Fiesta de Santa Leticia
Eine halbe Woche Dorffest und ein typisch spanisches Mittagessen. Viel Neues und viel Freude und Silvia ist immer mit dabei.
Jedes noch so kleine Kuhdorf in Spanien hat einen Heiligen oder eine Namenspatronin. An dem jeweiligen Tag des Heiligen ist somit Feiertag in der Stadt oder dem Dorf. Die Heilige von Ayerbe heißt Santa Leticia und der 9. September ist ihr Tag. Diese Heilige hat sogar einen Wikipedia-Eintrag, der die Festivitäten in Ayerbe erklärt. Als ich zu meinem Freiwilligendienst vor drei Jahren ankam, hatte das Fest schon begonnen. Zudem hatte ich keine Ahnung vom Festprogramm und wartete mit meiner Mitbewohnerin darauf, dass unser Chef uns abends abholte. Diesmal wollte ich das nachholen und die Umzüge und alles mitmachen. Angefangen habe ich damit, dass ich in einen Laden ging und mir das gelbe T-Shirt mit der Festaufschrift und das dazugehörige blaue Halstuch kaufte.
Das Programm begann am Dienstag, den 8.September abends um halb 10. In den Tagen davor war alles vorbereitet worden: ein großes Zelt wurde auf dem Festplatz aufgestellt, die Gigantes (große Puppen, die auf den Schultern von Männern getragen werden) geschmückt und abgestaubt, T-Shirts und Halstücher bedruckt und verkauft, Festwagen und Balkone geschmückt...insgesamt dauerten die Vorbereitung des Festkommitees etwa zwei Monate.
Am Dienstagabend wurde das Fest feierlich eröffnet. Rechts und links der Bühne standen zwei verdeckte Gigantes, die nach der Begrüßung enthüllt wurden. Sie wurden neu für dieses Fest angefertigt, da sie vor vielen Jahren aus Altersgründen verbrannt wurden. Auch den Gigantes wurden blaue Halstücher umgehängt. Danach kamen die "Königinnen und Präsidentinnen" des Festes auf die Bühne. Die Königinnen sind etwa 9 Jahre alt, die Präsidentinnen 18 Jahre. Von einem gleichaltrigen Jungen begleitet, durften sie auf die Bühne laufen. Die jeweilige Königin/Präsidentin vom letzten Jahr übergab die Schärpe feierlich an die aktuelle. Dazu lief eine Präsentation mit Baby- und Kinderfotos im Hintergrund. Man kann das etwa mit den Karnevalsprinzen vergleichen, wobei die Jungs hier in Ayerbe keine Rolle spielen, sie sind nur zur Begleitung auf die Bühne da. Königin oder Präsidentin kann jede werden, die darauf Lust hat und der es nicht peinlich ist, wenn das komplette Dorf Babyfotos sieht. Der Bügermeister betrat dann die Bühne, sprach ein paar Worte und hängte allen Leticias ei blaues Halstuch um. Danach gingen alle Königinnen/Präsidentinnen auf den Balkon des Rathauses und ein Sportler aus Ayerbe durfte einen Böller hochschießen zum Zeichen, dass die Fiestas begonnen haben. Der Bürgermeister wünschte frohe Fiestas und Viva Ayerbe. Danach stellten sich alle zum Festumzug auf. Die Präsidentinnen und Königinnen nahmen in einem festlich geschmückten Wagen Platz und starke Männer nahmen die Gigantes auf die Schultern. Der Gemeinderat stellte sich auf und die Cliquen mit ihren Bannern und T-Shirts und die restlichen Leute. Eine Musikkapelle spielte und so zogen wir nachts durch die Straßen. Die Mädels im Festwagen warfen Bonbons und Konfetti, dieses Karnevalfeeling kam tatsächlich etwas auf. Danach kamen die "toros de fuego" ,die Feuerstiere, ein Gestell aus Metall mit Hörnern, das von einem Mann auf dem Rücken getragen wird und das Feuerwerkskörper auf dem Rücken hat, die Funken sprühen und durch die Luft pfeifen. Kinder und Erwachsene rennen kreischend weg, wenn der Toro sich nähert. Danach wird getanzt und getrunken, in den Lokalen der Cliquen oder im Lazkorras, der Bar, wo immer was los ist, wenn nirgendwo sonst mehr was geht. Ein DJ legt im Festzelt auf und in den Pausen wird Bingo gespielt.
Am Mittwoch geht es morgens los mit einer Prozession in deren Mittelpunkt der geschmückte Wagen mit einer Statue der Santa Leticia steht. Der Wagen ist mit Basilikum und Trauben geschmückt. Der Pfarrer macht ein ernstes Gesicht und der Gemeinderat läuft hinter dem Wagen hinterher. Die Königinnen und Präsidentinnen tragen Tracht. Die Bevölkerung ist herausgeschmückt wie zu einer Hochzeit und trägt Basilikumzweige in der Hand. Der Festzug endet in der Kirche, die ich noch nie so voll gesehen habe. Die Trauben und Basilikumzweige werden geweiht, ein Chor singt eine traditionelle Messe und in den hinteren Reihen gehen die Männer zwischendurch raus, um zu rauchen.
Ich treffe Martín, der mich am Tag zuvor zum Essen eingeladen hat. Er sagt, Komm nachher um zwei Uhr vorbei. Silvia und ich eilen nach Hause, ich mache mich fertig und stehe um 5 Minuten nach 2 vor Martíns Haustür. Niemand macht auf. Ein Bekannter kommt vorbei und meint, Ach, der sitzt bestimmt noch in irgendeiner Bar. Ich drehe also noch eine Runde um den Block und als ich dann klingele, macht er auf. Ich bekomme ein Bier und eine Führung durch die Wohnung. Martíns Frau macht das Essen und dann warten wir noch auf die Tochter mit Schwiegersohn und Enkel. Martín weiß zum Glück, dass ich Vegetarierin bin und daher gibt es für mich Fisch. Zuerst bekomme ich jedoch marinierten Spargel bis die Tochter mit Familie kommt. Dann kommen die anderen Vorspeisen: Fischkroketten, Tostadas mit Frischkäse und Lachs, Shrimps und Brot. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel esse. Danach gibt es Rippen für die Familie und für mich Fisch, zusammen mit Kartoffeln. Zum Nachtisch werden Melone und Mandeln gereicht, dazu gibt es Kaffee. Der Schwiegersohn kippt etwas von meinem mitgebrachten Zwetschgenwasser in seinen Kaffee und macht Hmmm. Das Essen hört sich vielleicht nicht spektakulär an, doch wir reden viel, beobachten, wie der süße kleine Enkel isst und gefüttert wird, reden über dies und das und als ich nach Hause komme ist es 18 Uhr und ich kann mich wegen des vollen Bauchs nur noch langsam fortbewegen. Sobremesa nennt man die Gespräche am Essenstisch und es ist sehr typisch, dass sie das Essen so in die Länge ziehen.
Später gibt es auf der Bühne eine Aufführung der Jota-Gruppe. Jota ist der traditionelle Volkstanz, der in Aragón bekannt ist. Er geht auf Schäfer zurück und stellt Szenen aus dem Liebes- und Familienleben dar. Jota ist auch Musik, die aus bestimmten Instrumenten und einer bestimmten Art zu singen besteht. Der Tanz wird immer von dieser Musik begleitet. Die Frauen, Männer und Kinder tragen die traditionelle Tracht und bewegen sich im Kreis, hüpfen, klappern mit den Castanetas und drehen sich im Takt der Musik. Das Festzelt ist gefüllt mit Menschen. Ich habe noch nie eine Jota-Aufführung live gesehen und bin sehr beeindruckt von der Tradition.
Silvia hat zum Abendessen eine Freundin eingeladen, deshalb können wir nicht die ganze Aufführung sehen, der Fisch muss noch gekocht werden. Nach dem Abendessen lädt uns die Freundin ein, mit zu ihrer Clique zu kommen. Die haben ihren Rückzugsort in einem alten, halb verfallenen Stall. Innendrin sind Scheinwerfer und eine Zapfanlage installiert und eine Tanzfläche neben den Boxen für die Schweine. Wir zahlen etwas Geld und trinken Bier, nach dem anfänglichen Zögern unterhalten wir uns mit den anderen Jugendlichen und tanzen zusammen in dem alten Stall. Auf dem Festplatz ist eine schlechte Coverband, deshalb bleiben wir im Stall und gehen dann lieber zu den Jugendlichen, die noch ein extra Zelt an der Turnhalle haben, wo sie Musik auflegen. Wir fallen spät ins Bett, stehen am nächsten Morgen aber wieder früh auf.
Ich habe mich mit meiner früheren Spanischlehrerin verabredet und außerdem gibt es ein öffentliches Migas-Essen. Migas heißt Krümel und ist ein traditionelles Gericht, das aus Brotkrümeln mit Zwiebel, Knoblauch und Speckstückchen, gemischt mit heißem Wasser besteht und früher oft von den Schäfern gegessen wurde. Dazu gibt es Rotwein, den ich allerdings morgens um 11 nicht runterkriege.
Nachmittags gibt es ein öffentliches Mittagessen mit Paella und Pfirsichen in Rotwein. Silvia und ich gehen nicht hin, da wir nicht wussten, dass man sich dafür anmelden muss und deshalb machen wir etwas Siesta zuhause. Mein Anspruch, alles mitzunehmen, schwindet ein bisschen, denn ich verpasse auch den Schinkenschneide- und Tortilla-Wettbewerb. Abends gehen wir immerhin zum Festplatz und zu der Clique in den Schafstall, doch die Musik ist nicht so gut.
Am nächsten Tag stehen wir früh auf und steigen mit Koffer und Rucksack in den Kleinbus, der nach Zaragoza fährt. Wir schlafen die ganze Fahrt.