliBi leider recht schnell. Die Zustände in dem estnischen Behindertenheim, in dem sie arbeitet, sind eigentlich nicht akzeptabel. Doch was soll sie tun?
Ich mag es kaum glauben, aber nun bin ich schon zwei Monate hier - oder erst zwei Monate? Es war Anfang Juni, als ich die Bestätigung erhielt, dass ich einen zwölfmonatigen Europäischen Freiwilligendienst in Estland machen kann. Man, was habe ich mich gefreut! Schließlich wollte ich immer schon für eine längere Zeit im Ausland leben und habe damals in der 11. Klasse meine Chance irgendwie nicht wahrgenommen.
Mein Projekt ist ein Wohnheim für Behinderte, sowohl Kinder als auch Erwachsene, in einem klitzekleinen Dörfchen namens Imastu. Da meine Schwester geistig behindert ist dachte ich mir, dass mir das bestimmt nicht so schwer fallen würde. Aber da hatte ich mich ordentlich vertan.
Diese Menschen sind nicht nur behindert, sondern sie sind zum großen Teil auch elternlos und haben nie ihrer Behinderung entsprechende Förderung erfahren, zumindest nie in ausreichendem Maße.
Außerdem sind deutsche Selbstverständlichkeiten hier keineswegs welche. So musste ich mich damit abfinden, dass den Bewohnern kein Toilettenpapier gegeben wird. Was logischerweise zur Folge hat, dass keines benutzt wird. Und viele der Betreuerinnen schlagen die Kinder auch, wenn sie ungehorsam sind. Das wiederum hat zur Folge, dass auch die Kinder Gewalt als die verständlichste Sprache ansehen, zumal viele sich wirklich nicht verbal mitteilen können.
So viel zu den Zuständen in denen ich nicht unüberrascht landete... Die totale Überforderung, besonders psychisch. Ich konnte das alles überhaupt nicht fassen, so dass meine Freude und Motivation schleunigst schwanden und anstelle ihrer Zweifel, Frust und die Frage, wie ich es nun am besten so lange an diesem Platz aushalten könnte, traten.
Inzwischen habe ich - besonders durch den Beistand meiner Familie, meines Freundes und all der anderen "estnischen" Freiwilligen - meinen Weg gefunden, der eine Mischung aus Wegschauen und dem Akzeptieren und Durchsetzen der eigenen Vorstellungen ist.
Das Einzige, was ich anscheinend noch nicht unter Kontrolle bekommen habe, ist die Krätze, die ich nun schon zum zweiten Mal von den Kindern bekommen habe.
Soviel erstmal als "Einleitung" und für heute. Zukünftig gibt es dann speziellere Beschreibungen über das Freiwilligenleben.