Grenzen, die man sich selbst setzt
Gibt es eine Toleranzgrenze für meine Zeit im Ausland?
Es sind etwas über acht Monate vergangen seit ich Ende Februar in Frankfurt in einen Zug Richtung Belgien gestiegen bin, und heute stand ich mit einem Lächeln am Berliner Hauptbahnhof, weil sich neben mir jemand auf Deutsch unterhielt. Dazwischen liegen zwei Länder und noch mehr Ausflüge, Urlaubsreisen in andere Länder, und ich frage mich: Gibt es eine Toleranzgrenze für meine Zeit im Ausland?
Als ich das erste Mal ins Ausland ging, hatte ich Angst. Ich setzte mir selbst zum Ziel, nicht nach Hause zu fahren, weil ich mir selbst beweisen wollte, dass ich das konnte – selbstständig und unabhängig sein. Die erste Woche hatte ich schreckliches Heimweh, und hielt meinen Freiwilligendienst für die schlechteste Idee die ich je gehabt hatte. Die nächsten Monate dachte ich nicht einmal an zuhause – außer vielleicht an Weihnachten. Und dann fuhr ich nach Hause, auf Besuch. Das war im April, neun Monate nach Beginn meines Freiwilligendienstes. Es war eine Erleichterung.
Als ich das zweite Mal ins Ausland ging, hatte ich die Schnauze gehörig voll von meinem Studium. Ich wollte meine Freunde nicht mehr sehen, etwas Neues erfahren, zurück in die bekannte Erfahrung Ausland. Dass ich dafür zurück nach Belgien ging, sah ich dem erst einmal nicht entgegengestellt. Also verbrachte ich sechs Monate in Belgien, ging ein paar Mal zurück nach Hause, besuchte eine Freundin in Budapest, machte Ausflüge innerhalb Belgiens. Mein Heimweh hielt sich in Grenzen, ich schien auf dem Kontinent angekommen, wo nichts mehr als einen halben Tag im Zug oder Flugzeug von mir entfernt ist. Irgendwann werde ich mir die Zeit nehmen und die Kilometer zusammenrechnen, die bei meinen Reisen in diesem Jahr zusammengekommen sind (und dann werde ich wahrscheinlich hunderte von Bäumen pflanzen müssen, um meinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren).
Nach sechs Monaten ging es für mich weiter in die Niederlande. Zu sagen, dass ich nach meinem Praktikum erschöpft war, wäre noch eine Untertreibung – ich war fertig, und schon wieder bereit für Neues, aber was ich wollte, war nach Hause zu gehen. Aber ich hatte mich nunmal auf ein Erasmus-Semester beworben, und ein Erasmus-Semester hatte ich bekommen. An der Uni meiner Träume, noch dazu. Ich musste also gute Miene zu bösen Spiel machen und die Suppe auslöffeln, die ich mir ja selbst eingebrockt hatte, vor ungefähr einem Jahr, als ich in einem Moment jugendlichen Leichtsinns die Bewerbung abschickte.
Was macht müde im Ausland?
Ich denke nicht, dass ich wirklich Heimweh hatte in diesen Monaten. Auch jetzt habe ich nicht wirklich Heimweh. Ich denke mehr, dass ich müde werde – wenn ich jede Anspielung ständig erklären muss, wenn mir die Worte fehlen, wenn ich konstant jemand anders sein muss, in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache ist. Ist das also meine Toleranzgrenze im Ausland? Neun Monate, die ich ausreizen kann?
Wie wahrscheinlich vielen jungen Leuten meiner Generation bereitet mir der Gedanke, für meinen Job ins Ausland zu ziehen, nicht sonderlich große Kopfschmerzen. Mehr noch, in meinem Feld besteht eine gewisse Erwartungshaltung, eines Tages im Ausland zu landen, wahrscheinlich in Brüssel. Für deutsche Politikwissenschaftler_innen besteht die Welt nach dem Studium nunmal aus Berlin und Brüssel. Aber was ist mit dieser Grenze, die ich mir selbst setzte, die ich scheinbar nicht überwinden kann, bevor die Erschöpfung kommt?
Ich kenne Expats, die sich in ihrem neuen Land so gut eingefunden haben, dass sie nie wieder zurückwollen. Denen die Gebräuche ihres Herkunftslandes fremd sind, und deren Ziel es ist, eines Tages für immer in ihrem neuen Heimatland bleiben zu können. Zu dieser Gruppe gehöre ich nicht. Aber ich bin auch kein Zuhausebleiber, dass habe ich mir selbst in drei Semestern in Deutschland bewiesen. Nur zuhause werde ich unglücklich, und Stagnation treibt mich in den Wahnsinn, oder zumindest mein Bankkonto, dass dann die zahlreichen Reisen stemmen muss.
Bis ich herausfinde, was ich eigentlich möchte, werde ich wohl weiter wie ein bad penny über den Kontinent kreisen. Ich weiß nicht wirklich, wo ich hingehöre oder wo ich hingehören möchte, aber irgendwann komme ich überall hin zurück.