Food Urbanism Conference
Urban Gardening, Foodcoops, gemeinschaftlicher Kompost und Schrebergartenkolonien lassen sich mit dem Begriff „food urbanism“ zusammenfassen, der auf der internationalen Food Urbanism Conference in Tartu aus allen möglichen Blickwinkeln diskutiert wurde.
Für die Konferenz habe ich mich als Freiwillige gemeldet und konnte so das ganze Geschehen als Teil des Teams erleben. Mein Platz war oben auf dem Rang des Saals, um die ganze Veranstaltung live zu übertragen. Von dort aus hatte ich wahrscheinlich die beste Aussicht auf die hitzigen Debatten auf der Bühne.
Zu der Konferenz wurden Vertreter von verschiedensten Organisationen und Initiativen aus ganz Europa eingeladen, die ihre Ideen, Forschungen und Erfahrungen vorstellten und austauschten. Die Redner wurden in Panels zusammengetan, die jeweils in einer Podiumsdiskussion geendet haben.
Die erste Debatte drehte sich um die Kommunikation zwischen den lokalen Aktivisten und den politischen Institutionen. Zu dem Thema berichtete Agata Golec von der polnischen Organisation „Fundacja Semizir“ über ihre Arbeit als Vermittlerin zwischen den - oft unerreichbar wirkenden - politischen Autoritäten und den kleinen Initiativen. Nur durch Kooperation zwischen NGO’s, Unternehmen, politischen Autoritäten und Bürgern können Projekte für grünere Städte erfolgreich durchgeführt werden, ist die These der „Fundacja Semizir“. Die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen diesen verschiedenen Beteiligten wurden auch während der Podiumsdiskussion widergespiegelt. Die idealistischen Ansätze der Aktivisten trafen auf die realpolitischen des Vertreters des Landwirtschaftsministeriums und stießen auf gegenseitiges Unverständnis.
Zu dem zweiten großen Thema `lokale Produktion und Verteilung von Lebensmitteln´ hat Jaanus Joanson von dem estnischen Ministerium für ländliche Angelegenheiten über die politische Strategie zur Förderung von lokalen Produkten gesprochen. In estnischen Supermärkten sind 60 % der Waren importiert und der Markt wird von fünf großen Supermarktketten beherrscht. Um das Image von estnischen Produkten zu verbessern, wird jährlich ein „Tag der offenen Tür“ auf estnischen Bauernhöfen veranstaltet oder werden im Erntemonat September viele Festivals, Märkte und Workshops zur estnischen Küche veranstaltet. Mit Projekten wie „Baltic Sea Food“ soll es kleinen Familienbetrieben, die vor allem in ihrer Heimatregion verkaufen, leichter gemacht werden, auch an Restaurants, Industrie und große Supermarktketten zu verkaufen. Durch den Zusammenschluss zu regionalen Netzwerken wird den kleinen Betreiben die Vermarktung und die Logistik leichter gemacht.
Ein gutes Beispiel für einen direkten Vertrieb der Waren vom Erzeuger zum Verbraucher, die Preiserhöhung und Qualitätsminderung durch Zwischenhändler verhindert, ist die Foodcoop (Lebensmittelgenossenschaft) „Dobrze“ in Warschau. Die Idee einer Foodcoop ist, dass sich eine Gruppe von Verbrauchern zusammentut und Lebensmittel direkt vom Erzeuger kauft. Meistens handelt es sich dabei um privat organisierte Gruppen, die entweder direkt beliefert werden und die Verteilung selbst übernehmen, oder der Verkauf findet zu vereinbarten Zeiten statt. Im Gegensatz zu diesen Kooperativen hat „Dobze“ einen Laden eröffnet, durch den auch Nicht-Mitglieder der Kooperative direkt vom Erzeuger kaufen können. Die Genossenschaft „Dobrze“ besteht aus 250 Mitgliedern und arbeitet mit 20 lokalen Landwirten zusammen. Erzeuger bevorzugen häufig den Verkauf an Foodcoops, da sie somit nicht den ganzen Tag am Marktstand verbringen müssen und in schwierigen Lagen, wenn der Traktor kaputt ist oder die Ernte schlecht ausgefallen ist, von der Genossenschaft unterstützt werden können.
In der nächsten Diskussionsrunde zum Thema `Natur, Menschen und Design´ wurden konkrete Initiativen für mehr Nachhaltigkeit in Städten vorgestellt. In Warschau findet sich die ganze Bandbreite von verschiedenen Formen des Urban Gardening. Lokale Aktivisten schützen Freiflächen in der Stadtmitte vor Bebauung, indem sie dort Gemeinschaftsgärten anlegen und sie zu Kultur-, Bildungs- und Freizeitzentren verwandeln. Viele Gärten werden von kleinen Gemeinschaften gegründet, aber bald von dem gesamten Viertel gepflegt und genutzt, bis die Stadt die Fläche der Initiative offiziell übergibt. Vor Kunst und Kulturzentren hat auch die Stadt selber Stadtgärten gegründet, die Workshops zu essbaren Pflanzen, Kräutergärten oder richtigem Kompostieren anbieten. Der hippe Charakter von Urban Gardens wollte sich die Wirtschaft auch zu Nutze machen. Von BMW wurde zum Beispiel eine „organic food market“ gesponsert, auf dem allerdings die üblichen übertrieben hohe Preise verlangt werden, die nur ein sehr elitäres Klientel aufbringen kann.
Im Gegensatz zu dem bereits recht etablierten Urban Gardening, ist die Idee des Urban Pastoralism (Viehhaltung auf Weiden in städtischen Gebieten) noch nicht besonders verbreitet. Ein gutes Beispiel für die Sinnhaftigkeit von Urban Pastoralism ist Pärnu, der beliebteste Badeort Estlands. An den Küsten Pärnus existieren noch große Flächen an natürlichem Weideland, das jedoch von Unkraut und Müll verunstaltet ist und somit unattraktiv für Touristen und die lokale Bevölkerung wird. Anstatt die Weiden kostenaufwändig mähen zu lassen, wurde 2012 das Projekt „URBANCOWS“ gestartet. Von Mai bis September weiden nun die Kühe der umliegenden Bauernhöfen auf den Weiden im städtischen Gebiet Pärnus und sind schon Teil des Stadtbildes geworden.
Für mehr Weideland in Städten spricht sich auch Mart Meriste aus, der die Organisation „Nordic Botanical“ gegründet hat. In Städten finden sich vor allem Rasenflächen, die allerdings eine sehr niedrige Biodiversität vorweisen können, deren Pflege sehr energieaufwändig ist und die voller Pestizide und Kunstdünger stecken. Stadtbewohner bevorzugen allerdings einen niedrigen gepflegten Rasen anstatt einer hohen Wiese, die voller Unkraut ist. Von der Stadtverwaltung wird sogar vorgeschrieben, dass der Rasen in öffentlichen Plätzen nicht höher als 15 cm wachsen darf. Mart Meriste sammelt daher Samen von natürlichem Weideland und pflanzt „Blumenbeete“, die nicht auf 15 cm gestutzt werden müssen.
Die Konferenz wurde von dem Verband estnischer Landschaftsarchitekten veranstaltet, die uns am letzten Tag in die Urban Gardens von Tartu mitgenommen haben. Gemeinschaftsgärten in Tartu werden zum einen von älteren Bewohnern gepflegt, die ihre Gemüsebeete in Schrebergartenkolonien bereits seit vielen Jahrzehnten bestellen. Von einer der Initiativen, Hinnalinna Aiamaad, habe ich bereits in einer früheren Reportage berichtet. Zum anderen gibt es auch Gärten, die mit bunten Wimpeln geschmückt sind und von Studenten und jungen Familien bewirtschaftet werden.
Die Konferenz hat für mich dem etwas abgenutztem Motto “Think Global Act Local” wieder Leben eingehaucht. Die Redner kamen aus völlig unterschiedlichen Ländern und Organisationen, sind aber alle Teil einer wunderbaren Mission, das Leben in Städten wieder nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten. In diesen drei Tagen habe sich alle gegenseitig viel Inspiration und Energie für ihre eigenen Initiativen und Projekte, aber auch für mögliche Kooperationen gegeben. Nachdem man von so vielen großartigen Ideen und starkem Willen gehört hat, sieht man gleich viel optimistischer in die Zukunft.
Links zu einigen der Initiativen und zu der Veranstaltung:
https://foodurbanism.wixsite.com/foodurbanismtartu
http://www.sendzimir.org.pl/en