Große Wahl ganz klein
In Frankreich wissen viele Büger noch gar nicht wofür sich die Parteien bei der Europawahl engagieren. Hängt es nur mit dem Fehlen vom Programmheften zusammen oder bleibt Europa für viele weit weg?
Auf die Frage, ob eine Regionalwahl mehr Bedeutung als eine Nationalwahl hat, antwortet man mir mit einem klaren Nein. Natürlich sei die Nationalwahl wichtiger, schließlich seien mehr Bürger davon betroffen. Folgerichtig wäre eigentlich eine Wahl auf europäischer Ebene ebenfalls wichtiger als eine Nationalwahl. Schließlich sind mehr Bürger als bei einer nationalen Wahl betroffen. Man stimmt mir mit Zögern zu. Zwar sei die Europawahl schon entscheidend, aber habe kaum Einfluss auf ihr Alltagsleben. Denn wer bezahlt die Strassen, die Polizei, die Erziehung der Kinder? Der Staat. Zufrieden wendet man sich einem anderen Thema zu.
Man darf deshalb nicht erstaunt sein, wenn man bei der Europawahl in Frankreich auf ein geringes Echo stößt. In den Strassen hängen zwar die Plakate der einzelnen Parteien und in den Medien wird engagiert über die anstehende Wahl informiert. Konkret im Alltag erlebt man jedoch Beispiele wie dieses: ich gehe mit einer Arbeitskollegin an Europaplakaten vorbei und erkläre ein wenig die Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien. Dass die berühmte Eva Joly und Daniel Cohn-Bendit für die "Parti Ecologiste" kandidieren. Dass die Tochter von Jean-Marie Le Pen (Vorsitzender der rechtskonservativen "Nationalfront") ebenfalls ihre eigene Liste aufgestellt hat. Dass bei meiner Briefwahl sogar eine so genannte "Piratenpartei" oder eine "Tierschutzpartei" auf der Liste standen. Und warum auf europäischer Ebene Parteien kandidieren können, die auf Bundesebene kaum Chancen hätten. Meine Begleiterin hört interessiert zu, lässt den Blick über die Wahlparolen ("Si l'Europe veut, l'Europe peut !") schweifen und gesteht mir, dass sie sich darüber noch kaum informiert hätte und woher ich denn das alles wüsste ? Bei nationalen Wahlen lägen Programmhefte aus, man informiert sich im Voraus über die Standpunkte der einzelnen Parteien, aber für die Europawahlen habe sie noch kaum Anhaltspunkte. Während ich ihr erkläre, wo man sich über die Europawahlen informieren kann, wird mir klar, warum so viele Franzosen so wenig Bescheid wissen: zum einen ein Desinteresse (das geht mich nichts an), zum anderen wird für die Europawahlen nicht der gleiche Aufwand betrieben wie für National- oder Kommunalwahlen. Die Schuld liegt somit sowohl bei den Parteien, als auch bei den einzelnen Bürgern. Es wird wohl noch einige Zeit dauern bis Europa Strassen, Polizei und die Erziehung der Kinder verwaltet. Denn erst dann bedeutet die Europawahl mehr als eine nationale Wahl.