Halbzeit eines Versprechens
(Politische)Versprechen werden oftmals gebrochen, vergessen oder einfach über Bord geworfen. Wahrlich nichts Neues. Doch anstatt zu resignieren, trampen 50 junge EuropäerInnen von Riga aus zum Europaparlament nach Brüssel.
(Politische)Versprechen werden oftmals gebrochen, vergessen oder einfach über Bord geworfen. Wahrlich nichts Neues. Doch anstatt zu resignieren, trampen 50 junge EuropäerInnen von Riga aus zum Europaparlament nach Brüssel.
Es ist ein stilles Jubiläum. In einer vergessenen Schublade kauert das Geburtstagskind und feiert seinen siebten Jahrestag. Ohne Pauken und Trompeten. Niemand schaut zum gratulieren vorbei, Geschenke gibt es keine, eine Torte auch nicht. Das war bei seiner Geburt anders. 189 Staats- und Regierungschefs hatten sich feierlich im Sitzungssaal der Vereinten Nationen versammelt. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan trat entschlossen ans Rednerpult und verlas die Millenniumserklärung. Tosender Beifall erhob sich. Mit einem beispielhaften Bekenntnis zu Chancengleichheit und Solidarität verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft einvernehmlich zu einem weltweiten Kampf gegen extreme Armut. Der Erklärung folgten nur wenig später die Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals / MDGs) - acht verbindliche Zielsetzungen für eine globale Zukunftssicherung. Neben der Armutsbekämpfung umfassen diese im Wesentlichen Richtlinien für den Friedenserhalt, der Gesundheit und für einen nachhaltigen Umweltschutz. Zufrieden klopfte man sich auf die Schultern und erklärte selbstbewusst: In fünfzehn Jahren sollen diese Ziele verwirklicht sein!
Sommer 2007. Agnieszka steht am Straßenrand. In ihren Händen hält sie einen alten Pizza-Karton. Radom – steht dort in großen Lettern geschrieben. Ihr französischer Tramp-Partner Romain liegt etwas müde im Gras. Seit einer halben Stunde versuchen sie nun schon ein Auto anzuhalten. Der Verkehr ist zähflüssig an diesem Tag und die Sonne brennt auf den Schultern. Sie sind Teil von Eurizons 2007, einer internationalen Tramp-Kampagne. Auf ihrer Tour durch acht europäische Länder möchten sie Autofahrer, Passanten und Politiker zu einem Gespräch über globale Verantwortung auffordern. Das Motto: Wir sind ein Teil dieser Welt, lasst uns ein Teil ihrer Zukunft sein!“ Im Focus der farbenfrohen Straßenaktionen von Eurizons stehen Themen rund um die Millenniumsziele: Armut, Gesundheit, Bildung und Umwelt. Denn nur weniger als 20 Prozent aller EuropäerInnen haben bisher etwas darüber gehört. Und es ist Halbzeit!
Doch die Stimmen werden lauter, die nicht an eine Verwirklichung der Ziele bis zum Jahr 2015 glauben. Genährt werden diese Zweifel durch unfaire Handelsbestimmungen zwischen der EU und den 77 AKP-Staaten (ehemalige Kolonien in Afrika, Karibik, Pazifik). Eine derzeit von der EU geforderte Marktliberalisierung dieser Staaten, im Rahmen so genannter EPAs (Economic Partnership Agreements), würde entgegen der MDG-Verpflichtungen, die Armut in den betreffenden Ländern weitaus verschärfen. Statt einer verstärkten Exportorientierung, Freihandel und einer gleichwertigen Öffnung der Märkte mit der EU sollten zuerst die regionalen Märkte gestärkt werden. Gleichzeitig bedeutet dies, dass die Verhandlungen der EPAs vorerst auf Eis gelegt und alternative Handelsabkommen diskutiert werden müssen, die vor allem den unterschiedlichen Entwicklungsstand der jeweiligen Länder berücksichtigen.
Genau dies versuchen nun Romain und Agnieszka dem verdutzten Autofahrer zu erklären. Sprachprobleme, Zeitmangel oder schlicht Desinteresse an politischen Themen verhindern oftmals intensivere Gespräche. „Dafür trifft man die unterschiedlichsten Leute.“ freut sich Agnieszka. Viele der AutofahrerInnen sind eher an persönlichen Dingen interessiert. Zur Aufklärung über globale Zusammenhänge ist die Zeit in einem Auto meist zu kurz. „Dann diskutieren wir eben über Mülltrennung oder Fair trade-Produkte. Das ist ebenso wichtig!“
Für die TramperInnen von Eurizons ist die Tour ein großes politisches Sommerabenteuer. Die verschiedenen kulturellen Hintergründe und unterschiedliche Charaktere der TeilnehmerInnen kreieren einen funktionierenden europäischen Mikrokosmos im Miniformat: Gemeinsam verfolgen sie ein klares Ziel und sind bereit selbst Verantwortung für ihre Zukunft zu übernehmen. Wirst du das auch, altes Europa? Die Zeit drängt. Löse jetzt dein Versprechen ein – Erfülle deinen Beitrag zur Verwirklichung der Millenniumsziele! Denn Armut geht uns alle an!