Frankreich im Ausnahmezustand
Auch 2 Jahre nach meinem Freiwilligendienst, ist Paris eine Art 2. Heimat für mich. Nach den Anschlägen vom 13. November steht ganz Frankreich unter Schock. Ich auch.Bericht aus einer französischen Kleinstadt.
Mein Freiwilligendienst in Paris liegt nun schon 2 Jahre zurück. Frankreich ist trotzdem meine Heimat geblieben. Ich studiere zurzeit an der Université de Lorraine in Metz, nicht weit von der deutschen Grenze entfernt. Die Attentate in Paris letzte Woche haben nicht nur unsere westlichen Werte und Freiheiten attackiert, sondern auch die Menschenwürde angegriffen. Mich haben sie ganz persönlich getroffen. Mit getroffen meine ich schockiert und zutiefst erschüttert. Paris ist immer noch eine zweite Heimat für mich und die Sorge um meine vielen Pariser Freunde hat mich in der Nacht des Unglücks kaum schlafen lassen. Ich war so froh über den „safety check“ auf Facebook und etwas erleichtert als sich nach und nach alle als sicher markiert hatten. Das mulmige Gefühl im Bauch ist trotzdem geblieben. Ich bin selbst so oft in Frankreichs Hauptstadt, dass ich den halben Samstag damit verbrachte besorgten Freunden mitzuteilen, dass es mir gut geht. Nicht nur Frankreich steht unter Schock, die ganze Welt ist wie gelähmt.
Überall scheint es plötzlich Bombenwarnungen und Anschlagsplanungen zu geben. Niemand scheint mehr sicher zu sein. Die Sicherheitsvorkehrungen sind überall erhöht, beim Sport wird die Tür hinter uns abgeschlossen, bei jedem Blaulicht scheinen die Menschen zusammenzuzucken und der Stau von den Grenzkontrollen auf der Autobahn zieht sich bis in die Innenstadt. In Deutschland findet man mehrere Bombenattrappen, in Paris gibt es eine Massenpanik nachdem irgendein „Witzbold“ einen Knallfrosch geworfen hat, ein paar Freunde von mir mittendrin, völlig entsetzt und verängstigt. In Metz wird vor den Galerie Lafayette eine Flasche mit einer hochexplosiven Flüssigkeit gefunden, überall in Frankreich gibt es Hausdurchsuchen, plötzlich führen Spuren nach Belgien, in Aachen wird erst eine Hand voll Menschen festgenommen und dann wieder freigelassen, das Länderspiel in Hannover wird abgesagt, in Saint Denis sterben zwei weitere Menschen und und und…Kurz gesagt, die Ereignisse überschlagen sich. Man kann sich kaum noch vor dem Informationsüberfluss retten und ich weiß kaum was ich noch glauben soll und darf.
Ich habe mein Facebook Profilbild mit den Farben der französischen Flagge überzogen und mich ein paar Minuten später gefragt, ob das jetzt politisch korrekt ist, oder nicht und ob ich das gleiche auch mit der deutschen Fahne getan hätte. Schließlich gab es in den letzten Tagen tatsächlich noch viel mehr Anschläge und auch sonst sterben Menschen aufgrund brutaler Attentate auf der ganzen Welt. Aber noch nie war der Terror so nah, wie in dem Moment, in dem sie ein Stück Heimat angegriffen haben. Der Moment, in dem Freunde von Freunden in einer Konzerthalle in Paris erschossen wurde und mit ihnen so viele andere! Trotzdem fühle ich mich durch die Medien manipuliert und schäme mich auch ein bisschen, dass mich die Anschläge in Paris so viel mehr treffen, als die im „fernen Osten“.
Ich sitze seit 5 Tagen gefühlte 24h vor dem Livestream, verfolge deutsche und französische Nachrichten gleichzeitig und versuche verzweifelt die vielen komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Es scheint unmöglich richtige Entscheidungen zu treffen, frage mich aber ob Frankreichs Entscheidung die IS in Syrien im Alleingang zu attackieren eine richtige Entscheidung war und fürchte mich gleichzeitig davor, dass Frankreich den Bündnisfall in der NATO einfordert. Was wenn wir dann den gleichen Fehler machen wie die USA nach dem 11. September? Oder war das militärische Einschreiten im Irak etwa auch kein Fehler? Wieso reden plötzlich alle von Krieg und was ist das überhaupt für ein Krieg, bei dem es nicht mehr um Territorien geht, sondern um Werte? Ist der Terrorismus dabei Europa zu zerstören, oder stärkt er das Gemeinschaftsgefühl und die Anteilnahme innerhalb der europäischen Gemeinschaft?
Es gibt viele offene Fragen, aber für mich nur eine klare Antwort: Der Terrorismus wird mir nicht meine freiheitlich-demokratischen Rechte als Europäischer Staatsbürger nehmen und mich auch nicht davon abhalten nächste Woche zum Climate March nach Paris zu fahren, um für eine bessere Welt auf die Straße zu gehen!