EVS, mein Bart und Rumänien
Wie und was mein Freiwilligendienst in Cluj-Napoca in mir verändert hat.
Lieber Leser,
Das hier bin ich im Juli 2016. Und das hier bin ich im April 2017.
Also, wer bin ich jetzt?
Richtig, ein Junge mit dichterem Bart.
Dabei kam mein Bart ( korrekterweise wohl eher Bärtchen) mir im letzten Sommer schon ziemlich krass vor. Und damit steht er stellvertretend für meine Selbstwahrnehmung.
Mein Bart bestand aus mehr Lücken denn Haaren, kam mir aber trotzdem ziemlich erwachsen und voll vor.
Mein Leben nach der Schule fing grad erst an und bestand vor allem aus Erholung, kam mir aber trotzdem schon ziemlich weit und reif vor.
Sommer 2016: Abitur mit 17 Jahren und 1.0, Führerschein im ersten Versuch geschafft, eigentlich ziemlich viele mehr oder weniger gute Freunde, möglichst hoher Fleischkonsum für den Muskelaufbau. Nur eine Sache stört scheinbar:
“Kilian, weißt du eigentlich schon was du jetzt machst?”
“Ja, ich werde für ein Jahr einen Freiwilligendienst in Cluj machen. Das ist eine Stadt in Rumänien.”
“Warum?!”, “Was willst du da?”, “Mit deinen Noten hättest du dir doch alles aussuchen können.”
Im Vorbereitungsseminar wurde mir erzählt, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich ausgeraubt würde, weil das ja ganz schnell passiere da im Osten.
Und da war ich dann mit meinen 17 Jahren und fragte mich, warum ich mich denn nun entschieden hatte, ein Jahr in Rumänien zu verbringen. Und fand erstmal keine Antwort.
Warum sollte ich meine Komfortzone von Zuhause verlassen?
Weil sie eine Blase ist.
In einem Land, in dem kein Türsteher sich für deinen Ausweis interessiert, kam ich mir erstmal ziemlich frei und erwachsen vor.
Dann kamen plötzlich ziemlich viele neue Fragen:
Wie schneidet man eine Zwiebel? Wie putzt man ein Badezimmer? Geht man bei diesem Hitchhiking eigentlich wirklich wandern? Wie versorgt man sich mit 5€ am Tag? Und wie zur Hölle bespaßt man ein krankes Kind ohne dessen Sprache zu sprechen oder jemals so etwas gemacht zu haben?
Und es kamen ziemlich viele neue Leute, Orte, Wörter, Gefühle und Erfahrungen.
Heute esse ich der Umwelt zuliebe kaum noch Fleisch und achte penibel darauf, möglichst wenig Plastik zu benutzen. Vor einem Jahr hätte ich darüber gelacht.
Ich koche gesund und sogar lecker und kann einen Wischmop benutzen. Ich weiß, was ich kann und vor allem, worin ich nicht sehr gut bin.
Ich reflektiere viel mehr über mein Handeln und dessen Konsequenzen und habe gewisse Werte, an denen ich versuche, mich zu orienteren. Ich genieße Momente bewusst, ob alleine in der Natur, mit einer wilden Grundschulklasse auf dem Schulhof oder mit Freunden in einer Bar. Und ich freue mich auf zuhause. Auf wichtige Leute, Karnevalsmusik, deutsches BIER und eine geordnete Politik, die nach Argumenten statt Geld entscheidet.
Ich komme also nun sehr gut alleine klar.
Denke ich zumindest, denn bald werden mit dem nächsten Schritt auch die nächsten neuen Fragen kommen. Denn auch ein EVS ist irgendwo nur eine Blase, eine Vorbereitung auf das Leben.
Ich sehe jetzt die Lücken in meinem Bart und freue mich darauf, sie anzutreffen und zu füllen.