Fleischfreiheit
Vegetarismus in Tschechien – eine schwere Geburt.
„Tod den Abstinenzlern und Vegetariern!“
Das sagte Miloš Zeman, tschechischer Staatspräsident, mit erhobenem Glas anlässlich der Übergabe des heimischen Winzerpreises 2015. Wenn sowas schon der Staatspräsident sagt, dann könnte man denken, es sei eine Farce, es als Vegetarier in Tschechien überhaupt zu versuchen. Das wäre jedoch denkbar schade, denn Tschechien hat deutlich mehr zu bieten als Fleisch und unkonventionelle Trinksprüche.
Tatsächlich gab es durchaus vegetarische Episoden in der Geschichte Tschechiens. Heutzutage ist davon nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: auf dem Altstädter Ring in Prag drehen sich munter die Prager Schinken über dem Holzkohlefeuer, und in den Restaurants wird mit Fleischgerichten nur so um sich geworfen.
Auf dem Land lauern einige Fallstricke für Vegetarier. Den größten findet man direkt auf der Speisekarte. Dort gibt es für gewöhnlich jeweils eine eigene Rubrik für Geflügel, Rindfleisch, Schweinefleisch und “fleischlose“ Gerichte. Diese Rubrik heißt meist „bez masa“. Wörtlich übersetzt also „ohne Fleisch“. Das heißt jedoch nicht, dass die dort gelisteten Gerichte vegetarisch sind. Fleisch ist in diesem Fall lediglich nicht die Hauptzutat. Eine vegetarische Freiwillige orderte sich zum Beispiel ein Käsegericht aus der “Fleischfrei-Spalte“. Als sie den Käse zerteilte, stellte sie jedoch fest, dass er mit einer Scheibe Schinken gefüllt war. Man sollte sich beim Bestellen vergewissern, dass es nicht nur “fleischfrei“ (bez masa), sondern auch tatsächlich vegetarisch (vegetariánský) ist.
An meiner Schule gab es den ein oder anderen Vegetarier. Wenn diese in der Schulkantine gegenüber den Köchinnen den Wunsch äußerten, doch bitte das Fleisch wegzulassen, legten die Köchinnen trotzdem eine Scheibe Fleisch auf den Teller. Die Begründung war, dass man für eine Portion bezahlt hätte und deshalb auch eine volle Portion bekäme. Ungeachtet der Tatsache, dass das Fleisch unangerührt blieb. An unserer Schule hatten wir einen Lehrer, der die liegengelassenen Fleischstücke für sein Haustier mit nach Hause nahm. Über so eine effiziente Resteverwertung verfügen die meisten Kantinen allerdings nicht. Bei den manchmal vorhandenen vegetarischen Optionen handelt es sich fast ausschließlich um Süßspeisen – man könnte auch Nachtisch dazu sagen. Buchteln oder Grießbrei etwa. Es muss ja nicht gleich Seitan mit Tempeh-Füllung an Lupine sein, aber ein bisschen mehr als Zucker und Fett sollte schon drin sein.
Im Laufe der Zeit haben es ein paar vegetarische Gerichte in die tschechische Küche geschafft. An erster Stelle der gebackene Käse (Smažený sýr). Meist ist er schinkenfrei, aber zur Sicherheit sollte man lieber nochmal nachfragen. Die Zubereitungsart und der Fakt, dass der Käse mit Pommes frites (Hranolky) und Tatarensauce (Tatarská omáčka) serviert wird, katapultieren denselben allerdings auch in Gefilde jenseits der tausend Kalorien. Ein zweites vegetarisches Gericht, das man häufig bekommt, ist eingelegter Hermelín. Hierbei handelt es sich nicht um das marderähnliche Raubtier mit weißem Fell, sondern um einen Käse mit weißem Fell: den Hermelín. Er ist eine tschechische Spezialität und wird gerne in Kneipen bestellt. Man isst ihn entweder warm oder kalt, mit Brot und den eingelegten Beilagen. Das können Oliven, Paprika, Peperoni oder Zwiebeln sein – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Da er dem Camembert ähnelt, kann man ihn zum Beispiel auch mit Marmelade essen.
Im Grunde hört es da bereits auf. Generell ist die Opposition gegen vegetarisches Essen auf dem Land noch recht groß. In den großen Städten sieht die Welt hingegen schon ganz anders aus. Wer in Prag ist, dem liegt sprichwörtlich die Vegetarismus-Welt zu Füßen. In den einfallsreichen Küchen werden nämlich nicht nur Kartoffeln, Käse und Knödel gekocht. Wer ein paar Empfehlungen möchte, der kann sich die Restaurants Lehká hlava, Maitrea und Delmart näher anschauen.
Tschechien macht es einem als Vegetarier ein wenig schwerer als anderswo. Wer allerdings die Herausforderung annimmt, der entdeckt ganz nebenbei ein eindrucksvolles Land. Und in Prag, in Prag kann man sogar beides haben.