Frozen auf Türkisch
...wie mein Weihnachten und mein Silvester mich anderen Kulturen näher brachte.
Herzlich Willkommen im neuen Jahr 2018 und an alle nochmal ein frohes Neues! Die letzten Wochen waren schrecklich schön, eine dramatische Komödie oder ein Tanz am Abgrund. Wie das Leben eben so spielt. Ich war beinahe den gesamten Dezember krank, habe mich mit meinen Mitbewohnern gestritten und war viel allein. Weihnachten rückte immer näher, aber aufgrund der genannten Umstände war ich nicht in Weihnachtsstimmung. In diesem Jahr erinnerte mich das Fest nicht daran wie viele liebe Menschen ich um mich habe, sondern wie viele wertvolle Menschen eben nicht hier sind, bei mir, hier in Polen. Versteht mich nicht falsch, ich kenne auch hier in Polen bereits wundervolle Menschen, jedoch konnte ich diese wegen meiner Krankheit nicht sehen und mein Heimweh verstärkte sich dadurch umso mehr. Sonst hatte mich viel Ablenkung davor bewahrt, aber in der Weihnachtszeit geht es nun einmal genau darum; mit den Menschen Zeit zu verbringen, die man liebt.
Glücklicherweise kam meine Familie Weihnachten zu Besuch und zog mich aus meinem Loch. Wir feierten Weihnachten auf polnische Art, was für uns alle eine interessante Erfahrung darstellte. Polen feiern sehr traditionell Weihnachten. Es gibt bestimmte Gerichte, zwölf an der Zahl, sie stehen für die zwölf Jünger und die zwölf Monate. Zu den typischen Speisen gehören Rote-Beete- und Pilzsuppe, Pieroggen, Knödl, Kartoffeln und Hering, ein polnischer Kartoffelsalat sowie Nachspeisen wie Makielki (Nüsse, getrocknete Früchte, Mohn, Milch, Honig, altes Brot, Nudeln und alles zusammen gemixt, ja wirklich!) Ich schätze die meisten werden diese Mischung komisch finden. Als ich dieses Gericht zubereitet habe, dachte ich auch: „Das kann doch nicht schmecken!“ Und war dann sehr überrascht, dass es mir eben doch geschmeckt hat. Probieren geht über studieren ;) Aber wieder zurück zu Polens Traditionen. Da die meisten Polen Katholiken sind, wird an Weihnachten immer eine Kirche besucht. Wir waren in der Kirche meines Chefs, dem evangelischen Pastor Marcin. Am Anfang des Gottesdienstes brachten zwei Pfadfinder eine Laterne zum Pastor, das Licht von Bethlehem. Dann wurde ganz viel gesungen, auch einige Lieder, die ich schon aus Deutschland kannte, aber natürlich auf Polnisch. Ich musste mich beherrschen, während des Singens nicht loszukichern. Warum? Meine Mama sang lauthals mit. Auf Polnisch. Da meine Mama kein Polnisch kann, hörte sich das für mich super witzig an. Hehe. Ich erinnerte mich wieder daran, wie unglaublich schwer diese Sprache ist und wie sehr ich am Anfang gekämpft habe, vor allem mit der Aussprache. Das tue ich immer noch, aber es ist doch einige Zeit vergangen. Deshalb ein großes Lob an meine Mama, du hast meine Bewunderung. :) Leider verstand ich von der Predigt im großen und ganzen nur fünf Wörter: „Engel, Hirten. Bethlehem, Jesus und Liebe.“ Aber was braucht es mehr an Weihnachten? :D Wie jedes Jahr wird gefeiert, dass Jesus auf die Erde kam, für uns Menschen, dass wir erlöst sind durch seine Liebe und wir nun zu Gott kommen dürfen so wie wir sind, obwohl wir Fehler machen und nicht perfekt sind. Vergebung ist so ein unglaubliches Geschenk und ich durfte es im Jahr 2018 bereits mehrfach in Empfang nehmen. Aber dazu später.
Nachdem die armen polnischen Frauen also 12 Gerichte zubereitet haben, wird traditionell das Fasten um ca. 16:00 gebrochen. Ja, ihr habt richtig gehört. Bei all dem Stress und Kochen essen die polnischen Familien fast gar nichts oder nur sehr simpel, zum Beispiel gekochte Kartoffeln. Vor dem Essen hat mein Bruder die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorgelesen. Normalerweise macht das der Vater, jedoch war der bei uns nicht anwesend. Anschließend haben wir Oblaten gebrochen. Die Oblaten hatte ich bei der Mitarbeiter Weihnachtsfeier geschenkt bekommen. Die war übrigens sehr schön, die Kirche ist wirklich ein liebevoller Arbeitgeber. Jeder hat Geschenke bekommen, es gab viel Essen und einen Sänger, der Weihnachtslieder geträllert hat. Jedenfalls ist dieses Oblatenbrechen sehr wichtig in Polen. Man wünscht dem anderen alles Gute, umarmt ihn und bricht etwas von seiner Oblate ab und gibt sie dem anderen zum essen. Da uns das zu simpel war, sagte wir dem anderen noch, was wir an ihm ganz besonders toll finden, was das ganze wirklich sehr schön werden ließ. Dann genossen wir das hart erarbeitete Essen. Und nein, leider sind wir nicht ganz auf zwölf Gerichte gekommen. Wenn wir schummeln und das Salz und den Pfeffer mitzählen, wie es die meisten Polen tun, kamen wir auf immerhin ganze zehn Gerichte. Auch krass, für jemanden der nur ein Gericht gewohnt ist und zwar nein, KEINEN Kartoffelsalat, nach dem mich viele Polen fragten. Nein, zuhause essen wir immer Braten mit Knödeln und Rotkohl. Allerdings essen Polen an Weihnachten kein Fleisch, weshalb es für uns nur Fisch gab dieses Jahr.
Ursprünglich wollten wir uns dieses Jahr überhaupt nicht beschenken, da die Reise schon einiges gekostet hatte und es an Weihnachten für uns mehr um Familie geht als um Konsum. Jedoch einigten wir uns dann doch darauf, uns Kleinigkeiten zu schenken. So ganz ohne Bescherung, wäre Weihnachten schon seltsam gewesen. Und so bekam ich Socken, coole Dekoration für mein Zimmer und einen Brief mit Geld. Als wir unser einziges deutsches Weihnachtslied: „Oh du fröhliche!“ zum besten gaben und dazu um den Weihnachtsbaum tanzten erlangte die sowieso besondere Stimmung dieses Jahr ihren Höhenpunkt und mir würde wieder klar; Ich bin nicht allein, ich habe eine Crazy-Family, die alles andere als perfekt ist. Doch sie ist immer für mich da, steht hinter mir und ich liebe sie. Und das ist das Allerwichtigste.
Silvester verbrachte ich wie geplant mit meiner Freundin Laura. Ich war sehr dankbar, mal aus meiner Umgebung herauszukommen und mit Laura mehrere Mädels-Dinge durchzuziehen, die ich so sehr vermisst hatte; gemeinsam kochen, bei Chips und Schokolade Filme suchten und natürlich gaaanz viel quatschen und zwar überall alles Mögliche. Selten kann ich mit einer Person, die ich so kurz kenne, schon so schnell über so viele Dinge sprechen und bin ihr in so vielen Eigenschaften und Erlebnissen ähnlich. Ihr Kommentar: „Wir sind wie Schwestern.“, trifft es echt ganz gut. Wenn wir gemeinsam, zwei große, dünne und blonde Frauen aus Deutschland, durch Olsztyn spazieren, konnte man das schon fast für die Wahrheit halten. Für mich ist das eine der wundervollen Auswirkungen dieses Auslandsjahres. Du wirst aus deinem kompletten Umfeld gerissen, in ein neues fremdes Land geschickt und triffst auf Personen, die das gleiche erleben wie du und ähnliche Ziele verfolgen; zu helfen, eine andere Kultur kennenzulernen, zu reisen, neues auszuprobieren... Und so entwickeln sich Freundschaften um einiges schneller als das normalerweise der Fall ist. Wenn es dir mal nicht gut geht, neigst du mehr dazu, dich Personen zu öffnen, die das gleiche durchleben und dich verstehen können. So entsteht Vertrauen, tiefe Freundschaft und Brücken in ganz Europa :)
Mein Silvester 2017 war sehr international. Wir feierten mit ERASMUS Studenten aus der Türkei, Polen und der Ukraine. Ein Gespräch über unseren Musikgeschmack führte zu einer Art kulturellen Austausch der Extra-Klasse. Vom Karaoke singen auf Türkisch bis zu ukrainischen Tänzen waren wir an diesem Abend offen, alles auszuprobieren. So stießen wir nicht nur auf das polnische Silvester, sondern auch auf das ukrainische und türkische an, jeweils mit verschiedenen Bräuchen. Die musikalische Begleitung an diesem Abend war wie gesagt sehr bunt, sodass irgendjemand auf die Idee kam, „Let it go“ von dem Film „Frozen“ auf Polnisch anzumachen. Natürlich wurden die anderen vertretenden Nationen dann auch neugierig und da wir nicht genug bekommen konnten von der mehrsprachig singenden Eiskönigin hörten wir uns auf noch Versionen auf Arabisch und Chinesisch an. Wirklich sehr unterhaltsam.
Bei diesem freudigen Abend kam dann doch noch ein ziemlich ernstes Thema auf; Vorurteile. Die beiden türkischstämmigen Studenten erzählten uns, dass sie auf dem Weg zu uns von vorbeigehenden Menschen aufgrund ihres anderen Erscheinungsbildes beleidigt wurden. Einfach so. Ich muss sagen, dass es in Deutschland einige Vorurteile gegenüber Türken gibt, auch weil viele in dem Land leben. Irgendwie war ich auch etwas verschlossen ihnen gegenüber am Anfang, ganz unbewusst. Wie Frauen in der Türkei leben, wie sie sich kleiden, ist für mich eben befremdlich. Versteht das nicht falsch, ich war lange Zeit mit einer Türkin befreundet, ich habe keine Probleme mit diesen Menschen oder der Religion, was nichts daran ändert, dass sie mir immer noch fremd vorkommt, diese Kultur. An diesem Abend wurde mir klar, wie wenig ich eigentlich über die Türkei weiß, obwohl so viele Türken bei uns leben, geschweige denn über die Sprache, die mit unserem Buchstaben System verfasst wird und laut Aussage der Anwesenden leicht zu lernen sein soll. Bis jetzt hatte ich die Sprache irgendwie nicht besonders schön gefunden. Als wir aber Karaoke auf Türkisch sangen, ist mir klar geworden, dass ich diese Sprache vermutlich einfach nur als sehr fremd und somit als unschön empfunden habe. Krass, wie schnell man doch unterbewusst urteilt, bevor man etwas richtig kennt. Auch die türkischen Tänze sind mir fremd, doch inzwischen ist eine Neugierde für das Fremde in mir, durch meinen Aufenthalt in Polen, geweckt worden, weshalb ich die türkischen Tänze auch auf ihre Art und Weise faszinierend fand (die Tänze von Männern fand ich bisher eher belustigend.)
Da ich in Deutschland in der Nähe einer Siedlung gewohnt habe, wo viele türkischstämmige Menschen lebten, die dann auch gemeinsam Türkisch sprachen, kam bei mir dann auch die Frage auf, ob und wie sie denn Deutsch lernen wollen/könnten. Damals hatte ich gar nicht darüber nachgedacht wie schwer Integration sein könnte. Jetzt, wo ich selbst Ausländer bin in einem fremden Land, klatschen mir die Schwierigkeiten eines Ausländers direkt ins Gesicht. Jeder neue Ort ist eine Herausforderung, man ist ständig auf Hilfe angewiesen. Allein das Einkaufen hat am Anfang für mich ewig gedauert, weil ich einiges suchen und erst übersetzen musste. Viele Dinge sind anders als Zuhause, man tritt versehentlich in Fettnäpfchen. Eine neue Sprache zu lernen braucht Zeit und Disziplin und gerade, wenn man Menschen aus dem Heimatland um sich herum hat, ist es schwer, die Sprache wirklich zu lernen. Natürlich vermisst man die Heimat und das Bekannte, weshalb es viel bequemer ist, bei den Gleichgesinnten zu verbleiben als sich zu „integrieren“. Und in Ländern mit kühlerer Mentalität und Vorurteilen, in Polen genauso wie in Deutschland, wird es einem auch nicht immer so einfach gemacht, Freunde zu finden. Es braucht Mut, um auf andere Menschen, wirklich ANDERE Menschen, zuzugehen und den hat nicht jeder. Hier in Polen werde ich immer mehr darin geschult, offen für Neues zu sein. Des Weiteren kann ich mich nun viel besser in Ausländer hineinfühlen und sie besser verstehen. Wenn ich zurück in Deutschland bin, möchte ich mehr auf diese Menschen zugehen und vielleicht eine Hilfe sein, genauso wie die wundervollen Menschen hier in Polen, die dies für mich tun. Die mich einladen, mir den Weg zeigen, mir die polnische Kultur erklären und mich beschenken. Ich bin wirklich sehr dankbar dafür.
Dieses Mal hieß ich das neue Jahr also gemeinsam mit Menschen, die ich nur wenig kannte, auf einer fremden Sprache willkommen. Wir zählten rückwärts auf Polnisch: „Dziesięć, dziewięć, osiem, siedem, sześć, pięć, cztery, trzy, dwa, jeden....wohooooo!!!” und schon befanden wir uns im neuen Jahr 2018. Auch, wenn ich meinen Freund und meine Lieben aus Deutschland in diesem Moment sehr vermisste, war mir doch klar; das neue Jahr ist eine neue Chance für mich, wieder richtig durchzustarten in Polen. Und diese Chance werde ich nutzen.