Europastadt Görlitz / Zgorzelec – grenzenlos Erleben
Eine kleine Reise in die östlichste Stadt Deutschlands und 15 Minuten in Polen
30 Grad - die Sonne strahlt mir ins Gesicht und auf das Eis in meiner Hand, welches darunter langsam, aber sicher zu schmelzen beginnt. Um mich herum nehme ich polnische Stimmen wahr. Vor meinen Augen liegt die im Licht der Sonne glitzernde Neiße und am anderen Ufer Deutschland.
Gerade einmal vor 10 Minuten war ich noch auf der anderen Seite, auf welche jetzt mein Blick fällt. Dann beschloss ich spontan, einfach mal über die Brücke nach Polen zu laufen. „Einfach mal nach Polen laufen“ – das geht fast nirgends so schnell, wie in Görlitz. Mit dem Überqueren der Brücke bin ich da. Keine Schranken, keine Kontrollen, nichts. Abgesehen von ein paar gigantischen Überwachsungskameras, welche mich dabei im Blick behalten.
„Studieren ohne Grenzen“ – damit wirbt die Hochschule Görlitz und während ich mit meinem Eis in Zgorzelec, dem polnischen Teil von Görlitz sitze, ergreift dieses Gefühl der Freiheit auch mich. Nahezu unwirklich fühlt es sich an, plötzlich in einem anderen Land zu sein.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Görlitz 1945 durch die Oder-Neiße-Grenze geteilt, der östliche Teil kam unter polnische Verwaltung und wurde zu einer eigenständigen Stadt. Seitdem Polen 2004 der EU beitrat sind die Grenzen verschwunden.
Auch beim Schlendern durch die Görlitzer Altstadt vernehme ich immer wieder polnische Stimmen. Man lebt hier friedlich zusammen, feiert gemeinsam das Altstadtfest und viele Bewohner überqueren die Brücke regelmäßig. Auf der einen Seite des Flusses kauft man „Wawel Krówka“ (polnische Milch-Karamell-Bonbons), auf der anderen Seite „Bambina“ (deutscher Schoko-Haselnuss-Riegel).
Sogar von Übersee bekam Görlitz in der Vergangenheit des Öfteren Besuch. So wurden hier bereits weltbekannte Filme wie „Grand Budapest Hotel“ oder „Der Vorleser“ (The Reader) gedreht. An vielen Drehorten kreuzt ein roter Bus mit der Aufschrift „Görliwood“ meinen Weg. Diesen Titel hat sich die Stadt sogar schützen lassen.
Und sie trägt ihn zurecht. Anstatt mit geneigtem Kopf die Sterne des „Walk of Fame“ zu betrachten, richtet man hier den Blick hingegen hinauf zu den wunderschönen historischen Hausfassaden.
Wenn man wissen will wie Deutschland früher aussah, muss man nach Görlitz kommen. Da die Stadt von den Bombenangriffen im zweiten Weltkrieg verschont wurde, reiht sich hier ein Gründerzeithaus an das nächste. Dazu gibt es eine Menge günstigen Wohnraum, ideal für Studierende.
Wo sonst findet man eine Ein-Raum Altbauwohnung inmitten der Innenstadt für unter 250 Euro?
Doch nicht nur das, auch an Subkultur hat Görlitz seinen Studierenden einiges zu bieten. Natürlich nicht vergleichbar mit Berlin, oder Leipzig, aber dafür gibt es hier viele Freiräume, die sich nutzen und umgestalten lassen.
Unweit vom Stadtzentrum ist so zum Beispiel das „Rabryka“ Gelände entstanden. Im Namen vereinen sich erneut Deutsch „rot“ und Polnisch „fabryka“. Die Wortneuschöpfung bezieht sich dabei auf die Backsteinbauten der ehemaligen Hefefabrik. Von einem Stadtgarten, über eine Kunst-Werkstatt, ein Café und verschiedene Open-Air Veranstaltungen, gibt es hier alles was das Herz von Kreativen höherschlagen lässt.
Auch im sogenannten „Kühlhaus“, welches ein wenig außerhalb der Stadt liegt, trifft Neu auf Alt. Zu Zeiten des Kalten Krieges lagerte die Regierung dort eine geheime Staatsreserve an Lebensmitteln.
Heute ist auf dem Gelände eine kulturelle Oase entstanden, welche zum Besuchen und Verweilen einlädt. Doch nicht nur verschiedene Veranstaltungen, Workshops und Konzerte finden hier statt. Das Gelände wird zudem als Campingplatz genutzt. Verträumt betrachte ich die Zelte und Wohnwagen und male es mir gedanklich aus, selbst mit einem Van herumzureisen.
Nur wenige Kilometer vom Campingplatz entfernt liegt mein persönliches Highlight des Tages – der Berzdorfer See.
Während die Sonne langsam sinkt und die leichten Wellen zum Glitzern bringt, lasse ich im Wasser meinen Tag Revue passieren. Auch wenn ich lediglich für 15 Minuten in einem anderen Land war, fühlt es sich doch ein wenig an, wie Urlaub – fast schon, wie ein ganz normaler Sommer.
Marie L.
Quellen:
https://www.goerlitz.de/Goerliwood-European-Film-Location.html
https://www.goerlitz.de/goerlitzer-subkultur.html
https://www.zukunft-oberlausitz.com/kreative-ol-kiwi-lab/rabryka-g%C3%B6rlitz/