Iaşi… Drei Häkchen und ein voller Erfolg
Beeindruckende Kirchen, viel zu essen und merkwürdige Bekanntschaften: Lockenjule besucht die rumänische Stadt Iasi und erlebt eine ganze Menge!
Wenn ich in meinem Bett sitze und wie jetzt zum Beispiel am Laptop schreibe, habe ich ein kleines rotes Büchlein genau im Blick, das auf einem Regal an der gegenüberliegenden Zimmerwand steht. Daneben liegt ein ebenfalls roter Kugelschreiber, der ausschließlich für die kurzen aber bedeutsamen Eintragungen in dieses Buch benutzt wird.
Es handelt sich um mein, wie man neu-deutsch formuliert, To-Do-Büchlein der Dinge, die ich während meiner Zeit in Moldawien unbedingt gemacht haben will. Es ist das wahrscheinlich einzige Buch, das ich jemals verfasst und dessen Inhalt ich gleichzeitig nur auf mich ausgerichtet und nur mir gewidmet habe.
Der Aufbau der zur Zeit 26 Kapitel ist immer gleich: Eine A-6-Seite, ein kurzes Stichwort und nach gekommener Zeit ein mit Datum und Teilnehmernamen versehenes Häkchen darunter.
Vorgestern Abend (mein von Oma gespendeter Hundertwasserkalender zeigte den 8. Februar 2010) war wieder mal ein solcher Moment gekommen, in dem ich mir selbst auf die Schulter klopfend das Buch vom Regal nahm, etwas gedankenverloren darin herumblätterte und schließlich gleich drei Kapitel vervollständigte.
Um auch die von mir bewunderten Leser meines Reisetagebuches ausnahmsweise an dem teilhaben zu lassen, was ich zwischen Stichpunkt und neu gesetztem Häkchen meines heiligen Büchleins alles zwischen den Zeilen lesen kann, seien diese Erinnerungen im Folgenden festgehalten:
Kapitel 12: Besuch der Stadt Iaşi, Rumänien
Der Plan eines verlängerten Wochenendausfluges in diese älteste Stadt Rumäniens mit mehr Kirchen als Einwohnern und weniger Popularität als Baufälligkeit war schon lange geschmiedet.
Ende Januar beschlossen Rosi (meine Mitbewohnerin) und ich also, dieses Reisevorhaben in die Tat umzusetzen. Am Samstagmorgen um sechs in der frostigen Früh brachen wir also auf in Richtung „Gara de Sud“ (südlicher Busbahnhof, jahaa Chisinau hat mehrere Busbahnhöfe).
Leider schlief der öffentliche Nahverkehr noch, sodass wir uns nach kalten 15 Minuten warten für ein Taxi entschieden. Für knapp 2 € wurden wir dann in äußerst heiterer Fahrt zum Busplatz gebracht: Die alte Schrottkarre beherbergte nämlich einen jungen Taxifahrer und seinen recht angeheiterten Freund, der entweder als Überrest einer lang durchfeierten Nacht oder als erstes kleines Frühstück ein gutes "Chisinau blonda" (Bier) in der Hand hielt und sich angeregt mit mir übers Leben zu unterhalten versuchte.
Höchst amüsant, denn sein Englisch war so gut wie mein Russisch und Rumänisch, aber irgendwie konnten wir doch soviel Sympathie zueinander aufbauen, dass mir beim Aussteigen die Handynummern der beiden Herren in die Hand gedrückt wurden. "You need taxi – chotschesch taxi, da? – call me – telefon telefon, da?" Jetzt haben wir unsere privaten Taxifahrer.
Die Fahrt nach Iaşi verlief dann zwar wesentlich träger, ist aber genauso erzählenswert. Rosi und ich hatten uns auf der neu entdeckten Internetseite für die Busse von Chisinau einen Anschluss um sieben Uhr rausgesucht. Fast hätten wir gedacht, das Land orientiere sich an westlicher Logistik, aber nein, es gab nicht genug Mitfahrer, also fuhr auch kein Bus.
Dies bekamen wir mithilfe der wahrhaft hilfsbereiten Busfahrer heraus, von denen einer mit unserem Ticket (wenn man den schlecht lesbaren Kassenbon so nennen darf) über den ganzen Parkplatz rammelte und für uns nach dem richtigen Bus suchte, der ja aber gar nicht existierte.
So stiegen wir dann eben in den nächst späteren Bus, so muschebubu wie immer, und fielen nach einem gesunden Frühstück, bestehend aus dem geliebten moldawischen Fett-und-Zucker-Gebäck, in den bekannten Säuglingsschlummer, der auch bis zur Grenze anhielt.
Dann erlebten Rosi und ich eine höchst aufschlussreiche Prozedur: An der moldawischen Grenze war es wie immer. Pass und Aufenthaltsgenehmigung rauskramen, warten bis der angenervte Grenzposten sich durch den Minibus zu einem durchgequetscht hat, ihm die Papierchen reichen, während er Gesicht mit Foto vergleicht genauso dumm gucken wie auf dem Passbild.
Dann fünf Minuten warten bis ein anderer Grenzposten alle Pässe gestempelt und kontrolliert hat, anschließend zügige Weiterfahrt. Geschätzte Dauer der Kontrolle: 10 Minuten.
Jetzt zum heiteren Vergleich die Kontrolle an der rumänischen Grenze; man merke auf, an der Grenze zum Einlass in die EU. Noch immer friedlich in seinen Furzmullesitz gefletzt wartet man auf den Grenzposten im Bus, aber nein. Bitte alle aussteigen, alles zusammenräumen, alles Gepäck mitnehmen. "Poftim, mergeţi acolo", bitte gehen Sie in dieses Gebäude dort.
In diesem Gebäude dort hieß es dann eine halbe Stunde anstehen, sich die Zeit damit vertreiben, Schilder wie "Attention, you enter the European Union" und Hinweise zum illegalen Mitführen von zwanzig Kilo Wurst oder über 10.000 € zu lesen, sich den Hintern abzufrieren, sich über den kleinen dicken Taschenkontrolleur lustig machen.
Endlich kommen auch wir ran, zeigen unsere Pässe, gucken dumm, gehen weiter zur Taschenkontrolle. Der Dicke dort ist dermaßen gelangweilt, dass er wortlos abwinkt, als ich meinen Rucksack nicht gleich aufbekomme.
Sein 'Da ist eh nüscht Spannendes drin, wovon ich zuhaus mal meiner Frau erzählen könnte-Blick' verriet mir irgendwie, dass er sich über fünf Kilo Kokain in Rosis Rucksack direkt gefreut hätte. Vielleicht wären wir auch noch zu einem Kaffee bei ihm zuhause eingeladen worden. Naja, fürs nächste Mal wissen wir zumindest, womit man rumänischen Grenzposten eine Freude machen kann.
Als wir dann endlich wieder alle im Bus saßen, war meine kostbare Lebenszeit etwa 45 Minuten vorangerückt. Soviel zum Thema "Mit der EU wird alles einfacher." Frag mal in Moldawien, was die dazu denken.
Allerdings spürte man das Betreten der EU sofort. Die auf einmal glatt betonierten, mit Planken und international gültigen Verkehrsschildern bestückten Straßen umspielte eine gewisse Identitätslosigkeit. So bemerkten Rosi und ich kaum, dass wir auf einmal schon in Iaşi waren. (In Moldawien merkt man das Passieren einer Stadtgrenze sofort daran, dass es wieder richtige Straßen gibt.) Tatsächlich waren wir schneller am Ziel als erwartet.
Und schon wenige Stunden später befanden wir uns nur mit der nötigen Touristenausrüstung bestückt im Zentrum der Stadt. Bereit, die unbekannte Stadt nach allen Kulturwinkeln zu durchforschen. Unser erstes Ziel lautete: Einen Stadtplan besorgen und eine Laufroute bestimmen.
Schon dieses Vorhaben war nur mit einigen Hindernissen zu bewältigen. Als wir die Touri-Info nämlich endlich gefunden hatten, war diese natürlich dank der tourismusfreien Winterzeit geschlossen. Aber ein naher Kiosk offerierte uns dann doch noch eine Sommer-Überrest-Karte.
Zweitens war es dermaßen stechend kalt draußen, dass wir einfach nicht stehen bleiben konnten, um auf die Karte zu schauen – geschweige denn einen Finger freilegen, um die Karte zu halten oder auf etwas zu zeigen.
Also suchten wir uns die nächste warme öffentliche Räumlichkeit, die wir finden konnten: Einen Buchladen. Einer von (wie sich später rausstellte) vielen, vielen wunderbaren Buchläden dieser Stadt, in denen es nach Papier und Tinte roch, es warm war und Regale, Tische und Kisten voller Bücher aller Farben, Größen und Arten zu finden waren.
Eigentlich wollte ich über die Büchervielfalt ja erst später erzählen, da sie uns aber von Anfang an in all ihrer faszinierenden Vielfalt begleitete, kann ich auch jetzt schon davon erzählen. Es sei hiermit die rumänische Vielfalt an Kinderbüchern gelobt. Großteils noch mit handgezeichneten, nicht am Computer erstellten Motiven und Figuren zum Ausklappen, Fenstern zum Öffnen und Löchern zu Hindurchlinsen.
Es sei von der anscheinenden Begehrtheit klassisch römischer Literatur berichtet; vor allem Ovids Metamorphosen in Latein und Rumänisch erfreuten sich vieler Ausgaben. Ebenso Sekundärliteratur über Mythologie; nicht nur römische, sondern auch altgriechische und abendländische.
Es sei aber auch auf die unendliche Vielzahl christlicher Werke hingewiesen, seien es nun Heiligenerzählungen oder Gebetssammlungen. Allerdings nicht nur orthodoxer Kultur, sondern auch katholischer und armenischer.
Und zwischen alledem natürlich noch Prosa aller Art; insbesondere Liebesromane, wie es sie auch bei uns zu Hauf bei 'Thalia' und Co gibt. Alles mit Sorgfalt sortiert und trotzdem in der scheinbaren Unordnung überfüllter Regale gelagert, sodass uns im Ganzen in jedem Buchladen ein Gefühl von Geborgenheit und Abschottung von Zeit und Hektik umgab.
Rosi und ich verbrachten also länger als nur zum Karte-Gucken in dem zweistöckigen Buchgeschäft. Denn wir hatten uns nicht nur in der Vielfalt der Literatur verloren, sondern waren durch Zufall auch noch auf den wahrscheinlich einzigen anderen derzeit als Tourist in der Stadt befindlichen Deutschen getroffen: Einen ehemaligen Rumänen, der jetzt seit zehn Jahren in Deutschland lebt und nun endlich einmal wieder in seine frühere Heimatstadt zurückgekehrt war. Und wieder einmal schien Rosi und mir die Welt ein Dorf zu sein.
Dann endlich machten wir uns zur eigentlichen Besichtigungstour auf. Wir betraten den Stefan-cel-Mare-Boulevard (ja, auch hier ist er ein gefeierter Mann; schließlich ist Iaşi Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums Moldau/Moldawien) und besuchten die Sehenswürdigkeiten entlang dieser repräsentativen Straßen.
Zuerst die berühmteste Pilgerkirche der Stadt, "Catedrala Mitropolitana", ein neogotischer Bau, dessen Altar und Wände innen mit so viel Gold verziert sind wie außen kranke Bettler um Spenden bitten. Dieser Gegensatz spricht für sich.
Unabhängig von Lebensstandard und Gesundheitszustand kamen Pilger auch bei eisiger Kälte zu dieser Kirche und stellten sich in die lange Schlange, deren Anstehende für die Sorge um das Seelenheil darauf warteten, den Sarg mit angeblichen Reliquien des Stadtheiligen zu küssen.
Und so albern mir diese Prozedur und der überdimensionale Prunk der Kirche auch schien, gefiel die Kirche selbst mir doch als beeindruckendes Kunstwerk, als vollendete Komposition.
Wie alle älteren Kirchen, die wir in dieser Stadt besuchten, war alles Gold kunstvoll gearbeitet. Wände und Decken waren aufwändig bemalt. Jeder Winkel der Kirche war in geradezu fanatischer Perfektion zu Ehren eines allmächtiges Hirngespinstes gebaut, dekoriert und sauber gehalten. Alle Gläubigen mögen mir meinen atheistischen Ausdruck verzeihen.
Um meine Gedanken eher thematisch als chronologisch zu Papier zu bringen, sei jetzt auch noch von den anderen Kirchen erzählt, die wir während unseres Aufenthalts besuchten. Am selbigen Tag betraten wir noch die 'Drei-Prälaten-Kirche', auch einer der Glanzpunkte der Stadt. Eine Kirche zu Ehren der Stadtgründer, wenn ich mich richtig erinnere, oder zumindest drei hier gern in der Stadtgeschichte erwähnten Brüder.
Leider war die Kirche, so wie fünfzig Prozent der Sehenswürdigkeiten, gerade im Restaurationsprozess. Dennoch konnten wir sie betreten und die Ruhe und Geborgenheit der dicken, dicken Mauern genießen. Auch diese Kirche beherbergte Reliquien, erzählte ihre Geschichte in aufwendigen Bildern und beeindruckte in ihrer düsteren Schönheit.
Rosi und ich waren die einzigen in der Kirche, und weil wir als Besucher im Winter (auch noch am Samstagnachmittag) eine touristische Ausnahme darstellten, bekamen wir von einem Geistlichen eine kleine Privatführung.
Mit vielmaligem Dank unsererseits und einem zufriedenen Gesicht des Geistlichen, der etwas für die Bildung hedonistischer Westler getan hatte, verließen wir die Kirche. In diesem Moment hätten wir nicht geglaubt, dass die Erhabenheit einer solchen alten Kirche von irgendeinem neuartigen Bau übertroffen werden kann.
Genau dieses trat aber schon wenige Zeit später ein: Nur aus Interesse näherten wir uns dem ungewöhnlichen Bau, ganz offensichtlich auch eine Kirche, allerdings auch ganz offensichtlich ein architektonischer Geniestreich.
Die Kirche war sehr groß und kreisrund; mit flachem Kuppeldach, das in der Mitte nur eine kleine Spitze mit einem Kreuz trug. In einem Kreis um diese Spitze waren kleine dreieckige Gauben angebracht, die das Tageslicht ebenso wie die hohen schmalen Kirchenfenster durch Buntglas in den Raum leiteten.
Rosi und ich versuchen durch die großen Glastüren einen Blick ins Innere zu erhaschen. Da stand allerdings schon ein Geistlicher hinter uns und sprach uns an. Nicht etwa, um uns zu verscheuchen, im Gegenteil, nur für uns schloss er die Kirche auf und ließ uns die riesige Halle betreten.
Sie glich dem Pantheon, nur eben völlig neu und in hellem Creme gehalten. Die meisten architektonischen Geistesblitze des Gebäudes fielen uns selbst gar nicht auf, allerdings bemerkten wir eines sofort: die atemberaubende Akustik.
Der Geistliche, scheinbar nicht überrascht von unserer Bewunderung, bat uns genau in die Mitte der Kirche. Dort sang er für uns ein Teil des 'Ave Maria'… und es klang, als sei er von zehn Mikrofonen umgeben. Doch es war nur sein klarer Bariton, der die gesamte Kirche erfüllte, sodass uns ein Schaudern über den Rücken lief.
Nachdem der Gesang verhallt war und die Stille ebensolche Wirkung auf uns geübt hatte, erklärte uns der nette Mann noch die Feinheiten des Baus. Die runde Form der Kirche stelle das Allumfassende des Glaubens dar. Die Gauben rundherum im Dach seien genauso konstruiert, dass zu jeder vollen Stunde die Sonne bzw. der Mond hineinschien.
Vier große Heiligenmosaike (von vier Aposteln) waren genau dort errichtet worden, wo sie zu jeweils einer Tageszeit durch eine Gaube von Sonne oder Mond beschienen wurden. Und schaue man sich die hohen schmalen Kirchenfenster an, so ergibt ihre als einzelne abstrakte Musterung zusammen betrachtet das Motiv von zwei großen Fischen.
Der Fisch, als Zeichen der christlichen Kirche, findet sich auch in dem bühnenartig angehobenen Altarabschnitt der Kirche wieder. Der Gang von den schweren Türen zum Altar sei deshalb mit dem Motiv des Davidsterns verziert, um die Entwicklung des Christentums zu beschreiben.
Rings herum an der Wand läuft ein aufwändiges, aber trotzdem schlicht gehaltenes Mosaik, das das Leben von Jesus von Geburt bis zum Aufstieg in den Himmel erzählt. Es beginnt und endet im großen Mosaikbild über dem Altar, das nicht etwa einen am Kreuz leidenden Jesus zeigt, sondern einen freundlich schauenden, in buntes Gewand gekleideten jungen Mann. Dieses Mosaik erschien mir ebenso erfrischend jung, lebhaft und trotzdem erhaben wie der Geistliche und die Kirche, die er uns erklärte.
Wir waren sogar dermaßen begeistert, dass wir am nächsten Morgen auf Wunsch von Rosi zu einer Messe in diese Kirche gingen. Es war schon beeindruckend, wie die leise gemeinsam gesprochenen Gebete durch die Halle wogten und tatsächlich im Himmel anzukommen schienen.
Die als nächste und an diesem Tag letztbesuchte Kirche war die älteste der Stadt, glich aber im Inneren allen neuen oder alten orthodoxen Gotteshäusern. Ich persönlich fand sie aber von außen am hübschesten von allen Kirchen; klein und eher in die Höhe gebaut, in schlichter Vierecksform und mit einem Glockentürmchen; an der oberen Hälfte der Wände mit roten Klinkern und farbschlichten Heiligenbildchen verziert, die in fensterartige Vertiefungen gemalt waren.
Eine ganz schlichte romanische Kirche. Erbaut von – jetzt kommt der Höhepunkt der Beschreibung – Stefan cel Mare, dem Helden des Moldau-Teils von Rumänien und des Moldawiens nebenan. Da könnt ihr mal sehen, ich hab den gleichen Architekturgeschmack wie der Nationalheld des Landes, in dem ich zurzeit lebe. Das muss doch ein Zeichen sein.
Um den geduldigen Leser nicht noch mehr zu langweilen, fasse ich die am zweiten Tag gesehenen Gotteshäuser nur kurz zusammen: Das Golia-Kloster, das mehr aus Mauer als aus Innenraum bestand… kunstvoll und beeindruckend wie alle Kirchen, allerdings wie auch fast alle Kirchen im Bau.
Die Barboi-Kirche, griechisch-orthodox angehaucht; um sie zu besichtigen, schritt man zunächst durch ein Tor (eigentlich einen Turm), und entfloh dann scheinbar dem Straßenlärm, je weiter man den zypressengesäumten Weg zur Kirche beschritt.
Nun aber genug von Gott, mehr von der Welt; wir haben ja schließlich nicht nur alle Sommerhäuser des Allmächtigen begutachtet. Wir springen noch einmal zu Tag eins, und widmen uns thematisch nochmals der intellektuellen Seite der Stadt, nämlich den Bücherläden, welche sich besichtigungstechnisch immer mit einer Kirche abwechselten.
Nein, ich werde jetzt nicht auf jeden Laden eingehen, aber einer ist mir noch als besonderes Schatzkästchen in Erinnerung. Wir betraten also den Laden: Ein einfaches, auch in deutschen Einkaufszentren zu findendes Schreibwaren- und Büchergeschäft, wo wir uns mit Postkarten und Schreibgerät eindeckten, nachdem das Blut in unsere gefrorenen Finger zurückgekehrt war.
Als wir uns dann zum Ausgang begaben, entdeckten wir eine Wendeltreppe, deren Ziel zu erkunden mein äußerster Wunsch war. Wir kamen also meiner Neugierde nach. Nein, oben saß keine böse Zauberin mit einer Spindel, die mir hundertjährigen Schlaf bescheren sollte… im Gegenteil:
Unsere etwas eingefrorenen Lebensgeister erwachten geradezu in all ihrem Ästhetikinteresse, noch während wir die Treppe erklommen. Sie war umsäumt von großen Gemälden zeitgenössischer Künstler, ohne große Namen, aber mit großem Talent. Oben angekommen, eröffnete sich uns ein Raum voller Gemälde, gusseiserner Figuren und Körbchen mit den landestypisch akribisch bemalten Eiern.
Der große Raum war zur Hälfte durch eine eingezogene Wand getrennt, hinter der sich ein riesiger ovaler, ringsum bestuhlter Tisch befand. Die umgebende ebenfalls runde Wand war mit einer schlichten Bilderreihe behangen, sodass dieser Teil des Raumes den Charakter eines wichtigen Versammlungsortes bekam, vollkommen abseits der Schatztruhe auf der anderen Seite. Ein Raum für die Künstler der Tafelrunde.
Oftmals habe ich nun schon den Bauprozess erwähnt, in dem viele sehenswerte Gebäude während unseres Besuches steckten. Aber auch von dem Glück, das wir durch die geringe Besucherzahl während der Bauphase hatten.
In den Zirkel dieser Gebäude reihte sich leider auch das Wahrzeichen der Stadt ein: der sogenannte Kulturpalast. Ein langes, wahrhaft majestätisches Gebäude, in dem sonst unzählige Museen und Ausstellungen ein ehrwürdiges Zuhause finden. Allerdings war der Palast schon seit Jahren und noch für Jahre im Bau; es war also kein Saisonpech, das uns den ausgiebigen Besuch unmöglich machte.
Nun ja, zumindest hatten wir das Glück, einen Blick hineinwerfen zu können. Es war nämlich Samstagnachmittag, nach Bauzeitdienstschluss also, aber einige Ortsansässige befanden sich immer noch oder warum auch immer in der großen Eingangshalle. Unsere Neugierigen Blicke bemerkend, ließ man uns hinein und zumindest einen Einblick dessen erhaschen, wie der prunkvolle Palast einst wieder aussehen würde.
Nach diesem Einblick war uns dann der klassische Kulturgenuss auch über. Passenderweise war fast gegenüber ein Shoppingcenter gelegen. Diese konsumorientierte Möglichkeit des Einblicks in die Alltagskultur der Menschen nutzten wir prompt aus.
Zugegeben, wir kauften nichts außer einer wirklich guten Kugel Eis (was sonst bei -10°C draußen), machten aber viele lustige und peinliche Fotos und lästerten über die feilgebotene Rüschenunterwäsche.
Als uns dann der Geruch der Fressmeile im obersten Stock entgegenschlug, entschieden wir uns fürs baldige Abendessen. Allerdings nicht im Center, das hätten wir auch in Deutschland haben können, sondern in einer nahe gelegenen kleinen Pizzeria. Sagt jetzt nicht, das hätten wir auch in Deutschland haben können. Wir haben zumindest keine Fast-Food-Großkette unterstützt.
Nun ja, wirklich Profit hat die Pizzeria mit uns auch nicht gemacht. Wir bestellten nämlich nur eine Pizza und zwei Getränke; und auf der Rechnung vergaß der ohnehin etwas überfordert scheinende Kellner auch noch ein Getränk, sodass wir für unser Abendbrot umgerechnet jeder 3€ bezahlten. Und das, nur zur Erinnerung, in einem EU-Land.
Es sei abschließend zu diesem Kapitel noch vom letzten Vormittag erzählt. Dort zog es uns zu einer empfohlenen Sehenswürdigkeit namens 'Das kleine, ärmliche Haus'. Dieses wahrhaft niedliche, idyllische und schneebedeckte Häuschen war einst der Wohnsitz des berühmtesten Kinderbuchautors Rumäniens gewesen, in etwa der Erich Kästner der rumänischen Kinderliteratur. Heute ist dieses Häuschen, in dem er einst verarmt und ungerühmt verstorben war, ein Museum zu Ehren seiner; leider zum Zeitpunkt unseres Besuchs geschlossen.
Also ging es ohne zu Zögern und möglichst generell ohne stehen zu bleiben weiter zum vorletzten Ziel: Der Universität. Zum Glück war der Weg recht einfach, sodass wir in der Kälte nicht verharren und suchen mussten, und noch dazu führte er durch eine sehr schöne Gegend voller alter, leicht verfallener Villen.
Die Uni selbst war alles andere als verfallen; ein frisch restaurierter, prunkvoll erhabener Bau. Der Haupteingang führte mitten in einen langen, rein architektonisch schon beeindruckenden Gang, der von großen Fenstern beleuchtet war und von dem in regelmäßigen Abständen Treppen in die einzelnen Fachbereiche führten.
Das klingt jetzt nicht besonders spektakulär, aber man urteile bitte nicht vorschnell. Zwischen den seitlichen Treppen nämlich, gegenüber der großen Rundbogenfenster, waren nämlich Bilder in eben dieser Fenstergröße an die Wand gemalt. Wahrscheinlich Abschlussarbeiten von Studenten, alle jedoch im gleichen, mir vollkommen unbekannten Stil.
Mir gefielen weitaus nicht alle Werke, allerdings fand ich es beeindruckend und betonenswert, welche Motive sich in dieser Vorhalle einer Universität eines mir recht zurückhaltenden Landes fand. Es ist schwer zu beschreiben, was die Bilder zeigten, aber alle waren sehr provokativ und oft äußerst gesellschaftskritisch. Dies verwunderte und überraschte mich; und rückte mein Bild der rumänischen Gesellschaft ein wenig in modernere Sphären.
Nach dem Besuch der Uni, es war gegen 11.30, wollten Rosi und ich etwas frühstücken. Und, ich will und muss diesen negativen Teil des Berichtes betonen, wir mussten lange hungern, bis wir einen warmen Ort zum Frühstücken gefunden hatten. Denn in Iaşi gibt es zwar viele Studenten, aber fast keine Cafés! Ein paar gute Restaurants, ein McDonalds (es geht ja nicht ohne), unzählige Brezel- und sogar einige Dönerbuden, aber keine Cafés!
Schließlich fanden wir ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs endlich eine kleine Bäckerei, in der es zwei Tische und ein paar Barhocker gab. Und wie es das Schicksal nun mal wollte, hätten wir im Nachhinein nirgendwo besser frühstücken können. Aus der bunten, zuckersüßen Vielfalt von Torten und Gebäck entschied Rosi sich für eine Teigtasche mit Pilzen und ein turmhohes Stück Schoko-Sahnetorte, ich wählte eine große heiße Apfeltasche und ein Stück Tiramisu-Torte.
Während wir so schlemmten, beobachtete uns die ganze Zeit eine Zigeunerin aus der anderen Ecke des kleinen Raumes, und rief der netten Verkäuferin die ganze Zeit etwas über uns zu; im festen Glauben, das wir es nicht verstünden. Wir ließen sie indem Glauben und erfuhren so unter anderem, dass ich doch ein hübsches Mädchen sei, aber immer noch nicht verheiratet; wie die Mutter des Mädchens neben mir ihr nur hatte erlauben können, sich die Haare kurz zu schneiden und so weiter…
Aber nicht nur diese zwielichtige Dame machte unser Frühstück umso unterhaltsamer. Direkt neben der Bäckerei war nämlich eine der vielen Brezelbäckereien, die rundum Fenster haben, damit jeder Käufer beim Backen des einzigen angebotenen Produkts zuschauen kann. Es war also eine durchgängige Fensterwand zur Seite unseres Bäckerstübchens, in der Mitte mit einem typischen kleinen Schiebefenster, durch das die Brezeln gegeben werden.
Wir saßen direkt an diesem Fenster und beobachteten interessiert die Arbeit der ca. 8 jungen Leute, die eifrig eine Brezel nach der anderen formten und laut herumwitzelten. Auf einmal steckte einer der Bäcker, dem schon zwei der zehn Finger verlustig gegangen waren, den Kopf durch das Schiebefenster, wünschte uns guten Appetit und fragte nach unserer Herkunft. Wir kamen in ein kurzes, lustiges Gespräch, dann verschwand er wieder.
Die andern Bäcker winkten uns zu, lachten heiter, und formten und formten. Kurz darauf steckte der Fingerlose wieder seinen Kopf durchs Fenster und meinte auf Englisch zu uns: Passt auf, die Frau da drüben ist Zigeunerin, die wartet nur auf euch! Wir bedankten uns bei ihm und versicherten ihm, die Frau bereits identifiziert zu haben und uns vorzusehen.
Wir aßen gemütlich weiter, da steckte ein anderer lustiger Bäcker schon seinen Kopf durchs Fenster und bat um ein Foto mit uns. Aber natürlich, warum nicht. Kurz darauf kam er durch eine unauffällige Seitentür in unseren Raum und grinste mit mir in die Kamera. Die andern lachten und klatschten, und zum Dank bekamen wir jeder noch eine warme Brezel geschenkt. Die Brezeln dort sind übrigens nicht salzig, sondern süß, kross und mit Mohn bestreut. Hmmmmmmm…lecker!
Als wir auch diese vernascht und uns von den lustigen Bäckern und der netten Verkäuferin verabschiedet hatten, rollten wir glücklich und zufrieden aus dem Laden.
Leider schlug uns direkt wieder die eisige Kälte entgegen, sodass wir uns so schnell wie möglich zu unserem letzten Ziel begaben: Dem Hauptbahnhof. Nicht nur, um uns die allseits bekannten maroden rumänischen Züge anzusehen, sondern auch eine uns empfohlene ewig lang Brücke, die über das Bahnhofgelände führte.
Allerdings war das Ganze für mich weniger beeindruckend als erwartete, ich bin einfach zu viele große Bahnhöfe aus Deutschland gewöhnt; Rosi ging es nicht anders. Die Züge zumindest waren genauso alt, laut und ächzend wie erwartet.
Da unsere Bahnhofsbesichtigung nun schneller vorüber war als geplant, hatten wir bis zur Abfahrt unseres Busses noch zwei Stunden, die wir irgendwo abseits der Kälte verbringen wollten. Und da wir besichtigungsmüde waren, es aber an Cafés mangelte, entschieden wir uns für eine Kantine, die Rosi irgendwo versteckt im zweiten Stock eines Bahnhofsgebäudes gefunden hatte.
Und weil das Frühstück schon 30 Minuten her war, gingen wir direkt zum Mittagessen über. Heiße Suppe und heißer Tee. Dann rollten wir zum Busbahnhof; und wenig später rollte der Bus in Richtung moldawische Grenze.
Kapitel 22: Couchsurfing ausprobieren
Seitdem ich im Alter von 16 Jahren das erste Mal von Couchsurfing hörte, war ich begeistert von der Idee. Couchsurfing – für alle, die es nicht kennen – ist eine Internetseite, bei der man sich anmelden und sein Sofa als kostenlose Übernachtungsmöglichkeit für Reiselustige aus aller Welt anbieten kann.
Eine Art weltweites Gratis-Hotel mit Insider-Tipp-Garantie. Bevor man aber in den Genuss dieser Reiseart kommt, muss man sich selbst bei der Seite anmelden und durch ein möglichst ansprechendes Profil zumindest so tun als sei man nett.
Wir loggten also Rosi ein; ich verfeinerte ihr leeres Profil noch mit geschmackvollen Sinnlosigkeiten a la "I love to meet new people!" und einem vollkommen nichts sagenden Foto, dann konnte die Surferei losgehen.
Wie nun ausführlich bekannt, war Iaşi unser Ziel, und wir fanden auch mehrere Schlafplatzanbieter in jener Stadt. Nach einigem hin und her konnten wir uns dann zwischen zwei Schlafplatzanbietern entscheiden.
Fast schon hätten wir uns für den kommunikativeren von beiden entschieden, da kamen wir ins Gespräch mit anderen Freiwilligen, die bei ihm übernachtet hatten. Sie erzählten, dass er wirklich nett und hilfsbereit gewesen war, ihnen allerdings trotzdem ganz schön Angst gemacht hatte.
Am ersten Abend nämlich kam er stockbesoffen in die Wohnung, hatte Portemonnaie, Handy, Schlüssel und Orientierung verloren und rannte so lange in eine Wand, bis er vollkommen mit Blut überströmt war. Dabei entschuldigte er sich zwar beständig wegen seiner eigenen Blödheit, trotzdem war er den beiden Freiwilligen danach etwas suspekt.
Wir entschieden uns also für Angebot Nummer zwei, Ana, und es war der beste Schlafplatz, den wir hätten haben können.
Aber immer langsam. Zunächst einmal kamen wir am Busbahnhof Iaşi an und ich wählte die mir per Mail zugekommene Handynummer, hinter der sich Anas Stimmchen verbarg. Ich kam nicht mal dazu, hallo zusagen, sondern wurde sofort mit einem Wasserfall von Entschuldigungen überflutet, dass sie jetzt noch nicht da sein könne und oh mein Gott wie lange wir denn schon warteten und überhaupt.
– Keine Bange, wir sind gerade erst angekommen, wo sollen wir uns hinbegeben? Aha, zu deinem Cafe. Wie bitte? Wie heißt das? Aha. Mit dem Taxi? Maximal 5 Lei? Na gut. Wir kommen. Wie heißt das Cafe noch mal? … Für umgerechnet einen Euro fuhren wir also mit dem Taxi zu ihrem Cafe, dem fast einzigen Kaffee-Trink- und Schach-Spiel-Ort der Stadt.
Schon beim Betreten des eigentlich noch geschlossenen, gerade in der Reinigungsphase befindlichen 'Acaju'-Cafes strömte Rosi und mir eine Welle der Sympathie entgegen. Sympathie, die zuallererst von der warmen Farbe der rot getünchten Wände ausging. Sympathie, die von Ana ausging, die vom Bad-Säubern die Kellertreppe hochgeeilt kam um uns zu begrüßen. Sympathie vom kleinen dicken Barkeeper und der zweiten Kellnerin, die auch mit aufräumten.
Die Einrichtung, der große alte Kachelofen im linken der beiden Räume, die Jazzmusik, der schon gebrühte Cafe, dem man uns sofort anbot – das alles strahlte in einer Offenheit und Gastlichkeit, wie wir uns es schöner gar nicht hätten wünschen können.
Und weil wir sofort so nett behandelt wurden, und weil sich Ana schon wieder hundertmal entschuldigte mit dem Putzen noch nicht fertig zu sein, versuchten auch wir so nett und hilfsbereit wie möglich zu erscheinen und boten unsere Tatkraft beim Putzen an.
Nach erstem Zaudern wurde diese dann auch dankbar angenommen. Während wir also mit Ana die Spiegel im Bad putzen und den Boden wischten, kamen wir ins Gespräch über sie und uns.
Sie kam eigentlich nicht aus Iaşi, darauf bestand sie; nein, sie war ein Hauptstadtmädchen, sie kam aus Bukarest, und lebte hier auf Grund gewisser leider bereits gescheiterter Liebesbeziehungen nur vorübergehend. Ja, sie hatte angefangen zu studieren, es aber auch schnell wieder sein lassen, das war nichts für sie. Ja, vielleicht würde sie später wieder anfangen, mal sehen.
Außerdem hätte sie ja jetzt einen neuen Freund hier, den müssen wir kennen lernen; und eine Katze, die ist so süß (dieses hässliche Monster, aber dazu später).
Wie sie so erzählte, dabei eine nach der anderen rauchte, verzweifelt versuchte das Waschbecken mit Papierhandtüchern sauber zu kriegen – man erkannte schnell, dass ihr Aussehen ihrem Charakter vollkommen widersprach.
Denn auf den ersten Blick hätte sie auch die Diva vom Laufsteg sein können: Über 1,90 groß, zum Hindurchschauen dünn; der Hals eingewickelt in einen bunten Schal, wie es jetzt alle tragen, rot-braun-gefärbte Haare, noch etwas müde, mit verwischter Schminke umrandete Augen.
Erst beim näheren Hinsehen erkannte man, dass hinter dieser auffälligen Statur ein vollkommen verschüchterter, unsicherer und winzig kleiner Mensch steckte. Man hörte es, wenn sie redete, man sah es an ihrem gebückten, schon mit 21 leicht buckeligem Gang. Wir merkten es wenig später daran, wie sie ständig alles vergaß und verlegte.
Wir sahen es, als sie die Tür zu ihrer Wohnung in einem verfallenen Vierstöcker aufschloss, in der sie zwar lebte, aber nicht wirklich wohnte. Die meisten Dinge darin gehörten dem Vermieter, sie benutzte eigentlich nur das Geschirr, ihr Bett und ihren Laptop. Sie hätte weder Zeit noch Muße dazu gefunden, es sich einzurichten, das meiste verbot ihr Vermieter ihr sowieso; ach, und ewig wolle sie hier ja auch nicht bleiben.
Aber ihr Freund, ja, der war ja auch hier, ihr Freund, ein ganz Toller, ein ganz Lieber. Den müssten wir kennen lernen, unbedingt. Um es gleich vorwegzunehmen: Wir lernten ihn am nächsten Abend kennen. Aus meiner Sicht ein chauvinistisches Arschloch, der es schamlos ausnutzte, endlich ein Wesen gefunden zu haben, das verzweifelt nach jeglicher Zuneigung und sozialem Kontakt lechzte und sich ihm zu Füßen warf, nur damit er bei ihr blieb.
An jenem zweiten und letzten Abend übernachtete er bei ihr, dieser kleine etwas fette Mittezwanziger; und ordnete als erstes an, sie solle den Boden wischen, wie sieht denn das aus. Schon bevor er kam hatte sie auf einmal panisch angefangen die Wohnung aufzuräumen, ständig nach unserer Meinung gefragt, ob es ordentlich genug sei, ihr Freund sei da so pingelig.
Ihr werter Freund jedoch gab nur jenen netten Kommentar bezüglich der unverzüglichen Bodenreinigung; legte sich dann auf ihr Bett und pennte, anstatt wie versprochen etwas an ihrem Laptop zu reparieren. Sie rief ihm noch zu, sie hätte seinen Lieblingstee gekauft, was er noch mit einem grunzenden 'Schön für dich' auf Rumänisch kommentierte, ehe er wegratzte.
Am nächsten Morgen, als sie uns noch ein Stück Richtung Stadt begleitete, ehe sie ins Cafe zum Aufräumen musste, erfuhren wir dann noch, dass er nicht mal das Sofa (eine Klappcouch) zu doppelter Breite ausgeklappt hatte, und sie sich so irgendwo in eine Bettecke quetschte, damit sie ihn nicht wecken musste.
Ganz klar: Sie braucht unbedingt eine Therapie zur Steigerung des Selbstwertgefühls und er sollte mal einen Monat lang bei Alice Schwarzer wohnen.
Aber genug der Psychoanalyse, kommen wir zu den Dingen außerhalb von Anas Sozialproblemen. Dank ihrer haben wir am ersten Abend im Cafe Acaju an die 50 neue Leute kennen gelernt. Näheres dazu sei bitte in Kapitel 26 zu erfahren (siehe unten). Dank ihrer hat sich jetzt mein Kochhorizont entscheidend in Richtung Schlaraffenland erweitert:
Am ersten Morgen machte sie mit uns Eierkuchentorte, am Abend dieses Tages erlernten wir die Zubereitung von 'Creme mit verbranntem Zucker' (rumänisch für Creme Brulee), Weißebohnensalat und krossem Hühnchen (das sind Hühnerbeine im Cornflakesmantel… klingt komisch, ist aber lecker!).
Am Mittag desselben Tages verköstigten wir uns zusammen mit ihr und auf ihre Empfehlung hin in einer kleinen Patisserie, in der es hunderte Sorten von Kuchen, Torten und Keksen gab.
Ana zeigte uns auch einige Ecken von Iaşi, die man als Touri nicht ansteuert. Und sie spielte uns haufenweise poetische rumänische Rockmusik vor, deren Texte sie auch permanent übersetzte, sodass wir von der Musik eigentlich nicht viel mitbekamen. Sie versuchte wirklich alles in ihrer kleinen verplanten Macht stehende, um uns den Aufenthalt so schön wie möglich zu machen.
Kapitel 26: Einmal im Ausland kellnern
Es ist ja allgemein bekannt, dass ich zu der Sorte Mensch zähle, die nicht lange still sitzen und erst recht nicht Zeit ungenutzt verbringen kann. Noch dazu kann ich in meinem missionarischen Eifer keine Menschen allein arbeiten lassen, während ich nur zusehe. Und ich lasse keine Möglichkeit aus, mich irgendwie weiterzubilden.
Dies mögen wohl die charakterlichen Beweggründe meinerseits sein, weswegen ich am ersten Abend im Cafe Ana meine Hilf als Kellnerin anbot. Unsere kleine sozialschwache Giraffe hatte nämlich seit zwei Wochen nicht länger als vier Stunden pro Nacht geschlafen, kaum etwas gegessen und kroch nun eher durchs Cafe als euphorisch zu bedienen.
Irgendwann also kam Ana zu dem Tisch, direkt neben dem Kachelofen, an dem sie Rosi und mich neben zwei ihrer sogenannten Freunde platziert hatte und fragte mich, ob ich denn nicht Lust hätte, die Wasserpfeife da an den und den Tisch zu bringen. Ich tat es voller Euphorie, Ana behilflich sein zu können.
Leider stellte sich zu meiner naiven Verwunderung heraus, das Leute es an sich haben, die Gelegenheit des kurzfristigen Erscheinens eines Kellners gleich zur Aufgabe neuer Bestellungen zu nutzen - und zwar in wunderbar hingenuscheltem Rumänisch.
Ich vernahm also die Bestellung einer Pepsi und einer Cola Light, die ich sogleich an Ana weiterreichte. Zu meinem persönlichen Glück hatte das Cafe keine Cola Light, sodass Ana noch mal zum Tisch ging, um die Bestellung ändern zu lassen.
Dort stellte sich allerdings raus, dass nicht nach Pepsi und Cola Light, sondern nach Pepsi mit einem Stück Zitrone (auf Rumänisch Pepsi cu lamaie) gefragt worden war. Durch meine sprachliche Inkompetenz eingeschüchtert hielt ich mich dann erst mal zurück mit den Hilfsangeboten.
Allerdings war es dann Ana, die mich ermunterte weiterzumachen, und sie zeigte mir in vollstem Vertrauen auf meine Loyalität und Merkfähigkeit, wie ich das Computerprogramm zur Registrierung der Bestellung bediente, welche Biersorten es gab, wie man eine Wasserpfeife bestückte; sie schickte mich zum kleinen dicken netten Barkeeper, der mir die Herstellung einiger Cocktails verriet; und sie schickte mich mit ermutigenden Worten erneut los, um Aschenbecher auszutauschen, leere Gläser abzuräumen und Bestellungen aufzunehmen.
Diesmal stellte ich mich aber schon etwas schlauer an. Ich stellte mich als Freundin Anas vor, die nur kurze Zeit hier in Rumänien sei und Ana aushalf; man möge die Bestellungen bitte deutlich und auf Englisch aufgeben. Ehrlich gesagt hatte ich damit gerechnet, dass die Leute sich ziemlich veräppelt vorkommen würden, wenn sie den Kaffee, den sie bezahlten, nicht mal kurz und knapp in ihrer Muttersprache bestellen konnten.
Aber im Gegenteil: Die Leute erklärten mir aufs genauste und drei Mal was sie wollten, erkundigten sich nach meiner Herkunft, baten mich zu sich an den Tisch, fragten mich nach deutschen Trinkspielen und lobten immer wieder mein amateurhaftes Herumbediene. Zum Schluss rief es aus mehreren Ecken 'Julia, komm mal' oder 'Julia, setz dich doch noch mal fünf Minuten zu uns' oder 'Julia, nochmal dasselbe'.
Ich war vollkommen in meinem Element, hoppelte durchs Cafe, lachte, horchte, bediente, und brachte zum Schluss so viel Trinkgeld, dass man beschloss, den Abend gesondert abzurechnen, weil der Chef sonst misstrauisch werden würde.
Rosi beobachtete alles grinsend aus ihrer Ecke, bis ich zwei Gäste bzw. Freunde von Ana neben ihr platzierte, mit denen sie sich in ein dermaßen inniges Gespräch vertiefte, dass sie diesen Abend als 'mit dem besten und tiefgründigsten und ehrlichsten und sinnvollsten Gespräch seit Ewigkeiten' betitelte. Na, wenn das kein voller Erfolg war.